Merkel: „Es ist nicht gelungen“
Ex-Bundeskanzlerin in Berlin: „Diplomatie ist nicht falsch gewesen, wenn sie nicht gelingt“
Für den Krieg in der Ukraine gebe es keine Entschuldigung, das sei ein „großer Fehler“ und „der objektive Bruch aller völkerrechtlichen Regeln“, sagte Angela Merkel im Gespräch mit Spiegel-Journalisten Alexander Osang auf der Bühne des Berliner Ensembles. „Putins Feindschaft geht gegen das demokratische Modell.“ Aber man könne auch für die Zukunft „nicht so tun als gäb’s den nicht“. Koexistenz mit Russland sei „in unserem Interesse“.
„Es ist nicht gelungen, den kalten Krieg zu beenden“, sagte Merkel bei ihrem ersten öffentlichen Auftritt ein halbes Jahr nach dem Ende ihrer Kanzlerschaft. Es sei nicht gelungen, eine europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen, um den Krieg in der Ukraine zu verhindern. Sie räumte ein, sich immer wieder die Frage zu stellen, ob man mehr hätte tun können, „um eine solche Tragik“ zu verhindern.
Den Vorwurf, sie habe gegenüber Russland Appeasement betrieben, wies Merkel zurück. „Ich muss mir nicht vorwerfen lassen, nicht ausreichend versucht zu haben, das zu verhindern“, sagte die ehemalige Bundeskanzlerin. Sie empfinde „große Trauer“, dass es nicht gelungen ist. Aber: „Diplomatie ist nicht falsch gewesen, wenn sie nicht gelingt.“
Bukarest, Krim, Ostukraine
Ausführlich begründete sie, weshalb sie sich 2008 auf dem Nato-Gipfel in Bukarest gemeinsam mit Frankreich gegen eine Nato-Perspektive der Ukraine (und Georgiens) ausgesprochen hat: „Ich sehe nicht, dass ich sagen müsste, das war falsch.“
Die Ukraine sei damals eine andere gewesen, „ein von Oligarchen beherrschtes Land“, ein gespaltenes Land, „kein innerlich demokratisch gefestigtes Land“. Ihr sei klar gewesen: Putin würde die Vorbereitung einer Nato-Mitgliedschaft via Membership Action Plan „nicht ohne Weiteres geschehen lassen“. Das freilich rechtfertige Putins Tun heute nicht.
Nach der Annexion der Krim und dem von Russland unterstützten Krieg in der Ostukraine 2014 habe die Nato die militärische Abschreckung an der Ostflanke verstärkt. Das Ziel von zwei Prozent des Inlandsprodukts für Verteidigung sei ausgegeben worden. Und Russland sei aus der Gruppe führender Industrienationen G8 ausgeschlossen worden.
Die Minsker Abkommen seien der Versuch gewesen, den bewaffneten Konflikt zu beenden. Das habe der Ukraine Zeit gegeben. „Minsk“ sei auf europäische Initiative entstanden und per UN-Resolution bestätigt worden. Putin hätte ohne diese Vereinbarungen „einen Riesenschaden in der Ukraine anrichten können“. Die Ukraine hätte 2015 und danach nicht den Widerstand leisten können, den sie heute zeigt.
Sie habe sich in ihrer ganzen Kanzlerschaft mit den Folgen des Zerfalls der Sowjetunion auseinandersetzen müssen, so Merkel. Putin habe ihr 2007 in Sotschi erstmals gesagt, dass er den Zusammenbruch der Sowjetunion als schlimmste Katastrophe des 20. Jahrhunderts erachte. Sie habe geantwortet, für sie sei diese Zeit ein großes Glück gewesen.
Angesichts des Kriegs in der Ukraine sei ihr „klar geworden, dass wir in Deutschland Glück hatten, dass das so abgelaufen ist“. Der Ukraine werde der selbstbestimmte Weg in die Demokratie „viel schwerer gemacht als uns 1989“.
Das Gespräch ist auf YouTube zu hören.