Was Kasachstan den Kreml kostet

Militäreinsätze sind teuer, aber auch die Russen wollen besser leben statt ein mächtigeres Reich

Teure Hilfe: Russisches Militär erreicht Kasachstan.

In Kasachstan sind Fallschirmjäger der russischen Eliteeinheit Spetsnaz – der Sondereinsatztruppe des russischen Militärs – gelandet, um die gewalttätigen landesweiten Proteste gegen das kremlfreundliche Regime des Lands zu unterdrücken. Diese Aktion kommt zu einer Zeit, in der Russland auch nahe der ukrainischen Grenze große Truppenverbände versammelt hat – und nur 15 Monate nach dem Einsatz einer russischen Schützenbrigade, um den Kampf zwischen Armenien und Aserbeidschan in Bergkarabach zu beenden. Versucht Präsident Wladimir Putin wirklich, ein neues russisches Reich aufzubauen?

Natürlich kann man nie mit Sicherheit wissen, was die Sphinx im Kreml beabsichtigt. Aber was auch immer Putins Pläne sind: Durch seine Handlungen untergräbt er auf fatale Weise die Idee, die hinter der Gründung der russischen Föderation vor 30 Jahren steht.

Über Boris Jelzin, den ersten nachsowjetischen Präsidenten Russlands, wird heute kaum noch gesprochen. Am ehesten erinnern sich die Russen wahrscheinlich an seinen übermäßigen Alkoholkonsum, oder, wichtiger, an die Inflation und Armut, von der Russlands Übergang zu einer Marktwirtschaft begleitet wurde. Mit seinen tiefgreifenden historischen Einsichten bringen sie ihn wahrscheinlich nicht in Verbindung.

Aber es war Jelzin, der den monumentalen Preis erkannt hat, der nötig war, um das sowjetische Reich aufrecht zu erhalten – ein Preis, der dazu beigetragen hat, die Russen ins Elend zu stürzen und in einem Polizeistaat einzusperren. Nur durch die Begrenzung dieser Kosten – durch die Auflösung des Reiches und die Einführung einer freien Marktwirtschaft – konnte Russland seinen Menschen Befreiung und Wohlstand bringen.

Welcher Preis fürs Reich ist gerechtfertigt?

Aber am Silvesterabend 1999 hat Jelzin seine Vision wohl zum Scheitern gebracht. Der Mann, dem er damals die Macht übergab, scheint nun entschlossen, die besten Einsichten seines Vorgängers zu sabotieren. Auch wenn Putin nicht per se versucht, das russische Reich wieder aufzubauen, scheint er entschlossen, die Kontrolle über einige ehemalige Sowjetstaaten zu erlangen. Dies ist ein sehr kostspieliges Vorhaben.

Der genaue Anteil des sowjetischen BIP, der in den Erhalt der damaligen Union floss, ist unklar. Aber angesichts der Anforderungen der Industrieproduktion und des sowjetischen militärisch-industriellen Komplexes, die zusammen bis zu 80 Prozent aller Staatseinnahmen verschlangen, kann man wohl sagen, dass es sich die Sowjetunion beispielsweise nicht leisten konnte, unproduktive Fabriken in abgelegenen Gebieten ihrer Republiken zu subventionieren – ganz zu schweigen von dem Blutpreis, den die Union in den Jahren nach der Afghanistan-Invasion 1979 entrichten musste.

Diese Kosten blieben den russischen Normalbürgern nicht verborgen, und sie übernahmen sie nur widerwillig – ebenso wie die britischen, französischen und österreichisch-ungarischen Bürger während der Hochphase ihrer eigenen Reiche. Aber für die Machthaber kann dies nicht gesagt werden. Von den Zaren über Lenin und Stalin bis zu Putin: Russlands Staatsführer glaubten fast immer, der Preis für das Reich sei gerechtfertigt.

