Das Ende des Warschauer Pakts
Am 31. März 1991 löste sich das östliche Militärbündnis auf, der Feind der Nato war verschwunden, sie aber blieb
Es war ein bemerkenswert unbemerkenswertes Ende. Am 25. März 1991 erklärten die Außen- und Verteidigungsminister der sechs verbliebenen Mitgliederstaaten – neben der Sowjetunion Bulgarien, die Tschechoslowakei, Ungarn, Polen und Rumänien – bei einer Dringlichkeitssitzung in Budapest: Die militärischen Strukturen des Warschauer Pakts werden zum Ende des Monats aufgelöst.
Der mächtige und lange gefürchtete Warschauer Pakt wurde so sang- und klanglos wie eine bürokratische Formalität liquidiert. Das geschah vor dem dramatischen Hintergrund des Golfkriegs und der „Operation Desert Storm“, eines Kriegs, der schon ganz auf die Welt nach dem Ende der Blockkonfrontation und des Kalten Kriegs verwies.
Nur wenige Jahre zuvor war das militärische Potenzial des sowjetisch dominierten Militärblocks ständiges zentrales Thema westlicher Sicherheitspolitik gewesen und regelmäßiger Gegenstand hitziger öffentlicher Debatten. Westliche Verteidigungspolitiker warnten vor immensen Truppenstärken, riesigen Panzerarmeen und Luftflotten sowie dem furchterregenden Arsenal sowjetischer Atomwaffen, Militärexperten analysierten die Bestände und stellten sie den zahlenmäßig oftmals geringeren Beständen der Nato gegenüber und bauten sie in Abschreckungs- und Konfliktszenarien ein. Kritiker des Wettrüstens verurteilten diese ungeheuren Kapazitäten der Vernichtung als ebenso absurd wie die westlichen Waffenarsenale.
Warschauer Pakt: Antwort auf die Nato
Der am 14. Mai 1955 unterzeichnete „Warschauer Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ schuf die sogenannte Warschauer Vertragsorganisation, die im Westen bald als Warschauer Pakt bekannt wurde. Anlass der Gründung war der Beitritt der (wiederbewaffneten) Bundesrepublik Deutschland zur Nato als Teil der Pariser Verträge, die bereits am 5. Mai 1955 in Kraft getreten waren. Mit dem „Warschauer Vertrags“ versicherten sich seine Mitglieder des gegenseitigen Beistands im Fall eines Angriffs auf einen Mitgliedsstaat – ganz wie ihrerseits die Mitglieder der Nato schon 1949.
Der tiefere Sinn des Warschauer Pakts lag jedoch in der zunehmend militarisierten Konfrontationslogik des Kalten Kriegs und ihres unvermeidlichen Sicherheitsdilemmas: ein militärischer Sicherheitsgewinn für eine Seite wurde erkauft mit größerer Unsicherheit für die andere Seite. Die von den militärischen Potenzialen der USA und der Nato ausgehende Gefahr für die Sowjetunion war auch schon vor Gründung des Warschauer Pakts Anlass für sowjetische Hochrüstung gewesen – und umgekehrt. Die organisatorische Zusammenfassung der sowjetischen Satellitenstaaten bot aber neue und institutionalisierte Möglichkeiten der militärischen Koordination und Integration.
Gemeinsamer Angriff gegen den Bruderstaat
Zugleich wurde der Warschauer Pakt aber auch zu einem Mittel, mit dem die Sowjetunion ihren Herrschaftsanspruch über das seit 1945 von ihr besetzte Ost- und Mitteleuropa absicherte. Obschon über die 36-jährige Geschichte des Warschauer Pakts Millionen und Milliarden Rubel in die Rüstung gegen die „imperialistischen Nato-Staaten“ flossen, war der einzige Einsatz der Militärorganisation gegen einen Mitgliedstaat gerichtet: Im August 1968 rückten eine aus sowjetischen, polnischen, ungarischen und bulgarischen Einheiten bestehende multinationale Truppe des Warschauer Pakts (Rumänien verweigerte die Teilnahme, die DDR wurde – vermutlich aus historischen Gründen – nicht einbezogen) in die Tschechoslowakei ein, um in der „Operation Donau“ den Prager Frühling niederzuschlagen, der einen „Sozialismus mit menschlichem Gesicht“ erreichen wollte.
