Erzähl mir was vom Pferd
Der langjährige ARD-Korrespondent in Moskau Udo Lielischkies zieht Bilanz
Udo Lielischkies liebt die Russen, aber er verzweifelt an Putins Russland. Da hilft nur noch ein Witz: „Wenn es aussieht wie ein Pferd, wiehert wie ein Pferd, galoppiert wie ein Pferd, dann ist es höchstwahrscheinlich ein Pferd. Wenn das Pferd dann sagt: ‚Ich bin kein Pferd‘, ist es mit Sicherheit ein russisches Pferd.“
Der Witz ist alt, schon lange vor der Vergiftung Nawalnys wurde er erzählt, Lielischkies, langjähriger Leiter des ARD-Büros Moskau, hörte ihn nach dem Abschuss von MH-17 unter Journalisten. Immer wenn die Spuren nach Russland führen, gab es von dort Dementis. „Wenn Fakten Russland eindeutig belasten“, so Lielischkies, „werden gleich mehrere alternative Wahrheiten entwickelt und verbreitet, bis der verwirrte Zuschauer entnervt aufgibt.“
Wer versucht, als Journalist oder Oppositioneller Licht in die dunklen Ecken von Regierung, Geheimdiensten und Korruption zu bringen, lebt gefährlich. Der Inlandsgeheimdienst FSB sei „Primus inter Pares, mächtiger als Staatsanwaltschaft, Untersuchungskomitees oder Gerichte, frühere Zuständigkeitsgrenzen zwischen den Behörden sind ausgelöscht“. Der FSB könne, „heute so ungehindert wie nie gegen jede beliebige Person in der Russischen Föderation ein Strafverfahren mit garantierter Festnahme und Verurteilung einleiten“, zitiert Lielischkies Pawel Tschikow. Alternativ darf man mit defekten Bremsen rechnen oder mit Kugeln. Mehr als drei Dutzend Morde zwischen 1992 und 2018 sind aktenkundig, kaum einer ist aufgeklärt.
Unantastbar: Putin
Lielischkies zeichnet ein dunkles Bild von Putins „gelenkter Demokratie“. Er zeigt, wie russische Medien unter Kuratel gezwungen werden, die um das Gebot von vorauseilendem Gehorsam und Selbstzensur wissen, wie die Masse gesteuert wird, wie Troll-Fabriken Fakten und Bilder manipulieren, wie anfällig schlecht bezahlte Polizisten für Bakschisch sind, wie die Milliardäre sich in korrupten Strukturen unbehelligt bedienen (dürfen). Er berichtet auch über die Resignation der Menschen jenseits der Großstädte, die glauben, ohnehin nichts ändern zu können, und wie Oppositionelle auf dem Land schikaniert werden.
Lielischkies lässt sein Publikum auch am stillen Leiden der Bevölkerung jenseits der Großstädte teilhaben, zeigt, dass und wie die Superreichen ihre Geldspeicher füllen während bei den Massen leere Mägen knurren.
Unantastbar bleibt einer: Putin, der „Russland wieder von den Knien erhoben“ habe. Dieses Mantra sei im russischen Unterbewusstsein eingenistet. „Kritik an der makellosen Führungsfigur Putin wird gleichzeitig immer stärker mit Defätismus und fehlendem Patriotismus gleichgesetzt.“ Zurecht bemerkt Lielischkies: „Patriotismus macht nicht satt.“ Staunend aber konstatiert er einen „unerschütterlichen Glauben an den ‚guten Zaren‘ Putin“, den noch immer eine Mehrheit huldige, „nur seine bösen ‚Bojaren‘ knechteten das Volk“.
„Entspannungs-Apologeten“
Im Schlusskapitel rechnet Lielischkies mit den „Entspannungs-Apologeten“ ab. „Wandel durch Annäherung“ ist für ihn kein zeitgemäßes Konzept, Putin sei nicht Breschnew, mehr Dialog kein „Allheilmittel“. Der deutschen Politik wirft er Symbolpolitik vor, als Realpolitik geißelt er den Besuch von Wirtschaftsminister Peter Altmeiers bei der Eröffnung eines Mercedes-Benz-Werks, die Unterstützung der Ostsee-Pipeline „Northstream II“ und das „dröhnende Schweigen Berlins“ nach den Bombardements auf syrische Wohngebiete. Er räumt aber auch ein, dass härtere Sanktionen Putins Politik nicht ändern würden. „Für die Menschen in Russland bedeutet das nichts Gutes“, schreibt er.
Aber was wäre nun die Alternative zu Dialog?
Im Schatten des Kreml
Unterwegs in Putins Russland