Der Himmel über Berlin

Das Leben von Dendev Terbishdagva, Nomadenkind aus der Mongolei, zwischen Ulaanbaatar und Berlin

Jetzt wieder unter mongolischem Himmel, manchmal ebenfalls grau: Dendev Terbishdagva

Dendev Terbishdagva hat keinen gewöhnlichen Lebenslauf. Im Jahr 1956 wurde er in einer kinderreichen Nomadenfamilie geboren, in einer weißen mongolischen Jurte im Gebiet der heiligen Berge. Nach seinem Schulabschluss reiste er in die DDR, um Lebensmitteltechnologie zu studieren. 1989 erlebte er mit Frau und Kindern den Mauerfall, bevor er erste geschäftliche Erfahrungen im vereinigten Land sammeln konnte.

Nach mehreren beruflichen Stationen und langem Aufenthalt in Deutschland – er war von 2002 bis 2004 Botschafter der Mongolei in Deutschland – kehrte Terbishdagva in seine Heimat zurück, wo er seit 2004 Parlamentsabgeordneter im Großen Staats-Chural ist. Zurzeit arbeitet er als Berater eines UNO-Projekts im Öffentlichen Dienst der Mongolei. Er ist Präsident des mongolischen Verbands der Lebensmittelhersteller und Vorstandsvorsitzender der Sporthochschule Avarga.

Im vergangenen Herbst hat er ein Buch über sein Leben zwischen Ulaanbaatar und Berlin veröffentlicht: „Im Jahr des Roten Affen. Ein Nomade zwischen Jurte und Brandenburger Tor“. Im Gespräch mit KARENINA berichtet er über den blauen Himmel in der Mongolei und graue Gebäude in der DDR, über Pünktlichkeit und Ordnung in Deutschland und darüber, was die Mongolen sich von westlichen Investoren erhoffen.

Tatiana Firsova: Sie kommen aus der Mongolei, haben in Deutschland studiert und gelebt. Russland kennen Sie auch. Was haben diese drei Kulturen gemeinsam?

Dendev Terbishdagva: Was Russland betrifft: Die Mongolen haben 70 Jahre unter kommunistischer Führung gelebt. Wir haben in der Sowjetunion das Gleiche gelernt wie junge Menschen in der DDR: zum Beispiel Marxismus-Leninismus.

Wir haben eine lange Grenze zu Russland. Auf der russischen Seite gibt es viele mongolische Völker, zum Beispiel in Tuwa, Burjatien und Kalmückien. So gesehen haben wir sehr viele Ähnlichkeiten miteinander.

In der ehemaligen DDR haben 35 000 Mongolen studiert und gearbeitet. Dadurch kam es zu einem beträchtlichen Kulturaustausch und einem gegenseitigen Völkerverständnis. Die Studierenden konnten in Deutschland Erfahrungen in einem wirtschaftlich entwickelten Land sammeln und in die Mongolei mitnehmen.

Was war Ihr erster Eindruck von Berlin?

Als Nomadenkind war ich an die strahlende Sonne gewohnt, bei Nacht an den klaren Himmel, erleuchtet von tausenden Sternen. Bei meiner Ankunft 1975 empfing mich die DDR mit mir unbekannten Grautönen. Das Wetter, die Gebäude, alles schien wie in einen Nebel gehüllt. Das war mein erster Eindruck von Berlin, der Hauptstadt der DDR.

Danach haben sie sich aber an das deutsche Wetter gewöhnt?

Als junger Mensch interessierte man sich für alles, die Geschichte der Deutschen, ihre Kulturen, Lebensart und Lebensweise. Man hatte jeden Tag Umgang mit deutschen Jugendlichen. So verging die Zeit schnell und es war sehr interessant. Ich weiß nicht genau, wann ich mich schließlich an die Grautöne und an vieles Weiteres in Deutschland gewöhnt hatte. Wegen des nassen, kalten Wetters war ich auch öfters erkrankt. Selbstverständlich habe ich als Nomadenjunge und Kind der sonnigen Mongolei meinen schönen blauen Himmel oft vermisst.

Wie groß sind die kulturellen Unterschiede?

Wir sind unterschiedliche Nationen. Eine ist in Asien, die andere ist in Europa. Wir haben während des Sozialismus mit der DDR wirklich gute und weitgreifende Beziehungen gehabt. Damals gab es viel Kultur- und Wirtschaftsaustausch, auch freundschaftliche Beziehungen zwischen beiden Völkern. Wir hatten als Mitglied des Rats für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gleiche Prinzipien.

Später haben wir auch in der Mongolei den Weg in die Demokratie gefunden. Ungefähr zeitgleich mit den Ostdeutschen. Inzwischen leben wir alle in demokratischen Ländern. Die Mongolei ist das einzige Land im Zentralasien, das den demokratischen Weg ohne Umkehr eingeschlagen hat.

Wie war es für Sie, als Sie nach dem ersten Aufenthalt in der DDR während der Ferien in Ihre Heimat zurückkehrten?

