Aus dem Leben eines Wagner-Söldners

Der Russe Marat Gabidullin war dabei: Mit der Gruppe Wagner in Luhansk und Syrien

Marat Gabidullin in Syrien
"Hier verrichtete ich eine gefährliche und notwendige Arbeit für mein Vaterland.“ Marat Gabidullin diente als Söldner der Gruppe Wagner auch in Syrien.

Marat Gabidullin war zehn Jahre Berufssoldat bei der sowjetischen, dann der russischen Luftwaffe. Er verließ sie 1993 als Oberleutnant und wurde Auftragskiller. Für einen Mord saß er drei Jahre in Haft und verirrte sich danach im neuen Leben zwischen Arbeitslosigkeit, Depression und Alkoholismus. Der Tipp eines Freundes brachte ihn in „die Kompanie“, wie Gabidullin die Söldnergruppe Wagner nennt. In seinem Buch „Wagner. Putins geheime Armee“ berichtet er über zwei seiner vier Einsätze.

Das Söldnertum ist in Russland illegal nach §348 des Strafgesetzbuchs. Und so ist die Gruppe Wagner „eine Schattenarmee, für die niemand öffentlich die Verantwortung übernimmt“, wie im Vorwort der beiden Filmemacherinnen Ksenia Bolschakova und Alexandra Jousset („Wagner, Putins Schattenarmee“) erklärt wird. Wo Russland Einfluss gewinnen will, taucht dieses „neue Werkzeug der Außenpolitik“ (Felix Riefer) verlässlich auf: Syrien, Mali, Zentralafrika, Libyen und natürlich in der Ukraine. Wladimir Putin nannte private Militärunternehmen (PMC) schon 2012 „Instrument zur Verwirklichung nationaler Interessen ohne die direkte Beteiligung des Staates“.

Gründer der Gruppe Wagner ist Dmitri Utkin (52). Er war Angehöriger Militärgeheimdiensts GRU, danach Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstleisters (Moran Security Group), der bald eine militärische Einheit nach Syrien schickte. Utkin wurde Kommandant. 2014 gründete er eine schnelle Eingreiftruppe, die im Donbass gegen die proeuropäische ukrainische Armee agierte und nach seinem Kampfnamen benannt wurde: Wagner. Der Name bezieht sich auf den Komponisten, Utkin bewundert ihn und die deutschen Nazis. Inzwischen sollen bei Wagner 5000 Söldner aktiv sein.

Gesteuert wird die Gruppe Wagner wohl von Jewgeni Prigoschin (62). In seinen Luxusrestaurants in St. Petersburg verkehrte Wladimir Putin, schon bevor er Präsident war. „Putins Koch“ betrieb ein lukratives Cateringunternehmen, das auch staatliche Aufträge erfüllte. Er soll die Finanzen der Gruppe Wagner regeln.

Nach diesen und weiteren einleitenden und einordnenden Worten folgt Gabidullins Bericht aus dem Leben eines Wagner-Söldners. Geschrieben hat er diesen Text schon 2017.

Als Söldner in Luhansk

Wagner heißt in diesem Teil des Buchs „Beethoven“, alle Figuren erscheinen unter Pseudonymen. Die „Kompanie“ ist für den Autor positiv besetzt, weil sie in Syrien den „Islamischen Staat“ ebenso bekämpfte wie andernorts „den von den Amerikanern angeführten Weltimperialismus“, dessen Ziel es sei, „das große Russland zu zerstören“.

Von Seite 48 bis 58 erzählt Gabidullin über seinen Einsatz im Donbass. „Die Kämpfer der Volksrepublik Luhansk bereiteten uns keine Schwierigkeiten“, schreibt er. „Sie kapierten sofort, dass sie jetzt von Söldnern bewacht wurden…“ (Und von Putin, auf dessen Zuneigung die Abtrünnigen angewiesen waren, möchte man hinzufügen.)

„Wozu wir fähig waren, wussten sie nur zu gut“, schreibt Gabidullin. Es habe, behauptet er, Gerüchte gegeben, dass die „Kompanie“ an der Liquidierung eines Anführers der sogenannten Volksrepublik Luhansk beteiligt gewesen sei, Aleksei Mosgovoi. Den Tatsachen scheint das nicht zu entsprechen.

