Ist eine Antikriegsbewegung möglich?

Putins Angst vor Ukrainisierung und Demokratie und die Marginalisierung der Opposition

Flagge russische Opposition
Weiß-blau-weiß ohne die Blutfarbe rot: Die Fahne der russischen Opposition

In seinem Protestschreiben gegen die russische Invasion in die Ukraine, das am 25. Februar in der regierungskritischen Zeitung Nowaja Gaseta veröffentlicht wurde, sagte ihr Chefredakteur und Friedensnobelpreisträger Dmitri Muratow Folgendes: „Nur eine Antikriegsbewegung der Russen kann das Leben auf diesem Planeten retten.“

Ist aber eine solche Bewegung in Sicht? Werden die russischen Kriegsgegner imstande sein, das zu wiederholen, was ihnen schon einmal gelungen war – nämlich die eigene Regierung zu zwingen, den von ihr begonnenen Krieg zu beenden? Dies war beim sogenannten ersten Tschetschenienkrieg von 1994 – 1996 in der Tat der Fall.

Die im Dezember 1994 vom russischen Staatspräsidenten Boris Jelzin befohlene Bestrafungsaktion gegen die abtrünnige tschetschenische Republik führte zu einer tiefen Spaltung im Lager der russischen Demokraten, die im August 1991 gemeinsam den Putschversuch der kommunistischen Dogmatiker bezwungen hatten. Der tschetschenische Separatismus wurde zwar von der Mehrheit der Demokraten bedauert, sie lehnten aber eine gewaltsame Rückführung Tschetscheniens in den russischen Staatsverband ab.

Einer der prominentesten Kritiker Jelzins aus dem demokratischen Lager, Jegor Gaidar, schrieb Ende 1994 an den russischen Präsidenten: „Die Erstürmung Grosnys (der Hauptstadt Tschetscheniens) wird ein Schlag gegen die Integrität Russlands sein, gegen den demokratischen Fortschritt und gegen all das, was Sie in den letzten Jahren erreicht haben.“

Die Entfremdung zwischen Jelzin und seinen demokratischen Verbündeten führte zu seiner immer stärkeren Zuwendung zu den sogenannten Machtministerien (Silowiki, Innen- und Verteidigungsministerium, Sicherheitsdienst), deren Rückgrat die während der Augustrevolution partiell entmachteten Eliten darstellten.

Dessen ungeachtet konnte man damals keineswegs von einer Wiederherstellung der seit der Gorbatschowschen Perestroika erschütterten Kommandostrukturen im Land sprechen. Die russische Zivilgesellschaft und die politischen Parteien konnten sich weiterhin frei entfalten und die Presse – die „vierte Gewalt“ – wurde zu einem der wichtigsten Gegenspieler der Exekutive. Die Politik der Regierung befand sich unter einem permanenten Beschuss der Medien, immer wieder meldeten sich dort scharfe Kritiker des Kriegs zu Wort.

So schrieb die Zeitung Iswestija am 29. Dezember Folgendes: „Eine gewaltsame polizeiliche Bestrafungsaktion wie sie zurzeit in Tschetschenien durchgeführt wird, kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung unterstützt wird … Alle Anzeichen sprechen aber dafür, dass die Kriegshandlungen in Tschetschenien von der Mehrheit der Bürger abgelehnt werden.“

Brutal gegen die tschetschenische Zivilbevölkerung

Und in der Tat: Etwa 70 Prozent der befragten Russen lehnten kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in Tschetschenien im Dezember 1994 diesen Krieg ab. Zu Beginn des ersten Tschetschenien-Kriegs wurde allgemein befürchtet, dass die Errichtung eines diktatorischen Regimes in Russland nun unmittelbar bevorstehe. Diese Befürchtungen haben sich aber nicht bestätigt.