Das zeigte in aller Schärfe: Der durch den Warschauer Vertrag umschriebene sowjetische Einflussbereich war eben kein „Empire by Invitation“, wie der norwegische Historiker Geir Lundestadt das westeuropäische Einflussgebiet der Vereinigten Staaten nannte, sondern ein „Empire by Imposition“, ein erzwungenes. Die theoretische Grundlegung für diese zweite Funktion des Warschauer Pakts war die nachträglich formulierte These zur „begrenzten Souveränität sozialistischer Länder“, auch Breschnew-Doktrin genannt.
Anfang vom Ende: Gorbatschows „Sinatra-Doktrin“
Zwanzig Jahre später setzte Gorbatschow an ihre Stelle die „Sinatra-Doktrin“, nach der die Länder des sowjetischen Einflussbereichs innenpolitisch ihren eigenen Weg gehen könnten, ohne eine sowjetisch geführte Intervention fürchten zu müssen. Damit brach eines der beiden Standbeine des Warschauer Pakts weg und öffnete den Weg für demokratische Reformen in den osteuropäischen Staaten. Die zugleich einsetzende große weltpolitische Entspannung, die im Ende des Kalten Kriegs 1989/1990 mündete, beraubte die Militärorganisation auch ihrer zweiten Rechtfertigung, des Feindbilds vom „imperialistischen Nato-Block“.
Tatsächlich war der Warschauer Pakt auch im Frühjahr 1991 bereits kaum noch lebendig. Die durch demokratische Wahlen zuvor an die Macht gekommenen Regierungen der ehemaligen Ostblock-Staaten waren sehr erpicht darauf, sich möglichst schnell der sowjetischen Truppenpräsenz zu entledigen.
Die DDR war durch die Vereinigung mit der Bundesrepublik aus dem Warschauer Pakt ausgetreten; Ungarn und die Tschechoslowakei hatten mit der Sowjetunion bereits Abkommen über den Abzug der Sowjettruppen abgeschlossen. Die ungarische Regierung hatte sogar schon erklärt, aus dem Warschauer Pakt ausscheiden zu wollen – wie es zuvor schon Albanien 1968 getan hatte. Auch wenn er nach außen immer mächtig und militärisch höchst bedrohlich wirken konnte, war der Warschauer Pakt von den gleichen Spannungen und Rissen durchzogen wie der vermeintlich monolithischen Sowjetblock insgesamt schon lange vor 1989.
Die Nato aber, sie bleibt
Das Ende des Warschauer Pakts kam als freie Willensentscheidung frei gewählter Volksvertreter. Ihm folgte nicht die Auflösung der Nato, denn deren Mitgliedsstaaten sahen dafür keinerlei Anlass. Es beruhte auf demokratischer Zustimmung. Auch dies zeigt noch einmal den fundamental unterschiedlichen Charakter der nur in ihrer Konfrontation ähnlichen Militärbündnisse.
Ob die seither resultierende Situation – ein aus der Zeit des Kalten Kriegs stammendes Militärbündnis, das sich im Rahmen seiner (mehrheitlich gewünschten und demokratisch legitimierten) Erweiterung zu einer vergrößerten Sicherheitsallianz ohne Russland transformiert hat – allerdings der Weisheit letzter Schluss war, ist freilich eine andere Frage – und eine, die man im Rückblick angesichts der sich zuletzt immer deutlicher abzeichnenden Spannungen in Europa vielleicht nicht unbedingt vorbehaltslos bejahen möchte.