Der letzte Krieg des Bolschewismus

1918 begann der Krieg gegen die Menschlichkeit, dieser wird den russischen Bolschewismus beenden

von Andrei Subow
Die Rote Armee in Kiew Januar 1918
"Das Leben wurde angstvoll, die Plünderungen in Kiew häuften sich." Die Rote Armee bekämpfte schon im Januar 1918 die ukrainischen Freiheitskämpfer, offenbar mit ähnlichen Methoden..

Kaum jemand erinnert sich heute noch daran, dass der erste Krieg der Bolschewiken im Januar 1918 der Versuch war, die unabhängige Ukraine zu erobern. Es täte aber gut, sich daran zu erinnern.

Zum Ersten deshalb, weil Putins Sarkasmus bezüglich Lenin, der angeblich der Ukraine die Unabhängigkeit geschenkt habe, den Fakten nicht entspricht. Diese Behauptung ist von der Sorte: „Ich gratulieren Ihnen, Herr Lügenbold!“

Und zum Zweiten deshalb, weil den Leuten aus dem näheren Umkreis Putins, die so fasziniert sind von der Koinzidenz der Daten, des Anfangs und des Endes, auffallen müsste, dass der russische Bolschewismus, der mit dem Krieg gegen die freie Ukraine begann, sehr wahrscheinlich mit einem Krieg gegen die Ukraine enden wird. Nicht Russland wird enden, aber der russische Bolschewismus, der vor mehr als hundert Jahren in Petrograd die Macht ergriff.

Ich spreche jetzt ganz bewusst von der über all diese Jahrzehnte bestehenden Existenz des russischen Bolschewismus als Herrschaftssystem. Dafür gibt es mehrere Argumente:

  1. Der Bolschewismus ist keine Ideologie, sondern eine Existenzform. Der Bolschewismus kann wohl unterschiedliche Ideologien benutzen – sozialistische, marktliberale, nationalpatriotische oder kosmopolitische. Die Ideologie ist nur ein in einem bestimmten Moment bequemes propagandistisches Mittel, und nur völlig naive Tröpfe, „nützliche Idioten“, können ihr Leben für so eine Ideologie opfern, aber niemals „wahre Bolschewiken“. Denn sie, die „wahren“, werden nur für eine Sache alles opfern: für „die totale, unmittelbar auf Gewalt gestützte Macht“. Diese Macht ist ihnen so unschätzbar wertvoll, weil sie kraft ihrer über jegliches Eigentum und jegliches Leben verfügen können, auf dem von den Bolschewiken beherrschten Gebiet. Und für einen Bolschewiken gibt es nichts Erstrebenswerteres als solch eine Macht.
  2. Solche totale Macht kann nur durch ein System organisierter brutaler Gewalt existieren, denn die Menschen werden niemals freiwillig auf ihr Eigentum verzichten, auf die Früchte ihrer Arbeit, auf ihr Leben oder das Leben ihrer Nächsten, in denen sie ihr Glück sehen. Diese organisierte Gewalt formte sich institutionell in dem System WeTscheKa-OGPU-NKWD-MGB-KGB-FSB. Die Kürzel haben sich geändert, aber das Wesen der institutionellen Gewalt ist dasselbe geblieben: der gesetzlose oder pseudogesetzliche Gewaltakt. Und es ist keinesfalls ein Zufall, dass dieses im Dezember 1917 gegründete „Organ“ bis auf den heutigen Tag fortgeführt wird. Seine „Jahrestage“ werden mit großem Pomp im Bolschoi-Theater gefeiert, in lebhafter Gegenwart des russischen Staatsoberhaupts Wladimir Putin. Kein KGB – kein bolschewistisches Russland.
  3. Der Verlust der Macht über einen bestimmten Teil des Raums, über den der Bolschewismus früher verfügte, wurde von ihm schon immer als Raub betrachtet. Die bekannte [„begrenzte Souveränität sozialistischer Länder“ der] Breschnew-Doktrin: „was mir gehört, gehört mir, und was mir nicht gehört, darüber sprechen wir dann“, galt im Jahre 1929 so unerschütterlich wie 2020.
  4. Die bolschewistische Macht ist, im Unterschied zur normalen Staatsmacht, eine Ganovenherrschaft. Sie wird auf keiner Ebene von den Bürgern gebildet. Sie ist eine Macht über die Bürger, genauer gesagt über die Bevölkerung. Die Bolschewiken verschmähen Wahlen nicht, aber es sind immer Pseudowahlen, inszenierte Wahlen mit im Voraus bekanntem Ergebnis, Wahlen für Idioten. So wie der Sozialismus etwas war für Idioten bei Stalin und der Liberalismus für Idioten bei Jelzin. Für die bolschewistische Macht sind die Menschen, die Ressourcen des Lands und das Eigentum jedes einzelnen Bürgers das Eigentum der Macht, ein Mittel zum Erreichen ihres Ziels, der hemmungslosen Bereicherung, der Ausdehnung ihres Raums; sie sind keinesfalls Selbstzweck wie in einer normalen demokratischen Gesellschaft.
  5. Dieses Festhalten am Bolschewismus ist bei der gegenwärtigen russischen Macht ganz offensichtlich. Obwohl sie mit der ehemaligen sozialistischen Drapierung der UdSSR nichts gemein hat, bewahrt sie alle Idole dieser Epoche ehrfürchtig auf, die alten Statuen von Lenin, Dserschinski, Kirow und Marx, die Namen von Straßen und Ortschaften. Es fällt auf, dass in den besetzten ukrainischen Städten als erstes die alten sowjetischen Ortsnamen wieder eingeführt werden, von denen man sich seit dreißig Jahren weder in Russland noch in Belarus gelöst hat.