In einem Kommentar der Frankfurter Allgemeine vom 12. April 1995 konnte man in diesem Zusammenhang lesen: „Russland ist, das muss der Gerechtigkeit halber gesagt werden, bisher nicht in die autoritäre Herrschaft eines Polizei- und Militärregimes abgekippt, wie die Pessimisten es zu Beginn des Tschetschenien Abenteuers prophezeit hatten.“

Zahlreiche russische Journalisten und Menschenrechtler reisten wiederholt nach Tschetschenien, um aus der Nähe das Kriegsgeschehen zu beobachten. Dabei prangerten sie immer wieder das brutale Vorgehen der russischen Streitkräfte gegen die Zivilbevölkerung an.

Dafür wurden sie vom Verteidigungsminister Pawel Gratschow als Landesverräter und Feinde Russlands bezeichnet. Diese verbalen Attacken vermochten indes nicht die Kritiker der Regierungspolitik zum Schweigen zu bringen.

Und nicht zuletzt unter dem Druck der Öffentlichkeit suchte die Regierung nach Wegen, um den Krieg zu beenden. Letztendlich wurde im September 1996 nach zähen Verhandlungen in der nordkaukasischen Stadt Chassawjurt ein Abkommen unterzeichnet, das den Krieg faktisch beendete.

Paradigmenwechsel: Putin als Anti-Jelzin

Der von Putin am 24. Februar entfesselte Angriffskrieg gegen die Ukraine vollzieht sich allerdings in einer ganz anderen Konstellation als der „erste“ Tschetschenienkrieg. Dies hat nicht zuletzt mit dem Paradigmenwechsel zu tun, der in Russland nach dem Rücktritt Jelzins Ende 1999 stattfand.

Denn zu den wichtigsten Handlungsantrieben Jelzins gehörte die Auseinandersetzung mit dem Erbe der KPdSU, deren Tätigkeit auf dem Gebiet der RSFSR er am 6. November 1991 – am Vorabend des 74 Jahrestags der bolschewistischen Revolution – verbot. Aus diesem Grund ist die These, die der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin in seinem Artikel „Putin ist geliefert“ (SZ vom 26./27. Februar 2022) formulierte, dass Jelzin so gut wie keine Auseinandersetzung mit der totalitären Vergangenheit des Lands gewagt hätte, wenig überzeugend.

Der bekannte polnische Regimekritiker Adam Michnik war diesbezüglich ganz anderer Meinung als Sorokin. Kurz nach dem am 31. Dezember 1999 erfolgten Rücktritt Jelzins schrieb Michnik: Jelzin habe sich unablässig um einen Bruch mit dem bolschewistischen Erbe bemüht, dies sei die wichtigste Antriebskraft seines politischen Tuns gewesen.

Der Herrschaftsstil Putins dagegen unterschied sich von Anfang an grundlegend von demjenigen seines Vorgängers, obwohl es Jelzin selbst war, der ihn zu seinem Nachfolger auserkor. Im Zentrum der Aufmerksamkeit Putins stand nicht die Auseinandersetzung mit dem diktatorischen Erbe Russlands, sondern umgekehrt der Versuch, die Folgen der demokratischen Augustrevolution von 1991 wie auch des Treffens im belarussischen Viskuli vom 8. Dezember 1991, das die Auflösung der UdSSR beschlossen hatte, rückgängig zu machen. Da die beiden Ereignisse untrennbar mit der Person des ersten russischen Präsidenten verbunden waren, stilisierte sich Putin zu einer Art Anti-Jelzin. Die 1990er-Jahre, in denen Jelzin die Entwicklung des Lands geprägt hatte, wurden von den regierungsnahen Medien unentwegt als die Zeit des vollständigen Chaos und des Verfalls dämonisiert.

Putins Angst um „das Erreichte“

Die skandalumwitterte Übernahme des unbotmäßigen Fernsehsenders NTV durch den Staatskonzern Gazprom im Jahre 2001 zeigte deutlich, in welche Richtung sich die von Putin errichtete „gelenkte Demokratie“ bewegen sollte. Sie zielte auf eine weitgehende Demontage der zivilgesellschaftlichen und rechtsstaatlichen Strukturen hin, die in der Gorbatschowschen und in der Jelzinschen Periode entstanden waren.