Interessanter ist, was dem folgt: Gabidullin offenbart, dass Soldaten der „Volksrepublik“ immer wieder hinter die ukrainischen Linien vordrangen, um sie zu überfallen und zu sabotieren. „Auf diese Weise schwächten sie deren Verteidigung. Artilleriebombardements, Aufklärungs- und Sabotagemissionen – wer hier eigentlich den Waffenstillstand verletzte, war die Frage.“

Ein Einheimischer habe ihm einmal gesagt: „Wir wollen diesen Krieg überhaupt nicht. Ihr habt ihn vom Zaun gebrochen und am Laufen gehalten“, so berichtet Gabidullin. Einen Vorteil wollte der Mann immerhin erkennen: „Auf der Straße hocken keine Bettler mehr. Die sind jetzt alle bei der Armee.“

Als er Luhansk verließ, habe er eine „Mischung aus Frustration und Enttäuschung“ gefühlt. Er habe erkannt, einer Illusion unterlegen zu sein: „Die Behauptung, wir würden die Interessen Russlands einer feindlichen ausländischen Macht gegenüber verteidigen, schien bloß ein nobler Vorwand zu sein.“ Eine „Bande von bewaffneten Analphabeten“ habe die kleine Gemeinschaft der Menschen in Luhansk „in Geißelhaft genommen“. Und die Geißelnehmer seien nur „Erfüllungsgehilfen von Leuten, die vor nichts zurückschrecken und wohl kaum von moralischen Erwägungen geleitet wurden“.

Dazu sei er nicht nach Luhansk gekommen, so der Autor. „Gegen meine Brüder zu kämpfen, kam auf keinen Fall infrage. So wie die Ukraine nicht völlig im Unrecht war, war Russland nicht völlig im Recht.“

Lassen wir mal dahingestellt, ob diese Sätze dazu dienen, dem Autor den Rückweg in die Zivilgesellschaft zu erleichtern: Diese Bekenntnisse, formuliert 2017, sind brisant, weil sie das Kreml-Narrativ brechen. So hat Russland stets behauptet, das Scheitern der Minsker Vereinbarungen sei ausschließlich Schuld der Kiewer Regierung.

Lakonisch Landserhefte-Romantik

Leider erzeugt auch das, was Gabidullin von Seite 58 an erzählt, eine „Mischung aus Frustration und Enttäuschung“. Gabidullin war Anführer einer Einheit in der „Hölle des Syrienkriegs“. Über deren Einsätze berichtet er in einer Art lakonischer Landserhefte-Romantik: „Wären wir nicht mit der vollen Schlagkraft unserer Waffen gegen sie vorgerückt, hätten die Duchi uns ganz einfach abgeknallt wie Hasen.“ (Duchi sind die Soldaten des „Islamischen Staats“.) „Dieses Mal hatte sich der Tod Zak aus Ossetien geholt. Sein zerfetzter Körper konnte ihn nicht am Leben erhalten. Mögest du in Frieden ruhen, mein Bruder. Du hast dir einen Platz im Himmel redlich verdient.“ „Verdammt, dieses Land laugte mich vollkommen aus!“ Und so ähnlich Seite um Seite. „Die ‚Kompanie‘ marschiert weiter und erlebt immer neue Schlachten, Siege und Niederlagen.“

Im Lauf der Erzählung weist er mehrfach darauf hin, dass die siegreichen Söldner weder in den offiziellen Militärberichten noch auf den Titelseiten der Zeitungen und in den Fernsehnachrichten erwähnt würden. Dabei sei doch die Beteiligung von russischen Söldnern im Krieg in Syrien längst ein offenes Geheimnis gewesen. „Wir waren die Geister dieses Kriegs“, schreibt er.

Diese unterlassene Anerkennung holt Gabidullin von Seite 58 an in seinem Heldenepos nach. Während russische Militärberater es sich in einem reichen Herrenhaus bequem gemacht hatten, die hohen Offiziere ohne Einsatz ihres Lebens Orden und andere Auszeichnungen einheimsten, obwohl die Hälfte ihrer Soldaten desertiert seien („was für eine heldenhafte Armee, was für ein Volk mit einem unerschütterlichen Glauben an seinen Präsidenten!“), sind Gabidullins Kameraden allesamt „echte Helden“ und „hartgesottenen Krieger“, „echte Profis“ und „Arbeiter des Kriegs“.

„Söldner sind echte Soldaten, die sich für den Gang in eine PMC entschieden haben, anstatt sich in den Kasernen der Armee zu vergnügen.“ Während die russische Armee, „die nicht an vorderster Front an den Kämpfen beteiligt war“, über eine Fülle modernster Ausrüstung verfügten, musste die Kompanie mit alten Panzern und Aufklärungsfahrzeugen vorliebnehmen, „die uns die Syrer untergeschoben“ oder sie selbst dem IS abgenommen hatten.