Imperiale Macht will Kontrolle

Dies mag teilweise ihre Ideologie widerspiegeln. Laut der berühmten Beobachtung des palästinensischen Forschers Edward Said erzählt „jedes Reich sich selbst und der Welt, dass seine Mission nicht im Plündern und Kontrollieren besteht, sondern im Lehren und Befreien“. Ziemlich genau das haben die Russen auch über ihr Reich behauptet – insbesondere gegenüber den Weißrussen und ihren „kleinen Brüdern“ in der Ukraine.

Falls die russischen Machthaber an eine mission civilisatrice geglaubt haben, haben sie doch umso mehr daran geglaubt, dass ein solches Reich die nationale Sicherheit stärkt. Aber die Geschichte lehrt uns etwas anderes: In Wirklichkeit neigt die imperiale Kontrolle schnell dazu, zu weit zu gehen, was die Macht ins Wanken bringt und den Zusammenbruch des Reichs beschleunigt.

Der Preis der Ambitionen Putins für Russland wird immer höher: Nehmen wir die Militärausgaben des Lands, die von 3,8 Prozent des BIP im Jahr 2013 – dem Jahr, bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, die Krim besetzte und sezessionistische Kräfte in den östlichen Regionen Donetsk und Luhansk unterstützte – auf 5,4 Prozent im Jahr 2016 gestiegen sind.

2017 und 2018 ging der Anteil dieser Ausgaben am BIP zwar zurück, aber heute steigt er wieder. Angesichts dessen, dass Russland in der besetzten georgischen Region Abchasien, in der abtrünnigen moldawischen Region Transnistrien, in Bergkarabach, in Kasachstan, in Kirgisistan und in Belarus Truppen stationiert hat, ist dies keine Überraschung.

Schwieriger ist es, die strategischen Kosten der Reichsbildung zu quantifizieren, die Putin gern ignorieren würde. Die imperiale Agenda des Kreml, insbesondere die Annektierung der Krim, hat die eurasische Ordnung nach dem Kalten Krieg – vom Baltikum bis zur Beringsee – ins Wanken gebracht. Die anderen Weltmächte, insbesondere die Vereinigten Staaten und China, sind sehr daran interessiert, den Status quo, den Putin verändern will, beizubehalten.

Durch ihre Einigung nach dem Kalten Krieg konnten die Regierungen Ressourcen aus dem Militärhaushalt in ihre Sozialprogramme umleiten. Diese Friedensdividende hat nicht nur Russlands wirtschaftlichen Wandel ermöglicht, sondern auch den langen Aufschwung im Westen gefördert, der mit der Finanzkrise von 2008 endete.

China: Weniger Geld für Krieg, mehr gegen Armut

Aber der größte Profiteur war China. Erinnern wir uns, dass vor 40 Jahren entlang der chinesisch-sowjetischen Grenze riesige Armeen stationiert waren und Tausende russische Nuklearsprengköpfe auf chinesische Städte zielten. Durch das Ende des Kalten Kriegs konnte China also Ressourcen in seine wirtschaftliche Entwicklung umleiten und die Armut verringern. Die chinesischen Erfolge der letzten 30 Jahre an diesen Fronten sprechen für sich.

Angesichts all dessen fragt man sich, wie der chinesische Präsident Xi Jinping die russische Intervention in Kasachstan sieht, einem Land, das fast 1800 Kilometer Grenze mit China teilt – insbesondere hinsichtlich Putins früherer Aussagen, mit denen er die Geschichte der unabhängigen Staats Kasachstans herunterspielt. (Ähnliche Verachtung hat er auch für die Unabhängigkeit Weißrusslands, der baltischen Staaten und der Ukraine gezeigt.)

Umfragen des Lewada-Zentrums in Moskau legen nahe, dass nur wenige Russen bereit sind, ihren Lebensstandard gegen einen besseren globalen Status einzutauschen, also sollten die innenpolitischen Kosten eigentlich ausreichen, um Putin zu veranlassen, seine imperialen Ambitionen aufzugeben. Spätestens sollte er zur Vernunft kommen, wenn die Möglichkeit einer erneuten Rivalität zu China besteht. Aber dass Putin vernünftig handelt, kann nicht garantiert werden. Bereits heute ignoriert er die Lektionen aus Russlands eigener Geschichte.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff / Copyright: Project Syndicate, 2022.

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