Und es ist Putin in der Tat gelungen, all diese Strukturen innerhalb von wenigen Jahren auszuhöhlen bzw. zu zerstören. Abgesehen davon sind die Verfechter der „gelenkten Demokratie“ imstande, mit Hilfe der staatlich kontrollierten Medien die Stimmung der Bevölkerung in die von ihnen gewünschte Richtung zu drehen.

Trotz dieser scheinbaren „Erfolge“ fühlen sich die Verteidiger der „gelenkten Demokratie“ keineswegs als omnipotente Sieger. Das alles beherrschende Motiv ihres Handelns scheint die Angst um „das Erreichte“ zu sein.

Angesichts dieser Sachlage stellte der Sieg des ukrainischen Euromaidan Anfang 2014 für die Putin-Equipe einen wahren Schock dar. Denn sie war sich darüber im Klaren, dass der demokratische Aufbruch in einem Land, das sprachlich, kulturell und geschichtlich mit Russland so eng verwandt ist, an der russisch-ukrainischen Grenze nicht stehen bleiben würde.

Daher auch ihr Versuch die Ukraine zu spalten und zu destabilisieren. Dies tat sie nicht zuletzt durch die Annexion der Krim und durch das Schüren eines „hybriden Kriegs“ in der Ostukraine.

'Imperiale Revanche', 'patriotischer Tsunami'

Die Annexion der Krim rief in Russland eine Art „patriotischen Tsunami“ hervor (Nowaja gaseta), Putins Popularität hat eine schwindelnde Höhe erreicht. Für die Verfechter der „imperialen Revanche“ in Russland bildete indes die Krim nur die erste Etappe der „imperialen Reconquista“. Sie plädierten für die Fortsetzung der russischen Expansion, und zwar in Richtung des ukrainischen Südostens, um das sogenannte Neurussland-Projekt zu verwirklichen.

Einer der radikalsten Befürworter dieses „Projekts“, der rechtsradikale Publizist Alexander Dugin schrieb am 11. April 2014 Folgendes: „Um die Krim zu behalten, benötigen wir unbedingt den Südosten (der Ukraine). Die Krim wiederum brauchen wir, um Russland … zu revitalisieren. … Entweder der Südosten oder der Tod.“

Putin erteilte indes dem „Neurussland-Projekt“ im Jahre 2014, zumindest vorübergehend, eine Absage. Dies hatte vermutlich nicht zuletzt damit zu tun, dass ihn die Festigkeit der transatlantischen Bindungen überraschte. Statt einen Keil zwischen die EU und die USA zu treiben, löste seine aggressive Ukraine-Politik einen für ihn unerwarteten Solidarisierungseffekt der Nato-Staaten diesseits und jenseits des Atlantiks aus. Um den Westen nicht zusätzlich zu provozieren, nahm Putin vorerst Abstand vom „Neurussland-Projekt“.

Rachefeldzug gegen den Westen

All diese Rücksichten ließ er indes fallen, als er am 24. Februar 2022 einen großangelegten Angriffskrieg gegen die Ukraine begann. Nun geht er wesentlich weiter als dies seinerzeit die Extremisten aus dem „national-patriotischen“ Lager beabsichtigt hatten. Er plant nicht nur die Annexion des ukrainischen Südostens, sondern auch die Zerstörung der ukrainischen Staatlichkeit als solcher.

Er scheint nach einem Szenario zu handeln, das der oben erwähnte Alexander Dugin bereits im Jahre 1997 in seinem Buch „Die Grundlagen der Geopolitik“ entworfen hatte, als er schrieb: „Das weitere Bestehen der Ukraine in ihren jetzigen Grenzen als ‚souveräner Staat‘ stellt einen ungeheuren Schlag für die geopolitische Sicherheit Russlands dar. … Die Existenz einer einheitlichen Ukraine ist nicht hinnehmbar.“

Warum hat sich die Position Putins inzwischen an diejenige Dugins angenähert, der unentwegt von einem Rachefeldzug gegen den Westen träumt und in Endzeitkategorien denkt? Warum entfesselte der Kreml-Diktator am 24. Februar diesen verheerenden Krieg?