Aber trotzdem seien die Söldner „zur Hauptstreitmacht der alliierten Streitkräfte in Palmyra und später in Akerbat und Deir ez-Zor“ geworden. Sie waren an allen großen Schlachten gegen den IS „unmittelbar beteiligt und stellten fast immer die Hauptstreitmacht bei Bodenangriffen“, so Gabidullin.

Während in seiner Truppe „keine Weicheier“ gab, verteilt Gabidullin herablassende Urteile über alle anderen Soldaten. Nur die russische Luftwaffe erhält Lob – und auch den Islamisten zollt er Respekt für ihren Mut, ihre Disziplin und ihre Todesbereitschaft.

Die „Wüstenfalken“ dagegen, Assads syrische Armee, bestand aus Anführern, die nicht führen konnten, und Soldaten, die nicht gehorchten. Sie waren „Vollidioten“. Nach einer Niederlage bei einer „Schlacht“ urteilte er: „Die Syrer hatten ihre Feigheit unter Beweis gestellt, während die Söldner umsonst gelitten hatten.“

Stolz und Zweifel eines Söldners

Aber er bemerkt auch, dass die Männer der Kompanie in Syrien „für ein korruptes Regime kämpfen, das von der eigenen Bevölkerung verachtet wurde“.

Trotzdem bleibt er dabei: Die „Bruderschaft der Söldner“, sei immer bereit, „bei einer großen Sache“ mitmachen, so Gabidullin. „Sie wissen, dass all ihre Mühen und jedes Opfer, das sie bringen, dazu beiträgt, die Macht und den Einfluss ihres Vaterlands zu stärken. Deshalb werden sie immer wieder auf das Schlachtfeld zurückkehren…“

Derzeit, weiß Gabidullin, seien Wagner-Söldner in der Ukraine im Einsatz. Sie werden in Dollar bezahlt. „Dollarzahlungen im Austausch für Patriotismus liegen bei den Invasionsstreitkräften jetzt im Trend.“

Gabidullin selbst hat Wagner 2019 frustriert verlassen, aber auch altersbedingt. Sein Resümee bleibt auch jetzt noch: „Ich war Teil einer großen, lauten und ruhelosen Söldnerfamilie. Hier fand ich meine Würde wieder, hier verrichtete ich eine gefährliche und notwendige Arbeit für mein Vaterland.“

Was er damit meint, ergibt sich aus seinem Nachwort, das er im April 2022 in Paris für die deutsche Ausgabe verfasst hat: „Die Rettung des Regimes von Baschar al-Assad hat es Russland ermöglicht, sich weltweit mit Nachdruck als Beschützer und Retter von Kriminellen aller Art zu empfehlen“, schreibt er voller Sarkasmus. Afrika müsse „erst noch von russischen Diplomaten und gerissenen Politikern erschlossen werden“. Dort hätten sich „skrupellose Führer“ schon bereit erklärt, „Russland Zugang zu den Bodenschätzen ihrer Region zu gewähren, darunter Gold, Diamanten und Öl“.

Das hat Gabidullin offenbar spät erkannt – lange Zeit nachdem er den Haupttext geschrieben hatte. Inzwischen hat er gesehen, dass „der Präsident der Russischen Föderation den Befehl zu einer ‚Sonderoperation‘ gegen das, was er ‚das Naziregime in der Ukraine‘ nannte“, gegeben hat. Und er hat eine klare Antwort auf die Frage, wer für den Tod von Zivilbevölkerung ist: „Schuld ist letztlich immer der Angreifer.“

Zur Waffe wolle er selbst erst wieder greifen, „wenn es darum geht, dem Krieg ein für allemal den Garaus zu machen“. Zu unser aller Unglück wird es jedoch immer Anführer geben, die behaupten, genau das zu tun wollen, und die behaupten, bedroht oder angegriffen worden zu sein.

Gabidullins „Insiderbericht“ über sein Leben als Söldner der Gruppe Wagner wäre für sich allein eine bloße billige, reißerische Abenteuererzählung eines russischen Machos geworden. Zusammen mit dem Vorwort der beiden Filmemacherinnen und seinem Nachwort ist es ein merkwürdig ambivalentes, in sich widersprüchliches Buch geworden.

Marat Gabidullin

Wagner. Putins geheime Armee. Ein Insiderbericht

Econ
296 Seiten
Klappenbroschur
22,99 Euro
ISBN 9783430210850
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