Geleitet vom Herzen: Michail Gorbatschow
Michail Gorbatschow war der Mann, der der Kapitulation des Bolschewismus zustimmte. Ein sehr persönlicher Nachruf
Auf der ganzen Welt nannte man ihn liebevoll und respektvoll „Gorbi“, auf dem Gebiet jener „Union“, die gegen Ende seiner kurzen Regierungszeit zusammenbrach, geben ihm die Menschen andere Namen, oftmals kränkende und beleidigende. Sechseinhalb Jahre lang stand er an der Spitze des größten Lands der Erde. In dieser Zeit hat sich die Welt und natürlich auch das von ihm regierte Land in einer Weise verändert, wie es in der Regel nur nach einem großen Krieg geschieht.
Und es herrschte Krieg, ein langer und schrecklicher Krieg, ein Krieg des bolschewistischen Monsters gegen alles Göttliche und Menschliche, gegen alles Gute und Wahre, das es noch gibt in der Welt. Und diesen Krieg hat, nach menschlichem Ermessen, er beendet – Michail Sergejewitsch Gorbatschow. Er stimmte der Kapitulation des Bolschewismus zu, er nahm diese Kapitulation selber an und begann, ein neues Land aufzubauen, ein humanistisches und freies Land auf den Ruinen des alten.
Er hatte nicht genügend Bildung und nicht genügend Erfahrung für solch einen Umschwung. Aber er hatte ein menschliches Herz, das noch nicht vergiftetet war, etwas beinahe Unmögliches in den Korridoren der Macht des ZK.
Auch seine Frau Raissa Maximowna hatte sich ein lebendiges und liebendes Herz bewahrt. Die beiden waren gleichaltrig, und sie liebten einander mit jener erstaunlichen Liebe, die es bisweilen in einer ehrlichen Partnerschaft gibt.
Diese Liebe, davon bin ich überzeugt, war der Grundton seines Handelns. Durch diese Liebe spürte er fast intuitiv, was gut und was schlecht ist.
Er glaubte an den „guten Lenin“
Er machte oft Fehler, oft verstand er selbst nicht das Ausmaß und den Sinn seines eigenen Handelns. Aber er wurde von einer gewissen Kraft geleitet, die wir Gläubigen den Willen Gottes nennen. Und er hat diesen Willen erfüllt.
Das Monster, das Russland in den Jahren der Revolution aufgefressen hatte, wurde von seiner Hand niedergestreckt. Obwohl Russland noch immer nicht aus dem Leib des Drachens befreit ist, wie es im Märchen erzählt wird.
Als Enkel von Tschekisten ermordeter ukrainischer und großrussischer Getreidebauern wurde er von der bolschewistischen Ideologie umgeformt und glaubte naiv an den „guten Lenin“, fleißig und hingebungsvoll trieb er seine Parteikarriere voran. Aber in seinem Herzen blieb immer das Gefühl für Wahrheit und Ehre erhalten, und darum wurde er zum Befreier des Lands, das sogar seinen Namen verlor. Hätte es anders sein können? Ich denke nicht.
Michail Sergejewitsch erlöste die ganze Welt von den Schrecken des Atomkriegs, befreite sein eigenes Land und viele andere Völker vom Totalitarismus. Meinungsfreiheit, Gewissensfreiheit und Freiheit des Unternehmertums, und zu guter Letzt die Freiheit der politischen Tätigkeit. Mehr als er getan hat, konnte er einfach nicht tun, wohl niemand hätte es gekonnt.
Gottes Werk
Allein schon das, was er getan hat, übersteigt menschliche Kräfte um ein Mehrfaches. Es war Gottes Werk, wie immer durch die Hand eines Menschen vollbracht. Gorbatschow hat, aus seiner politischen und nomenklaturischen Erfahrung heraus, viele Fehler gemacht, aber sein reines Herz bewirkte großartige Errungenschaften internationalen Maßstabs.
Mir wurde die Ehre zuteil, ihn näher zu kennen, wir haben einige Male sehr tiefe Gespräche unter vier Augen geführt. Aber mir wurde auch die Enttäuschung zuteil, als Gorbatschow unsere Pläne zur Lösung des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahre 1988 ablehnte, die Umwandlung der UdSSR in eine echte gleichberechtigte Föderation im Jahr 1989.
Bis jetzt frage ich mich, was wäre, wenn er unsere Vorschläge damals angenommen hätte. Vielleicht wäre das für ihn und für uns alle besser gewesen. Aber wer weiß? Vielleicht gab es keinen geraderen Weg als den, den Gorbatschow mit Gottes Vorsehung eingeschlagen hat.
Zum Schluss möchte ich an eines unserer Gespräche erinnern. Es war im Jahr 2000. Wir trafen uns auf einem Empfang in der schwedischen Botschaft, wo man russische Nobelpreisträger ehrte. Ein festlicher Empfang ist eigentlich kein guter Ort für tiefe Gespräche, aber es kam doch dazu. Kaum hatten wir angefangen, miteinander zu reden, vergaßen wir die anderen Gäste für lange Zeit.
Er sah in mir in erster Linie den gläubigen Menschen, den Professor geistlicher Lehranstalten. Wir sprachen über den kurz zuvor erlittenen Verlust seiner Frau Raissa Maximowna. „Lieber Michail Sergejewisch“, sagte ich zu ihm. „Ich kann noch nicht voll ermessen, wie schwer ihnen jetzt zumute ist, ich bete jeden Tag für Sie.“
„Warum für mich, Professor“, gab er zurück. „Beten Sie für Raissa Maximowna, sie hat es jetzt nötiger...“
Da haben Sie Ihren Atheisten. Der, welcher mit seiner Hand Russland führte, der ihn selbst zu Sich geführt hat, ich weiß nicht wie und wie tief...
Ich bitte alle, die beten können und beten, beten Sie jetzt für den dahingegangenen Michail. Jetzt hat er es nötig.
Ich umarme Sie, lieber Michail Sergejewitsch. Verzeihen Sie mir, dass die Geschäftigkeit mich so oft vom Gedenken an Sie und Ihre wunderbare Raissa Maximowna abgelenkt hat.
Andrei Subow ist ein renommierter Moskauer Historiker und Theologe, ehemaliger Professor des Staatlichen Moskauer Instituts für Internationale Beziehungen (MGIMO). Nachdem er 2014 die Annexion der Krim kritisiert hatte, kündigte ihm das MGIMO.
Diesen Beitrag veröffentlichte Subow am 31. August 2022 zunächst auf Facebook. Wir danken ihm für die Erlaubnis, den Text auch auf KARENINA zu veröffentlichen.
Aus dem Russischen von Olga Kouvchinnikova und Ingolf Hoppmann
Das russische Original finden Sie ebenfalls auf KARENINA.
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