Dies hat sicherlich nicht zuletzt mit seinem fehlenden Weitblick zu tun, worauf einer seiner schärfsten Widersacher, der am 27. Februar 2015 ermordete Boris Nemzow, bereits kurz nach der Krim-Annexion hingewiesen hat. Denn beinahe alle Prämissen, von denen Putin bei seinem Überfall ausging, sollten sich als falsch erweisen.

So war er davon überzeugt, wie dies manche Kommentatoren hervorheben, dass es der russischen Armee gelingen würde, die ukrainischen Streitkräfte innerhalb von wenigen Tagen zu zerschlagen. Er dachte an einen „kleinen und siegreichen Krieg“.

Ein ähnlicher Krieg hatte auch dem zarischen Innenminister von Plehwe zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgeschwebt, als er den Zaren Nikolaus II. überzeugen wollte, Japan in seine Schranken zu weisen. Dass der 1904 ausgebrochene Russisch-Japanische Krieg nach einem ganz anderen Szenario ablief, ist bekannt. Ähnlich falsch schätzte Putin bekanntlich auch das Widerstandspotential der Ukrainer ein.

Der ukrainische Präsident Selensky sagte im Interview mit der Zeit Folgendes: „Der Kreml rechnete nicht damit, dass dieser Krieg ein vaterländischer Krieg für uns sein würde.“

Eine andere falsche Prämisse Putins war mit dem Debakel der westlichen Allianz in Afghanistan verbunden. Er hielt anscheinend die Nato nicht mehr für handlungsfähig. Auch diese Annahme erwies sich als falsch. Und schließlich war Putin davon überzeugt, dass die Europäische Union aufgrund ihrer Heterogenität und innerer Zwistigkeiten aufgehört habe, als politischer Akteur eine Rolle zu spielen.

Dennoch hat der Freiheitskampf der Ukrainer der EU ganz unerwartet zu einer neuen Vitalität verholfen. Sie hat durch ihre Solidarität mit der Ukraine erneut das lang vermisste „Narrativ“ (Werner Weidenfeld) gefunden.

Russische Opposition gegen den Krieg

Aber die westlichen Solidaritätsbekundungen mit den Ukrainern und Waffenlieferungen werden nicht ausreichen, um das Kräfteungleichgewicht zwischen Russland und der Ukraine zu kompensieren. Was die drastischen westlichen Sanktionen anbetrifft, so werden sie nur allmählich ihre Wirkung zeigen.

So erhält in diesem Zusammenhang die Einstellung der russischen Gesellschaft zum Putinschen Angriffskrieg eine immer größere Relevanz. Wie realistisch ist die Entstehung einer breit angelegten russischen Antikriegsbewegung, von der Dmitri Muratow eingangs sprach?

Sie sei noch nicht da, sie werde aber kommen, meint einer der prominentesten russischen Oppositionspolitiker, Grigori Jawlinski. Zurzeit ist sie in der Tat nur in Ansätzen vorhanden. Trotz drakonischer Strafen demonstrieren unerschrockene Regimekritiker in vielen russischen Städten gegen den Überfall Putins auf das ukrainische „Brudervolk“ (vgl. dazu auch die spektakuläre Protestaktion der Fernsehredakteurin Marina Owsjannikowa vom 14. März), hunderte Wissenschaftler, Journalisten und Künstler unterzeichneten Protestschreiben gegen diesen Krieg, die u.a. folgende Worte enthielten: „Der Krieg Russlands gegen die Ukraine – das ist eine SCHANDE, UNSERE Schande“.

Auch die Nowaja Gaseta kämpft unentwegt, trotz immer härter werdenden Repressalien und Verbote, gegen die von oben verordnete propagandistische Lüge. Dennoch haben die Appelle und Proteste der Kriegsgegner, bisher nur eine begrenzte Resonanz erzielt.

Die Bevölkerungsmehrheit schwimmt mit dem Strom und scheint die von der offiziösen Propaganda konstruierte gespenstische Pseudowirklichkeit für die wahre Realität zu halten. Viele zeichnen überall den Buchstaben „Z“, der als Zeichen der Solidarität mit dem Putinschen Angriffskrieg gilt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom 5. März unterstützten 71 Prozent der befragten Russen die „militärische Spezialoperation“ der russischen Streitkräfte in der Ukraine (also den Krieg). Nur 21 Prozent waren dagegen.

