Putins Ziel: Vernichtung der Ukraine
Trocken, analytisch, kompromisslos: Gwendolyn Sasses Buch „Der Krieg gegen die Ukraine“
Ganz ohne Girlanden der Titel: „Der Krieg gegen die Ukraine. Hintergründe, Ereignisse, Folgen“. Und so hat Gwendolyn Sasse ihr 130-Seiten-Büchlein auch geschrieben: trocken, analytisch, kompromisslos. Nichts Erzählerisches, Buntes, Emotionales stört den Fokus auf die Fakten. Wer noch einmal im Schwarz-weiß-Film vergegenwärtigen will, wie der 2014 begonnene Krieg Putin-Russlands gegen die Ukraine sich entwickelt hat, ist mit der Faktensammlung der ZOiS-Direktorin gut bedient.
Gleich im Vorwort setzt Sasse ein klares Urteil. Es gehe Wladimir Putin „um die Vernichtung des unabhängigen ukrainischen Staats und der ukrainischen Nation“. Der Krieg könnte lang dauern, weil „die Ukraine keine Grundlage für Verhandlungen und Russland kein Interesse an Verhandlungen hat“.
Das dokumentiert sich für Sasse darin, dass Putin auf das Angebot des ukrainischen Präsidenten Selensky nicht einging, über die Neutralität der Ukraine zu verhandeln. Stattdessen formulierte der russische Präsident Maximalforderungen, auf welche die Nato nicht eingehen konnte.
Der Krieg gegen die Ukraine
Gwendolyn Sasse gibt einen souveränen Abriss der Geschichte der ukrainisch-russischen Beziehungen, der Entwicklung der Ukraine nach der Unabhängigkeit 1991, für die alle ukrainischen Regionen mehrheitlich gestimmt hatten, knapp auch auf der Krim; dort allerdings formierten sich bald Bestrebungen für Unabhängigkeit oder Autonomie gegenüber der Ukraine.
All die Umfragen und Wahlen, die Bedeutung der Krim für Russland, die Schwarzmeerflotte und den Stützpunkt Sewastopol handelt Sasse pflichtschuldigst ab. Natürlich wird auch der Maidan analysiert, und der Abgang und die Flucht des damaligen Präsidenten Victor Janukowitsch nach Moskau lakonisch zur Kenntnis genommen: „Für diese Art der Absetzung gab es in der Verfassung keine passenden Vorgaben.“ Danach „stürmten Protestierende seine Luxusvilla – sie war das Symbol seiner korrupten Machenschaften und veruntreuten Staatsgelder und wurde später als touristische Attraktion umfunktioniert“.
Damit war die Korruption in der Ukraine allerdings noch nicht beseitigt.
Weder das noch die Beteiligung von Rechtsextremisten am Maidan und in der Interimsregierung verschweigt Sasse, stellt aber einordnend – und entgegen Putins Behauptung von den ukrainischen Faschisten – klar, dass die Rechtsaußenparteien danach „nicht mehr als eine Randerscheinung in der nationalen Politik“ gewesenen seien.
Und noch etwas gab es laut Sasse 2014 in der Ukraine nicht mehr: separatistische Bestrebungen – weder auf der Krim noch in der Ostukraine. Und das setzte sich gewissermaßen fort: Der Kriegsbeginn 2014 habe die Zustimmung zur Nato und zur EU erhöht, im Süden und Osten auf immerhin 30 bis 40 Prozent bis Ende 2019. Tendenz damals schon: steigend. Und schließlich: „Die alternative Vorstellung einer neutralen Ukraine wurde durch Russlands Krieg unattraktiv.“
Unattraktiv wurde auch Russland. Von Jelzins die Demokratie diskreditierender Wirtschaftspolitik über seinen „handverlesenen Nachfolger“ (Sasse) Putin und dessen „gelenkte Demokratie“ bis zum Autoritarismus, den staatlichen Attentaten, Verhaftungen (nicht nur Nawalny), Agentengesetzen und Medienverbote – alles drin in dem schmalen Band.
Der Krieg wird noch lange dauern
Dem folgen die drei Phasen des Kriegs: Krim, Ostukraine, 24. Februar 2022. Alles gründlich analysiert und handlich zusammengefasst. Zentrale Feststellung: Russland will nicht verhandeln, der Krieg werde vielleicht noch Jahre dauern. Damit auch die Angriffe auf Schulen, Krankenhäuser, Infrastruktur und die vielen Einrichtungen des Kulturerbes. „Kulturgüter sind die historischen Quellen und die konkreten räumlichen und zeitlichen Bezugspunkte der Erinnerung und Identität“, stellt Sasse fest. Deren Zerstörung sei irreversibel, die Tilgung der ukrainischen Geschichte und Kultur sei Putins Ziel.
Sasse streicht als nachhaltige Effekte des Kriegs Folgendes heraus:
+ die „globale Aufmerksamkeit“ für die Ukraine, eines Lands, das bisher als zu Russland gehörend missachtet worden sei. Allerdings: „Eine tragischere Art und Weise, sich in die mentale Landschaft Europas und der Welt einzuschreiben, gibt es nicht.“
+ die Anerkennung der „zentrale(n) Rolle der Nato und die Bedeutung der strategischen transatlantischen Kooperation in der Außen- und Sicherheitspolitik“. Allerdings sei die Zukunft der Allianz „von den Prioritäten der nächsten US-Administration abhängig“.
+ eine „Geopolitisierung der Gesellschaften Europas“
+ mögliche Auswirkungen auf weitere Nachbarstaaten Russlands. Dazu sagt sie: „Letztendlich hängt die Ausweitung von Russlands neo-imperialer Politik auf weitere Nachbarstaaten vom Verlauf des Krieges gegen die Ukraine ab.“