Liebe geht durch den Magen

Wie Württemberg seine Zuneigung zu seinen russischen Königinnen zelebriert

Monument dauerhafter Liebe: Katharina Pawlownas Grabkapelle auf dem Württemberg

#11 – Peter Peters Zunge macht ihn zu einem wahren Kenner der Kochkunst und einem Meister des geschliffenen Worts. Für KARENINA schmeckt er der russischen Küche nach.

Dass Töchter aus dem deutschen Hochadel regelmäßig in das Haus Romanow-Holstein-Gottorp und damit auf den Thron des russischen Reichs einheirateten, ist bekannt: Alix von Hessen-Darmstadt, Gattin des letzten Zaren, war solch eine Hochgeborene, Katharina die Große, gebürtige Prinzessin von Anhalt-Zerbst, eine andere. Doch die Ehediplomatie lief auch umgekehrt. Das Königreich Württemberg wurde zweimal von Zarentöchtern mitbeherrscht. Beide, Katharina und Olga, sind weit populärer geblieben als ihre notorisch untreuen Ehemänner Wilhelm und Karl.

Die enge dynastische Bindung beginnt mit einer einflussreichen Württemberger Zarin. Sophie Dorothee hatte 1776 den späteren Zaren Paul I. geheiratet und ihm zehn Kinder geboren. Fast alle ehelichten deutsche Prinzen und Prinzessinnen.

Die lockige Großfürstin Katharina Pawlowna wurde 1816 in zweiter Ehe mit dem Württemberger Kronprinz vermählt. Die Herzen ihrer neuen Untertanen gewann sie in diesem kalten Katastrophenjahr voller Missernten, indem sie sich tatkräftig für Getreidehilfslieferungen aus dem weniger betroffenen Russland einsetzte.

Ihr früher Tod 1819 und ihre Mausoleumskapelle auf dem die Landeshauptstadt Stuttgart überragenden Württemberg führten zu romantischer Legendenbildung. In gotischen Lettern ließ der Witwer König Wilhelm über dem Portal einmeißeln: „Die Liebe höret nimmer auf.“

Der Riesling Katharina und die ewige Liebe

Zur Verblüffung seiner dritten Frau Pauline ließ sich Wilhelm nach mehr als 40 Jahren Ehe neben der Zarentochter beerdigen. War es wirklich ewige Liebe, war es das Prestigedenken, auf Ewigkeit lieber neben einer Frau kaiserlichen Geblüts zu liegen, oder doch das schlechte Gewissen? Schließlich soll Katharina, als sie ihren Gatten Anfang Januar beim Ehebruch ertappt hatte, völlig verstört ohne Winterpelz in ihre Kutsche gestürzt sein und sich bei der leichtbekleideten Fahrt die tödliche Erkältung zugezogen haben.

Das Collegium Wirtemberg, eine Winzervereinigung, deren Reben zu Füßen des Monuments wachsen, hat zum zweihundertsten Todestag der wohltätigen Königin nicht nur einen Riesling „Katharina“ mit ihrem Porträt herausgebracht. Auch die Etiketten der Jubiläumscuvees zieren das Liebesmotto und die klassizistische Kasettendecke der orthodoxen Grabkapelle.

Olga und die Creme-Kugeln

Stilecht mit Wein anstoßen zum Gedenken an eine wohltätige russische Landesmutter. Das kann man auch für Königin Olga von Württemberg. Der Romanow-Prinzessin ist eine der höchsten Rebpflanzungen Deutschlands gewidmet, der Hohentwieler Olgaberg bei Singen. Heute baut das Staatsweingut Meersburg auf dem „porphyrischen Vulkanverwitterungsgestein“ dieser Steillage exzellente Spätburgunder, Weißburgunder, Müller-Thurgaus und Rieslinge an, gereift in bis zu 560 Metern Höhe.

Wer war Olga? Die Tochter von Zar Nikolaus I. hatte sich 1846 in Palermo aus dynastischen Gründen mit dem Württembergischen Kronprinzen Karl verlobt und ihn in Sankt Petersburg geheiratet. Die Mitgift einschließlich Porzellan und Tafelsilber, die sie nach Stuttgart mitbrachte, galt als märchenhaft. Da die Ehe mit ihrem immer offener homosexuell auftretenden Gatten kinderlos blieb, konnte sich die Königin vor allem sozialen Projekten widmen. Sie förderte Frauenbildung, Kindererziehung und Blindenschulen, so dass der Name Olga landesweit in zahlreichen Straßen, Gymnasien und Spitälern weiterlebt. Und Sie arrangierte 1857 beim Stuttgarter Zwei-Kaiser-Treffen eine Versöhnung zwischen Napoleon III. und ihrem Bruder, dem Zaren.

Auch für Olga Nikolajewna (1822 – 92) steht ein 200-Jahre-Jubiläum an. Eine Pralinenmanufaktur in der Deutschordensstadt Gundelsheim am Neckar hat weitsichtig mit Cassis-Creme gefüllte Olga-Kugeln auf den Markt geworfen. Das Schächtelchen zeigt das berühmte Porträt von Franz Xaver Winterhalter. Die ovale Gesichtsform mit der aristokratisch schmalen Nase, der ernste, ja melancholische Blick der jungen Großfürstin kontrastiert mit dem hochmodischen Auftritt in einem raffiniert mit Spitzen und Seidenfalbeln übersäten Kleid.

Wer war zuerst da: Maultaschen oder Pelmeni?

Szenenwechsel: Katharina und Olga könnten auch etwas mit der scheinbar urschwäbischen Maultasche zu tun haben, so die steile These mancher Maultaschenforscher. Der übliche Schwank vom Herrgottsb‘scheißerle aus Maulbronn dürfte ja eine protestantische Mär sein, um die bigotte Fresslust der Mönche zu entlarven, die während des 30-jährigen Kriegs die Zisterzienserabtei wieder beziehen durften. Angeblich hat Bruder Küchenmeister in der Not- und Fastenzeit (!) Fleisch in Teigtaschen versteckt und so die Maultasche erfunden. Plausibler klingen Nachrichten, dass im 18. Jahrhundert Rafioln über Norditalien und Südtirol in die schwäbische Küche einwanderten.

Dann wären da noch die von Katharina der Großen nach Russland gelockten Wolgadeutschen. Haben die die Maultaschenrezepte etwa mitgenommen und so Wareniki und sibirische Pelmeni beeinflusst? Oder haben umgekehrt Rückwanderer Pelmeni-Rezepte mitgebracht und so die Maultaschen beeinflusst? Und hängt die enorme Beliebtheit im Ländle damit zusammen, dass auch die russischen Königinnen sie schätzten, da sie sie an heimische Pelmeni erinnerten?

Vielleicht klärt man diese kulinarischen Gretchenfragen am besten bei einer vergleichenden Teigtaschenprobe. Fleischgefüllte Pelmeni sind in Stuttgarts russlanddeutschen Supermärkten leicht zu bekommen, Maultaschen sowieso. Dazu ein Fläschchen Katharina und ein roter Olgaberg – die Debatte kann losgehen. En guadaprijatnogo appetita!

Lesen Sie weitere Beiträge unseres Gastrosophen Peter Peter in der Rubrik Leben/Kulinarisches.

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