Das war kein Problem. Die Mongolen sind Nomaden. Wir passen uns schnell an unterschiedliche Bedingungen und Orte an. Wir haben in Deutschland vieles gelernt: Pünktlichkeit, Ordnung halten, europäische Mode. Wenn man sich dran gewöhnt hatte, merkte man nach dem ersten Aufenthalt in der DDR, dass sich in unserer Heimat einiges ändern sollte: Zeit einhalten, wirtschaftliche Entwicklung, Infrastruktur. Heute ist die ganze Welt sehr global geworden.

So etwas gab es schon zu Zeiten von Dschingis Khan, in der die „Pax Mongolica“ galt, die, beginnend im 12. Jahrhundert, zwischen Osteuropa und Asien 140 Jahre Bestand hatte. Das war eine einzigartige, wunderbare, friedliche Zeit in der menschlichen Entwicklung. Es scheint mir nicht unangemessen, dass wir Mongolen die Ehre des Namens „Friede nach mongolischem Beispiel“ verdienen.

Mit welchem Land hat die Mongolei zurzeit mehr Wirtschaftsbeziehungen, mit Russland oder Deutschland?

Natürlich mit Russland. Die Mongolei liegt zwischen Russland und China, dadurch haben wir mehr Beziehungen mit den beiden Ländern. Den größten Anteil der wirtschaftlichen Beziehungen mit uns hat China.

Deutschland ist für uns aber auch der wichtigste Partner in der EU und ein strategisches Dritt-Nachbarland. Wir wollen gerne mehr Austausch haben.

Viele Wirtschaftsbeziehungen aus der Zeit der Sowjetunion sind bis heute erhalten. Deutsche Firmen belegen aber bei den Auslandsinvestitionen in dem zentralasiatischen Land nur einen kümmerlichen 17. Platz.

Und was ist mit Deutschland?

Im Jahr 2011 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Mongolei besucht. Damals haben wir zum ersten Mal ein Rohrstoffabkommen mit Deutschland beschlossen. Ein wichtiger Teil war Rohstoffe wie seltene Erde, Kupfer, Eisen und Kokskohle. Letzteres ist das Hauptexportgut der Mongolei.

Dendev Terbishdagva

Im Jahr des Roten Affen

Ein Nomade zwischen Jurte und Brandenburger Tor

Verlag Neues Leben
494 Seiten
Hardcover
24 Euro
ISBN 978-3-355-01897-5
Zum Verlag

Der Bundesverband der Deutschen Industrie verlangte eine „aktive Rohstoffsicherungspolitik“. Dazu passte die Mongolei sehr gut. Leider ist dieses Abkommen durch die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Mongolei nicht so erfolgreich, wie wir es uns gewünscht und erhofft hatten. Eine erfreuliche Tatsache ist, dass aufgrund dieses Abkommens eine mongolisch-deutsche Bergbauhochschule gegründet wurde, die heute erfolgreich Jugendliche ausbildet.

Was erhofft sich die Mongolei von europäischen Investoren und Partnern?

Die Mongolei verfügt über sehr viele Rohstoffe – Gold, Kupfer, Eisen. Man kann sagen, dass wir fast alles haben. Wenn die deutsche Industrie mit ihrem Know-how zu uns kommt, profitieren wir alle davon. Es gibt einige Bereiche, in denen eine Zusammenarbeit besonders gut laufen könnte, vor allem im Bergbau und der Landwirtschaft.

Aber die Mongolei will nicht nur ein Rohstofflieferant wie viele andere Länder sein. Wir möchten gerne verarbeitete Rohrstoffe liefern. Gleichzeitig wollen wir unsere Infrastruktur ausbauen. Außerdem sind mongolische Landwirtschaftsprodukte ökologisch angebaut und lassen sich gut als Exportprodukt vermarkten.

Wir haben 3,2 Millionen Menschen und fast 80 Millionen Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde und Kamele. Besonders mongolische Kaschmirprodukte sind in der Welt bekannt. 35 bis 40 Prozent des Rohkaschmirs der Welt produziert die Mongolei. Leider verarbeiten wir sehr wenig davon in der Mongolei. Stattdessen liefern wir unseren Rohrkaschmir an China, in China vermischen sie es mit Wolle aus anderen Quellen, verarbeiten es und verkaufen es weiter.

Was fehlt Ihnen in der Mongolei, das es nur in Deutschland gibt?

Manchmal stelle ich mir vor, wie schön es wäre, wieder in Berlin zu sein und durch die breiten Straßen zu gehen, Museen zu besuchen, mich mit meinen deutschen Freunden zu treffen und ein Bier mit Bratwurst oder Schweinehaxe zu genießen. Oder auch ein schönes Frühstück nach deutscher Art mit Wurst und Käse schwebt mir manchmal durch den Kopf.

Und wenn ich an mein Projekt mit dem Namen „Der fleißige Mongole“ denke, dann fällt mir auf, dass bei uns fachlich gut ausgebildete Leute der klein- und mittelständischen Unternehmen fehlen. Mein Ziel ist es, junge Fachleute in Deutschland auszubilden. Und dabei fällt mir dann auf, dass mir manchmal die strikten deutschen Prinzipien im Leben und in der Arbeit fehlen.

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