Russischer Tee schmeckt anders

Wie der Blätteraufguss nach Russland gelangte und sich dort verändert hat

Schwarzer russischer Tee aus dem Samowar mit Viburnum-Früchten

#28 – Peter Peters Zunge macht ihn zu einem wahren Kenner der Kochkunst und einem Meister des geschliffenen Worts. Für KARENINA schmeckt der Gastrosoph der russischen Küche nach.

Auf russisch-orthodoxe Art und nicht nach teutscher Manier
Nicht dünn wie Wasser, und auch kein Kindertrank.
Er duftet nach Russland

Pjotr Andrejewitsch Wjazemskij, Der Samowar (1838)

 

Gibt es etwas, das die asiatische Kulturprägung Russlands schmackhafter bestätigt als Tee? Sicher, Engländer und Iren trinken auch jede Menge von dem Blätteraufguss. Aber der ist erst auf dem langen Umweg über den portugiesischen Ostasienseehandel und die Teeleidenschaft einer lusitanischen Prinzessin, die 1662 einen Stuart-König ehelichte, auf die Britischen Inseln gelangt.

Russischer Tee ist dagegen direkt über die Seidenstraße und Zentralasien in das moskowitische Zarenreich diffundiert. Teetrinken, das war zunächst eine modische Nachahmung mongolischer und tatarischer Sitten. Noch heute kann man das Tee-Kontinuum, das die Russische Föderation mit dem fernen China verbindet, erleben, wenn man sieht, wie selbstverständlich Usbeken in Buchara oder Samarkand unter Maulbeerbäumen an Moscheenteichen sitzen und ihren grünen Aufguss schlürfen.

Wie der Tee russifiziert wurde

Der lange Weg über die „Teestraße“ hat den Tee allerdings verändert, russifiziert. Das fängt schon mit der Realität des monatelangen Karawanentransports an. Die Blätter oder der gepresste Ziegeltee fermentierten stärker, wurden „schwarz“. Wichtiger, sie nahmen durch die Lagerung der Ballen in der Nähe der Lagerfeuer einen leichten Rauchgeschmack an, der bis heute für die Marke Russischer Tee charakteristisch ist.

Orientalische und insbesondere osmanische Sitte ist auch, das Aufgussgetränk mit kandierten Früchten, eingedicktem Obstsirup oder lokum-Gelee zu servieren. Diese Angewohnheit wurde begeistert übernommen, auch weil Tee anders als in Kasachstan oder Turkmenistan meist nicht gegen Hitze sondern gegen Kälte getrunken wird. Schließlich gehörte tschaj zur unverzichtbaren Stärkung von Väterchen Frost und seinen frierenden Kutscherkollegen. Natürlich ebenfalls russifiziert mit eher nordischer Erdbeermarmelade statt irgendwelcher Granatapfelpasten.

Wie und wann der Tee nach Russland kam

Die frühesten Berichte über den China-Import datieren ins 17. Jh. Ein russischer Gesandter, der 1618 zum chinesischen Ming-Kaiser in Peking vordrang, erhielt 200 Kisten Tee als Geschenk und ließ die exotische Gabe auf dem Landweg zum Moskauer Zaren schaffen. Mit den Kamelen wanderte auch das nordchinesische Mandarin-Wort chá die Seidenstraße entlang und wurde über den Umweg der persischen Aussprache zu Russisch tschaj (während unser Tee auf südchinesische Dialekte zurückgeht).

Offensichtlich mundete das neue Prestige-Getränk dem Zaren, denn 1638 tauschte er mit dem Mongolenkhan Altyn eine Ladung Zobelfelle gegen 4 Pud Tee, was heute ungefähr 65 kg entspricht.

„Thee ist ein Kraut, welches die Russen Tschay nennen“, notiert 1674 der deutschstämmige schwedische Diplomat Johann Philipp Kilburger. Ein Beleg, dass Tee, wenn auch nur für die Begüterten bezahlbar, bereits als typisch russisch galt.

Tee-Boom im 19. Jahrhundert

Es dauerte, bis tschaj zum allgemeinen Nationalgetränk arrivierte. Verbesserte Transportmöglichkeiten und der Bau der ersten Eisenbahnen führten im 19. Jh. zu einem Boom des Heißgetränks. Zentren des Teehandels waren der Freihafen von Odessa, die Messe in Nischni-Nowgorod und die Metropole Moskau. Um 1850 gab es hier bereits mehr als hundert Teeläden, mehr als dreihundert Teestuben. Das „heidnische Kraut“ wurde zum Volksgetränk, oftmals auch zum Wodkaersatz und – stark auf dem Samowar eingekocht –  zur Droge.

Ein berühmtes Beispiel für den in der russischen Literatur allgegenwärtigen Topos ist die Szene aus Tolstojs Kreutzersonate, wo der Gattinnenmörder Posdnyschew sich mit selbstgebrautem Tee „stark wie Bier“ aufputscht, bevor er seine Lebensbeichte los wird. Tee wird zum Symbol für Häuslichkeit und entspannte Gespräche – oder zum Suchtfaktor. Oft verzichteten die Ärmsten der Armen aufs Essen, um ihre Kopeken für heißes Wasser und Teeblätter auszugeben.

Die Sowjetunion baute selbst an

Nach der Knappheit der Revolutionsjahre setzte die Sowjetunion auf Tee-Autarkie und erweiterte die Anbauflächen für grusinischen Schwarztee aus Westgeorgien. Heute wird der meiste Tee in Russland vom Weltmarkt importiert. Daneben halten aserbeidschanische Plantagen, das kleine nördlichste Teeanbaugebiet der Welt um Krasnodar, bei Sotschi am Schwarzen Meer und die nach dem Zerfall der UdSSR reduzierten grusinischen Pflanzungen traditionelle Marktanteile.

Den besten Tee gibt's in St. Petersburg

„Den besten Tee trinkt man in Sankt Petersburg und im Allgemeinen in ganz Russland“ urteilte Alexandre Dumas in seinem Grand dictionnaire de cuisine. Bis heute findet der typische Schwarztee mit Rauchnote, der werbewirksam immer noch als Karawanentee bezeichnet wird, seine Liebhaber.

Das legendäre Witthüs auf Sylt, wo man russischen Tee mit Kirschen zelebrierte, ist zwar seit Jahren geschlossen. Dafür führt das Bremer Tee-Handels-Kontor eine „Feine russische Mischung“ mit harzgeräuchertem Souchong und Twinings verpackt in London seinen Russian Earl Grey in blauer Box.

Am urrussischsten dürfte allerdings der Griff zu einer Kusmi-Dose mit Prince Wladimir, Anastasia oder St-Pétersbourg sein. Das dort 1867 von Pawel Kusmitschoff begründete Handelshaus war Hoflieferant des Zaren und emigrierte 1917 nach Paris. Ob man die Edelmischungen aus dünnem Porzellan genießt oder bodenständig aus dem Teeglas, bleibt jedem selbst überlassen. Im zweiten Fall sollte man einen russischen Design-Klassiker zu Ehren kommen lassen, der vor allem Zugreisende vor Verbrühungen und Verschüttungen bewahrt: den metallenen Teeglashalter podstakannik.

Lesen Sie weitere Beiträge unseres Gastrosophen Peter Peter in der Rubrik Leben/Kulinarisches.

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