Putin hat als erstes die sowjetische Nationalhymne wieder eingeführt, Lukaschenko die Fahne und das Wappen des Lands. Und die russischen Panzer fuhren in die Ortschaften der Chersoner Region manchmal mit aufgepflanzten roten Fahnen ein. Das ist nicht die Nostalgie alter Moskauer KGBler, das ist Treue zum jahrhundertalten Bolschewismus.

Wie in jeder Gaunerbande verrät der Bolschewismus seine eigenen Leute nicht. Jede Selbstkritik hält man für Schwäche, deshalb werden Nikita Chruschtschow mit seiner Kritik an Stalins Personenkult, werden Gorbatschow und Jelzin für die Bolschewiken niemals Helden sein. Ihnen werden die Bolschewiken niemals Denkmäler errichten. Stalin und Andropow dagegen – aber gern.

Die Ukrainische Volksrepublik

Ich erlaube mir, an die wichtigsten Aspekte des ersten Kriegs der Bolschewiken zu erinnern:

Am 20. November 1917 (gregorianischer Kalender) rief der Ukrainische Zentralrat (Zentralna Rada) in ihrem 3. Universal die Ukrainische Volksrepublik aus, ohne sich von der Russischen Republik abzuspalten, um ihre Einheit zu bewahren und ihr zu helfen, eine Föderation gleicher freier Völker zu werden, wie es hieß. Die Wahlen zur Konstituierenden Versammlung von acht ukrainischen Gouvernements – Kiew, Jekaterinoslaw, Cherson, Podolien, Wolhynien, Tschernigow, Charkow und Poltawa – zeigten die Kraft des ukrainischen Nationalgefühls und das Festhalten an den Losungen der Sozialrevolutionäre.

In all diesen Gouvernements, außer dem Gouvernement Cherson, erhielten die Parteien, die im Gegensatz zu den allrussischen Parteien offen ihr „Ukrainertum“ proklamierten, zwischen 60 und 80 Prozent der Wählerstimmen. Die ukrainischen Sozialrevolutionäre stellten darunter die überwiegende Mehrheit.

Die wohlhabende bäuerliche Ukraine sehnte sich ganz und gar nicht nach bolschewistischer Ausplünderung. Die Bolschewiken erhielten überall 12 bis 20 Prozent der Stimmen, nicht mehr. Nur im Gouvernement Cherson (dem heutigen Odessa sowie den Regionen Nikolajew und Cherson), das überwiegend nicht von Ukrainern sondern von Übersiedlern aus ganz Russland bewohnt war, erhielten die ukrainischen Sozialrevolutionäre nur wenig mehr als 10 Prozent der Stimmen, die allrussische PSR (Partei der Sozialrevolutionäre) mehr als die Hälfte. Die Bolschewiken sammelten hier weniger als 12 Prozent der Stimmen, die Kadetten [die Konstitutionell-Demokratische Partei] 7 Prozent.

In der Nacht vom 12. auf den 13. Dezember besetzten die Einheiten der Ukrainischen Nationalarmee Kiew. Sie nahmen das bolschewistische Revolutionskomitee unter der Führung von Georgi Pjatakow fest und schickten die bolschewistischen Führer nach Moskau.

Der Zentralrat erklärte, das ukrainische Arbeitervolk werde dem Rat der Volkskommissare der Sowjetunion würdigen Widerstand leisten können. Und tatsächlich: Auf dem allukrainischen Kongress der Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte schlugen die Mitglieder der Sozialrevolutionären Bauernorganisation „Spilka“ die Bolschewiken verheerend und übernahmen die Mandatskommission und das Präsidium des Kongresses.

Die Bolschewiken sahen sich auf einmal mit der organisierten Manifestation der ihnen feindlich gesonnenen „Volks“-Macht konfrontiert, verließen Kiew fluchtartig Richtung Charkow, wo sie zu einem eigenen Kongress zusammentraten und verkündeten, sie würden die Macht in der Ukraine übernehmen. Dieser Rätekongress der Ukraine in Charkow, dessen Delegierte die bolschewistischen Parteikomitees ernannt waren, erklärte die Ukraine zur sozialistischen Republik und teilte sie sodann in die Sowjetrepubliken Donez-Kriwoi Rog und Odessa. Die Roten Truppen aus Charkow besetzten unverzüglich die ukrainischen Städte und Dörfer.

Nach der Auflösung der Konstituierenden Versammlung, als die Gefahr bestand, dass Kiew besetzt werde und nach den Bedingungen des Separatfriedens mit Deutschland die ukrainischen Gouvernements dem Feind übergeben wurden, rief die Rada am 9/22. Januar 1918 in ihrem 4. Universal die Ukrainische Volksrepublik als „abhängigen und freien Staat des ukrainischen Volkes“ aus. Sie schickte ihre Delegation nach Brest-Litowsk, erhielt die Anerkennung der Deutschen und Österreicher und verpflichtete sich, den Mittelmächten eine Million Tonnen Lebensmittel und Brennstoff zu liefern.

Wie man sieht, bestand Lenins „Verdienst“ an der ukrainischen Unabhängigkeit lediglich darin, nach bolschewistischer Manier befohlen zu haben, die allukrainische Konstituierende Versammlung aufzulösen, womit er das wahre Gesicht des Bolschewismus zeigte und damit die Ukraine zwang, so schnell wie möglich die Bindungen an Russland zu beenden.

Die Rote Armee schlägt zurück

Schon zwei Wochen nach der Proklamation des 4. Universals nahm die Rote Armee unter dem linken Sozialrevolutionär Oberstleutnant Michail Murawjow Kiew ein. Die zähen Kämpfe zwischen den roten Einheiten und den Truppen der ukrainischen Patrioten, den Junkern und Kosaken dauerten neun Tage.

Gleichzeitig organisierte das bolschewistische Revolutionskomitee einen Aufstand gegen die Rada innerhalb der Stadt. Der Aufstand wurde niedergeschlagen, aber als die Bolschewiken begannen, die Stadt mit schweren Geschützen zu beschießen, brach Panik aus, und in der Nacht zum 9. Februar neuer Zeit flohen die Zentralna Rada und das Sekretariat (die Regierung) aus Kiew nach Schytomyr.

Als die Bolschewiken Kiew erobert hatten, veranstalteten sie ein blutiges Strafgericht. An die 5000 Offiziere und Hunderte junger ukrainischer Hajdamaken wurden niedergemetzelt. Gleich am ersten Tag der bolschewistischen Herrschaft wurde der Kiewer Metropolit Wladimir (Bogojawlenski) von den revolutionären Soldaten brutal ermordet, namhafte Ärzte wie der Chirurg Botscharow und der Arzt Rachlis wurden erschossen, weil sie Armeeuniformen trugen, der populäre Sänger Sokolskij, weil er antibolschewistische Couplets gesungen hatte. Sie töteten mit der gleichen Grausamkeit und Gier Russen und Ukrainer, Juden und Polen.

Nach Aussagen eines Augenzeugen richteten die Rotarmisten jeden hin, der so naiv war, sein rotes Büchlein vorzuzeigen, Beweis seiner Zugehörigkeit zur ukrainischen Bürgerschaft. Goldene Offiziersschulterklappen oder ein Paar schöne Schuhe, auf die es ein Rotarmist abgesehen hatte, waren Grund genug für eine Kugel in den Kopf. Alles lief auf die sehr bekannte bolschewistische Art.

„Die erste Ankunft der Bolschewiken in Kiew wurde von der russischen Bevölkerung Kiews, die die schrankenlose Ukrainisierung längst satt hatte, sogar noch mit Freuden begrüßt. Doch schon bald trat die Tscheka in Aktion, bald erschien der berüchtigte Offizier Martyn Iwanowitsch Lazis, das Leben wurde angstvoll, die Plünderungen in Kiew häuften sich. ... Von Woche zu Woche wurde das Leben immer qualvoller..., und da wurde die Herrschaft der Bolschewiken auf einmal beendet, die Deutschen kamen“, schrieb der Potopresbyter Wassyl Wassyljowytsch Senkiwskyj in „Fünf Monate an der Macht. Erinnerungen“.

