Russland, „Garant des Friedens“?

Jessy Wellmer will wissen, warum so viele Ostdeutsche Verständnis für Putin zeigen

Gyse erklärt Wellmer Russland
Gysi zu Wellmer: "Die Ostdeutschen hängen irgendwie an der russischen Bevölkerung."

Jessy Wellmer hat sich nach Ostdeutschland begeben, um zu verstehen, weshalb Ostdeutsche mehr Verständnis für Putin zeigen als Westdeutsche. Dazu ist Wellmer, eigentlich das Gesicht der Sportschau, vier Wochen durch Ostdeutschland gereist: Ihre Recherche für „Russland, Putin und wir Ostdeutsche“ beginnt in Güstrow, wo sie geboren wurde, führt sie nach Lubmin, wo die Nord-Stream-Pipelines anlanden, nach Weimar und nach Dresden.

Dort, auf einer Demonstration, sagt eine Rentnerin, die Bundesregierung verkaufe Deutschland an die Amerikaner. „Es kommt mir vor, als wöllten die den 51. Staat aus uns machen.“ Russland bedrohe den Westen nicht, sagt sie, und ihre beiden Begleiterinnen nicken zustimmend. „Wenn die USA sich nicht eingemischt hätte in der Ukraine, dann wäre das gar nicht so weit gekommen.“

Für einen ehemaligen NVA-Offizier, dessen „Feindbild“ die USA sind, ist Russland noch immer der „Garant des Friedens. So haben wir das gelernt.“ Auch er betont die „massiven Provokationen seitens des Westens“ und sieht einen „Stellvertreterkrieg für die USA“.

Wie kommen sie zu dieser Überzeugung? Warum machen sie den Westen verantwortlich für Putins brutalen Angriffskrieg?

„Der Mensch lebt auch von dem, was er früher erlebt hat“, sagt eine alte Freundin von Wellmers Familie, eine ehemalige Lehrerin. „Und das prägt ihn. Und du bist 40 Jahre geprägt“.

Uwe Hassbecker, Gitarrist der Ost-Band Silly, ist fassungslos über Putins Überfall. Aber er sagt auch, es lasse sich „nicht von der Hand weisen, dass in den letzten 20, 30 Jahren die Nato durchaus gen Osten erweitert hat“. Das sei allerdings das gute Recht der jeweiligen Länder. Dass in Russland Oppositionelle wie Nawalny inhaftiert werden, findet er „entsetzlich“. Waffenlieferungen aus Deutschland bereiten ihm „Unbehagen“, aber man könne die Ukrainer auch nicht im Regen stehen lassen. „Eine blutrünstige Bestie muss man irgendwie stoppen.“

Es sind also nicht alle Ostdeutschen „Putinversteher“. Mehr als zwei Drittel sehen Russland laut einer im Film präsentierten Umfrage als Gefahr, im Westen allerdings 88.

Die Biografie macht‘s

Die Historikerin Silke Satjukow erklärt sich das Ost-Verständnis für Russland so: Schon die Kleinen hätten in der DDR Blumen auf ein sowjetisches Grab getragen. Dass wegen des von Deutschland ausgelösten Krieg 27 Millionen Sowjetmenschen umgekommen seien, das sei im Kopf und im Herzen. Man habe „eine Schuld abzutragen“. (Dass das nicht alle Russen waren, sondern viele Ukrainer, Belarusen und Menschen aus anderen Nationen waren, bleibt leider ungesagt.)

Satjukow sagt, in Krisen- und Kriegszeiten tendierten Menschen dazu, „die Komplexität zu reduzieren.“ Sie versuchten, sich den „undenkbaren Angriff“ zu erklären. „Und das gelingt ihnen nur in den Stereotypen ihrer Biografie. Und die heißen: Die Nato ist aggressiv. Sie greift an. Und wir müssen uns verteidigen. Das ist das, was sie gelernt haben.“

Die Dresdner Journalistin Antonie Rietzschel kritisiert: „Ignoranz des Westens gegenüber ostdeutschen Lebensläufen“. Immer wieder ist in Wellmers Film die Medienberichterstattung in Deutschland Thema. Es scheint ein verbreitetes „Unbehagen“ gegenüber den Medien zu existieren, ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Karsten Schneider (SPD), spricht von Demütigungserfahrungen vieler Ostdeutscher. Von denen steckten allerdings viele in einer „Informationsblase“, weil sie sich „aus sehr rechten und von Russland gesteuerten Kanälen“ informieren. „Da fehlt ein bisschen die Quellenkritik.“

In Berlin spaziert Wellmer mit Gregor Gysi durch den Tiergarten. Er nennt Putins Angriff „ein großer, großer Fehler“, der einen Bruch in seinem Verhältnis zu Russland bedeutete. Aber man müsse zwischen Putin und der russischen Bevölkerung unterscheiden. Die Ostdeutschen hängen ja nicht an Putin, sagt Gysi, „der ist ihnen egal. Aber sie hängen irgendwie an der russischen Bevölkerung.“ Wer eine „grundsätzliche Antihaltung zur Nato und zum Westen“ habe, dann sei es doch so: „Du willst doch nicht Unrecht gehabt haben. Also suchst du dir Erklärungen und sagst: Was hat denn der Westen alles Schlimmes und Falsches gemacht, was den Putin dazu gedrängt hat.“ Und so rette man nur sich selbst mit seiner eigenen Ideologie.

Jessy Wellmers Film ist bester Journalismus, nie Aktivismus. Sie will nicht belehren oder bevormunden, sie stellt Fragen, hört zu und will verstehen. Bei ihr darf man sich ein eigenes Urteil bilden. Großes Lob dafür.

Nichts verpassen!

Tragen Sie sich hier ein für unseren wöchentlichen Newsletter: