Sport ist politisch

Dürfen demokratische Staaten junge Leute als Werbefiguren in Unrechtsregime wie Belarus schicken?

Die wollen doch nur spielen: Lukaschenko (links) und Putin

Belarus gerät auch im Sport ins Abseits. Was anzeigt, dass auch politisch nichts mehr zu reparieren ist für das Regime des Alexander Lukaschenko. Belarus wollte im März 2021 die nächste Eishockey-WM in Minsk austragen, und lange durfte der Alleinherrscher auch darauf hoffen – obwohl die Unterdrückung des belarussischen Volks seit der grotesken Präsidentenwahl im August allwöchentlich zunahm. Es verstärkte sich außerdem der Verdacht, dass Dmitry Baskov, Chef des belarussischen Eishockeyverbands, etwas mit dem gewaltsamen Tod des Demonstranten Roman Bondarenko zu tun haben könnte – was Bilder von Überwachungskameras und Handyvideos in den sozialen Medien nahelegen.

Als Coach von Lukaschenkos Sohn gilt Baskov als Protegé des Diktators. Eines Mannes, der die totale Vermischung von Politik und Sport auf den Gipfel getrieben hatte – indem er zugleich Präsident des Nationalen Olympischen Komitees ist. Ein Staats- und Sportchef, der prügeln, verhaften und foltern lässt. Und der viel zu lange registrieren durfte, dass just seine internationalen Funktionärskollegen jede Debatte vermieden, ob solch ein Land ein Sportspektakel wie die Eishockey-WM austragen darf.

Die Haltung des Sports, im Kern formuliert vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC), das auch NOK-Boss Lukaschenko 23 Jahre lang zu seiner Familie zählte, lautet: Politik und Sport dürfen niemals vermischt werden. Weil das kein Scherz ist, ist es die größte Heuchelei – das zeigt auch die zweite Prämisse des organisierten Sports: Leistungen müssen dopingfrei erzielt werden. Wie krass dies der Wirklichkeit widerspricht, zeigt sich in unzähligen Skandalen, deren Aufklärung die Funktionäre oft sogar zu verhindern versucht haben. Ein Lippenbekenntnis, so bigott wie die These vom unpolitischen Sport.

Sport als politische Bühne

Was Doping angeht: Hier hängt der Sport, der sich getreu dem olympischen Motto Schneller-Höher-Weiter zur profitabelsten Entertainment-Industrie des Planeten aufgeschwungen hat, existentiell von steten physischen Verbesserungen seiner Athleten ab. Und dabei hilft nun mal nichts effektiver als medikamentöses Körper-Tuning. Zugleich ist dieser Sport auch die politischste Dauerveranstaltung neben der globalen Staatspolitik. Zu Zeiten des Kalten Kriegs war er deshalb Bühne eines veritablen Systemkampfs, ausgefochten zwischen Ost und West mit allen, vor allem mit betrügerischen Mitteln.

Diese Strategie pflegt manches autokratische Land noch heute. Es fällt aber auch in echten Demokratien auf, dass deren Athleten, sobald dort ein Großevent in Aussicht steht, verblüffende Leistungssprünge auf breiter Basis vollziehen. Sie müssen ja nicht immer gleich so dramatisch ausfallen wie bei den Winterspielen 2014 in Sotschi: Die wurden als durchorganisierte Doping-Spiele enttarnt.

Mit der Politik, speziell mit deren sinistren Figuren, pflegen die obersten Sportführer gern enge Bande. Den Boss des Fußball-Weltverband Fifa, Gianni Infantino, ist eine Art sportiver Wiedergänger des Mannes, dem er viele Besuche abgestattet hat: Donald Trump. Ebenso wohl fühlt er sich bei Wladimir Putin, wo er sogar Staatsempfängen beiwohnte und einen Orden umgehängt bekam.

Bemerkenswert eng trotz aller Dementis erscheint auch IOC-Chef Thomas Bach mit Putin. Mit dem demonstrierte er zum Ende der Winterspiele 2014 ein absurd herzliches Einvernehmen, gleich darauf marschierte Russland auf der Krim ein. Vor allem aber im milden Umgang mit dem gigantischen, staatlich orchestrierten Doping der Moskauer Olympia-Armada hat sich Bach als fürsorglicher Sachwalter Moskauer Interessen offenbart.

Boykotte nutzen nichts? Welch ein Unsinn

Bach erzählt gern, wie sehr er unterm Olympia-Boykott 1980 gegen die Moskauer Spiele seiner Sportlerkarriere gelitten habe. Vier Jahre später folgte der Gegenboykott in Los Angeles, seither argumentieren die Sportfunktionäre damit, dass Boykotte nie funktioniert hätten.

Wieso eigentlich nicht: Bleibt die durchkreuzte Moskauer Propaganda-Show nicht als Rumpf-Spiele ein Schandfleck in den Sport-Annalen? Das ewige Anti-Boykott-Narrativ des Sports floss, offen und verdeckt, auch in die Debatte um Belarus ein.

Das ist Unsinn. Boykotte bleiben das ultimative Instrument gegen eine Vereinnahmung des Sports durch eine Unrechts-Herrschaft. Bach, Infantino und Co. frömmeln ja gerne, dass man mit der einigenden, demokratischen Kraft ihrer Leibesübungen die massiven Missstände in Autokratien mildern könne. In Wirklichkeit trifft das Gegenteil zu, Sportevents sind in solchen Strukturen hoch willkommene Propaganda-Mittel.

Sport als Weltverbesserer? Welch ein Unsinn

Niemand glaubt mehr an die Marketingstory vom Sport als Weltverbesserer, das haben Peking 2008 und Sotschi 2014 ebenso eindrucksvoll gezeigt wie es in Katar 2022 bestätigt werden wird. Gleichzeitig wird mit solchen Events der betroffenen Bevölkerung auch noch die größte Hoffnung geraubt. Denn die autokratischen Machthaber können dem eigenen Volk vorführen, dass die freie demokratische Welt gern zu Gast ist in ihrem für einheimische ungastlichen Land – und dass sie gern in Gestalt Hunderttausender Fans herbeiströmt, um fröhlich Party zu machen.

Es gibt nichts Politischeres als den Sport. Er ist das größte Gesellschaftsspektakel des Globus, durchdrungen von politischen Interessen. Seine Anführer buhlen seit Dekaden um den Friedensnobelpreis – dabei verfügt der Sport über ein Spitzenpersonal, das die Strafjustiz in aller Welt beschäftigt. Gegen Fifa-Kapo Infantino laufen in der Schweiz sogar persönliche Strafermittlungen. Und IOC-Chef Bach verlor fast all seine mächtigsten Paladine, die ihm 2013 den Weg auf den Ringe-Thron geebnet hatten, im Zuge polizeilicher Ermittlungen. Jetzt steht der Fürst des Ringe-Clans ohne Gegenkandidaten zur Wiederwahl.

Ein durchschaubarer Beschluss des IOC

Von solchen Regenten aus einer geschlossenen Welt ist das zu erwarten, was sich auch in der Belarus-Frage zeigte: Menschenrechtsverletzungen im Sport sind nur dann schlimm, wenn die Geldgeber nervös werden – weil sie um ihr Image fürchten. Das ist wiederum der Fall, wenn es unter Athleten oder im Publikum rumort. Beides war in Belarus zunehmend der Fall, der Druck auch von Athletenvereinigungen wie der deutschen wurde zu groß.

Weil aber politischer oder wirtschaftlicher Druck nie ein offizieller Antrieb für Entscheidungen sein dürfen, weil das ja das Mantra von der „Vermischung“ torpedieren würde, ließ sich das IOC am 7. Dezember einen sehr durchschaubaren Beschluss einfallen: Lukaschenko, sein Sohn und NOK-Vize sowie der zwielichtige Baskow wurden von allen IOC-Events inklusive der Tokio-Spiele 2021 ausgeschlossen. Aber nein: nicht wegen der Umgangsweise mit den Demonstranten im Lande, sondern weil sie ihre Sportler angeblich unzureichend vor politischer Diskriminierung schützten.

Das ist, typisch Sport, eine fulminante Rolle rückwärts aus der langjährigen eigenen Verantwortung. Denn auf internationalem Politparkett war Lukaschenko über viele Jahre kein Gesellschaftsbereich stärker zu Diensten als der Sport. Als Mitglied der olympischen Familie konnte Lukaschenko viele Reiseverbote im Zuge von EU-Sanktionen bequem ignorieren – und auf dem Sportticket als NOK-Präsident von Belarus durch Europa jetten, hofiert von lieben Kollegen.

Auch die öfter vom Dopingverdacht umwitterten Erfolge seiner Athleten hielten den Zugang zur großen weiten Welt offen. So gibt es kaum eine treffendere Würdigung für Lukaschenko als jenen Orden, den ihm das europäische Olympiakomitee verlieh: „Für außergewöhnliche Beiträge zur olympischen Bewegung.“ Den Bembel sollte, trotz des nun verhängten olympischen Hausverbots, der Despot behalten dürfen.

Ergänzung der Redaktion: Am 18. Januar 2021 hat das Exekutiv-Komitee des Eishockey-Weltverbands IIHF Co-Gastgeber Belarus die Weltmeisterschaft entzogen – wegen "Sicherheitsbedenken".

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