Die Führer der Ukraine, die sich bis dahin an der Entente orientiert hatten, schlossen in Brest eilig einen Separatfrieden mit den Mittelmächten und wandten sich am 12. Februar an Deutschland mit der Bitte um Hilfe. Am 2. März stellten die deutschen Truppen die Herrschaft der Rada in Kiew wieder her. Die Bolschewiken flohen und hinterließen eine ausgeplünderte und buchstäblich blutüberströmte Stadt.

Nach einer treffenden Bemerkung von W. W. Schulgin waren die bis dahin prorussisch und antideutsch eingestellten Kiewer Bürger nach den drei Wochen der bolschewistischen Herrschaft bereit zu sagen: „Wir wünschen dem westlichen, fremdgläubigen Zaren untertan zu sein.“

Das Arrangement mit dem Bolschewismus

Seit genau 105 Jahren dauert der Kampf zwischen der menschlichen Einstellung zum Menschen, dem Recht, seine Freiheit und Würde zu entwickeln, und dem Bolschewismus, der nichts anderes will, als den Menschen bis zum Grunde auszusaugen, ihn zu seiner Waffe zu machen, zu einem Sklaven ohne Gewissen und ohne Ehre. Und man muss zugeben, dass der größte Teil der russischen Bevölkerung sich mit dem Bolschewismus arrangiert hat und nach seinen Regeln lebt; sie ist zu einem Teil der bolschewistischen Gauner-Gemeinde geworden, ohne sich dessen bewußt zu sein.

Und jetzt haben die alten KGB-Offiziere diesen „letzten Krieg“ begonnen, weil sie ihre unbegrenzte verbrecherische Macht auf die „unter den Schwächlingen“ verlorenen Gebiete ausdehnen wollen, Gebiete, die unabhängige, normale Länder geworden sind, mit Demokratie, lokaler Selbstverwaltung und bürgerlichen Freiheiten. Diese Offiziere haben sich tatsächlich fest um Putin herum zusammengeschlossen, aber sie sind bereit, selbst Putin zu opfern, wenn er auch „Schwäche“ zeigen sollte. Dann werden sie ihn ohne mit der Wimper zu zucken auffressen, für die heißbegehrte Macht über den Raum und die menschlichen Seelen.

Diejenigen, die an das neue, sich demokratisierende Russland glaubten, hatten angefangen, gemäß den Grundsätzen normaler Menschen zu leben, sie zahlten Steuern, achteten die Gesetze, maßen ihre Kräfte bei den Wahlen. Und jetzt staunen sie mit offenem Mund das wildgewordene blutige Teufelswerk an, das die russischen Jungs in den Schlund eines sinnlosen Kriegs schleudert.

Putins neuer Krieg gegen die Menschlichkeit

Viele glauben, Putin sei verrückt geworden, weshalb er dieses schreckliche albtraumartige Blutbad begann und Menschen für die Losung „kein Krieg“ bestraft. Aber weder Putin noch die Leute um ihn herum sind verrückt geworden. Das ist „einfach“ ein neuer Krieg des Bolschewismus gegen die Menschlichkeit. Im Grunde genommen ein Krieg des Bolschewismus gegen die Ukraine und zugleich gegen Russland.

Den ersten Krieg damals hat der Bolschewismus gewonnen. 1921 machte Lenin mit dem Einverständnis von Polen den größten Teil der Ukraine zu einer ukrainischen SSR, wobei er Galizien und Wolhynien opferte. Und 1922 erstickte er das letzte Auflodern des russischen antibolschewistischen Widerstands im äußersten Osten des Imperiums.

Heute tobt in den weiten Ebenen der Ukraine ein neuer Vaterländischer Krieg des ukrainischen Volks gegen den Bolschewismus. Er wird geführt mit bewundernswertem Heldentum und unglaublichem Mut. Und in dieser Offenheit und Freiheit, welche die ukrainischen Soldaten zeigen, erkenne ich auch unsere russischen „Freiwilligen“ von 1918 bis 1922.

Das ist ein Krieg, ein Krieg für den Menschen, für das Recht, ein freier Mensch auf seinem Grund und Boden zu sein. Und ich hoffe, es ist der letzte Krieg des bolschewistischen Russlands. Schon bald, vielleicht gerade als Folge dieses Kriegs, wird unser Russland endlich nicht mehr bolschewistisch sein. Für immer. Der Kreis schließt sich.

Dieser Beitrag ist auch im Original in russischer Sprache verfügbar.

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