Nawalny fordert Putin heraus

Nach seiner Rückkehr sorgt der ‚Berliner Patient‘ im Kreml für Angst vor Kontrollverlust

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Die Reaktionen des offiziellen Russlands auf die Rückkehr Nawalnys zeugen davon, dass der Kreml in ihm einen ernsthaften Gegner und eine potenzielle Gefahr sieht. Internationale Kritik an der Verhaftung lässt der Kreml ungerührt abperlen. Er setzt darauf, dass der verbalen Kritik keine ernsten Schritte folgen werden.

Wie nach seinem lebensrettenden Flug nach Deutschland versucht der Kreml auch jetzt wieder, Nawalny als politisches Nichts darzustellen. So behauptete Putins Sprecher Dmitri Peskow kurz nach der Festnahme Nawalnys, er wisse nichts davon. Ob denn Nawalny in Deutschland festgenommen worden sei?

Später bezeichnete er den Vorgang als innerrussische Angelegenheit. Es ginge um die Nicht-Befolgung von Regeln durch einen russischen Bürger. Mit dem russischen Präsidenten habe dies nichts zu tun. Behauptungen, dass irgendwer vor irgendwem Angst habe, seien „völliger Quatsch“.

Wie der russische Präsident selbst vermeidet es sein Sprecher krampfhaft, den Namen des prominenten Kritikers in den Mund zu nehmen. Bezug genommen wird etwa auf „diesen Herrn“, „diese Figur“ und nach seiner Vergiftung auch auf den „Berliner Patienten“.

Einer öffentlichen Auseinandersetzung mit Nawalny und seinen Anhängern verweigert sich der Kreml konsequent. Stattdessen ist der angeblich irrelevante Nawalny bereits seit Jahren im Visier des russischen Geheimdiensts.

Das hat Gründe: Nawalny ist in mehrfacher Hinsicht der ernsthafteste Gegner des Kremls. Als Antikorruptionsaktivist legt er immer wieder offen, wie maßlos sich die Machthabenden in Russland bereichern. Damit hat er sich eine beträchtliche Popularität erworben – seine Videos werden millionenfach aufgerufen und geteilt.

Nawalny wirft Putin Korruption vor

Nur 48 Stunden nach seiner Verhaftung ist das Ergebnis jüngster Recherchen des Nawalny-Teams wie eine Bombe eingeschlagen: In einem zweistündigen Film erhebt Nawalny Korruptionsvorwürfe gegen Wladimir Putin.

Im Zentrum des Films steht ein pompöses Anwesen am Schwarzen Meer, das den Recherchen zufolge für den russischen Präsidenten durch Geschäftsleute aus seinem Freundeskreis finanziert wurde. Kostenpunkt: mehr als eine Milliarde Euro.

Auch politisch lässt Nawalny keine Möglichkeit aus, den Kreml und seine Partei „Geeintes Russland“ herauszufordern. Mit seiner „Smart Voting“-Kampagne versucht er, der Kremlpartei möglichst viele Stimmen zu entziehen und alternative Kandidatinnen und Kandidaten in Wahlämter zu bringen. Das hat ungeachtet aller Einschüchterungen, Hindernisse und Manipulationen bei den jüngsten regionalen Wahlen auch hier und da funktioniert.

Im September 2021 stehen in Russland die Duma-Wahlen an. Dabei sind nach allen Erfahrungen Manipulationen vor, während und nach der Wahl vorprogrammiert. Nawalnys Anhänger wollen um Mandate kämpfen.

Massenproteste gegen offensichtliche Wahlfälschungen sind für den Kreml ein Schreckensszenario. Ein „Belarus-Szenario“ wollen sie mit allen Kräften verhindern. Deshalb auch die verschärfte Repression gegen NGOs und kritische Journalistinnen und Journalisten, die mit einer ganzen Serie von Gesetzen Anfang des Jahres in Gang gesetzt wurde.

Die Techniker der Macht fürchten den Kontrollverlust über die Gesellschaft. Die hartnäckigen Proteste in Chabarowsk gegen die Absetzung des gewählten Gouverneurs lesen sie als Warnsignal.

Verbale Proteste aus dem Westen verunsichern die russische Führung bisher nicht. Selbstbewusst weist der russische Außenminister Lawrow sie zurück. Die Geschichte mit Nawalny habe auf „künstliche“ und „völlig unangemessene Weise“ eine außenpolitische Dimension angenommen. Der Westen brauche sie, um „von der tiefsten Krise abzulenken, in die das liberale Modell geraten ist“.

Die deutliche Kritik aus europäischen Hauptstädten an dem Mordanschlag auf Nawalny wie an seiner jüngsten Verhaftung war richtig und wichtig. Doch solange der Kreml sicher sein kann, dass es bei verbalen Protesten bleibt, wird sie keine nachhaltige Wirkung erzielen.

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