Marginalisierung der Opposition

Die beinahe gänzliche Marginalisierung der innerrussischen Opposition durch die Kremlführung erinnert an eine Entwicklung, die in der Sowjetunion kurz nach dem Beginn der sowjetischen Invasion in Afghanistan (Dezember 1979) stattgefunden hat. Auch damals hatten die sowjetischen Sicherheitsorgane ihren repressiven Kurs zusätzlich verschärft und die ohnehin bescheidene organisatorische Infrastruktur der in den 1960er-Jahren entstandenen sowjetischen Bürgerrechtsbewegung beinahe gänzlich zerschlagen.

Die Verbannung Andrei Sacharows – der integrierenden Gestalt der sowjetischen Dissidentenbewegung – in die Stadt Gorki (Januar 1980) symbolisierte den Höhepunkt dieses Feldzugs gegen die „Andersdenkenden“. Die sowjetischen Machthaber fühlten sich damals wie omnipotente Sieger.

Kurz nach der Verbannung Sacharows verkündete der erste stellvertretende Vorsitzende des KGB, Semjon Zwigun: Die Dissidentenbewegung existiere in der Sowjetunion nicht mehr, dieses Problem sei nun gelöst.

Die apodiktische Feststellung Zwiguns, war, wie wir heute wissen, zu voreilig. Fünf Jahre später begann in der Sowjetunion die Perestroika, die in vieler Hinsicht, bewusst oder unbewusst, an manche Postulate der sowjetischen Bürgerrechtler anknüpfte.

Es stellte sich nun heraus, dass das Breschnewsche System mit seinem bürokratischen Kontrollzwang und seiner gänzlichen Absage an die gesellschaftliche Spontaneität bei weitem nicht so stabil war, wie es zu sein schien.

Ähnliches kann man auch über die Putinsche „gelenkte Demokratie“ sagen. Da sie der Gesellschaft jedes Mitspracherecht verweigert und kein Korrektiv zu ihrem abenteuerlichen politischen Kurs duldet, hat sie Russland innerhalb kürzester Zeit aus der Moderne quasi herauskatapultiert.

Ähnlich wie das Breschnew-System in der Epoche der sogenannten Stagnation stellt auch die Putinsche „gelenkte Demokratie“ einen lebenden Anachronismus dar, und es ist fraglich, ob es ihr gelingen wird, ihren Widerstand gegen den Zeitgeist allzu lange aufrechtzuerhalten.

Putins Motive

Und noch eine abschließende Bemerkung zu Putins Motiven, über die man seit geraumer Zeit in Ost und West unentwegt rätselt. Viele sprechen von seinem Wunsch, das Sowjetimperium in einem neuen Gewand wiederherzustellen. Andere sagen, er wolle den Sieg des Westens im Kalten Krieg ungeschehen machen.

Eine andere Erklärung für Putins abenteuerlichen Ukrainekurs gab indes der bereits erwähnte Boris Nemzow. Bei einer Protestkundgebung gegen die russische Annexion der Krim im März 2014, hob Nemzow hervor, dass Putin mit dieser „Operation“ vor allem ein Ziel verfolge: Sie solle ihm dazu verhelfen, „ewig über (Russland) zu herrschen“.

Dient auch der von Putin am 24. Februar begonnene Angriffskrieg gegen die Ukraine in erster Linie dem von Nemzow genannten Ziel? Diese Frage lässt sich zurzeit noch nicht eindeutig beantworten.

Eines kann man aber sagen: Die Ukraine, die keine Kernwaffen besitzt, stellt für Russland, das über 6000 Atomsprengköpfe verfügt, keine militärische Bedrohung dar. Was aber bei der Kremlführung panische Ängste hervorruft, ist der demokratische Aufbruch, der in der Ukraine vor einigen Jahren stattfand. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass Putin nicht zuletzt deshalb die Ukraine militärisch unterwerfen will, um eine „Ukrainisierung“ der russischen Gesellschaft zu verhindern.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 15. März 2022 erschienen auf der Webseite Die Kolumnisten.

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