Von Moskau nach Tbilissi

Das Verbindungsbüro für Osteuropa der Freien Universität ist nach Georgien umgezogen. Tobias Stüdemann über Hintergründe

von Sören Maahs
Jetzt in Tbilissi: Tobias Stüdemann
Fängt in Tbilissi neu an: Tobias Stüdemann

Nach dem Überfall auf die Ukraine beendete die Freie Universität die Zusammenarbeit mit Einrichtungen in Russland. Das hatte auch Einfluss auf das seit 2010 bestehende Verbindungsbüro in Moskau: Wenige Tage nach Kriegsbeginn wurde es geschlossen. Nun wurde es in der georgischen Hauptstadt Tbilissi wiedereröffnet. Seit Anfang Oktober arbeitet Tobias Stüdemann, der langjährige Büroleiter des Moskauer Büros von Tbilissi aus für die Freie Universität Berlin. Ein Gespräch über Abschied und Neuanfang.

Wann haben Sie entschieden, Russland zu verlassen?

Tobias Stüdemann: Anfang März traf die Universitätsleitung die Entscheidung, das Büro in Moskau zu schließen. Mit dem Einfrieren aller formalisierten Partnerschaften in Russland war der Großteil meiner Aufgaben ohnehin weggefallen. Warum sollte die Freie Universität ein Büro in Moskau unterhalten, das nur zu 20 Prozent ausgelastet ist?

Und wenn Rektoren russischer Hochschulen einen Unterstützungsbrief für die russische Invasion unterschreiben und im persönlichen Gespräch darauf bestehen, dass Hochschulen „außerhalb der Politik sein sollten“ und wir doch wie bisher weitermachen könnten – dann entfällt einfach die Vertrauensgrundlage.

Ich habe schon lange vor dem 24. Februar beobachten müssen, wie Russland sich zunehmend zu einem autokratischen System entwickelt. Die Unterdrückung von Presse und politischer Opposition, das Herausdrängen von kritischen Universitätsangehörigen – das alles war ein länger zu verfolgender Trend.

Warum fiel die Wahl auf Georgien?

Für Georgien sprechen einige Aspekte, nämlich die recht große Zahl bestehender und anlaufender Projekte mit georgischen Partnern, die Visumfreiheit für Nachbarstaaten, die zentrale Lage innerhalb der Region und nicht zuletzt die rechtlich niedrigen Hürden, das Büro dort anzusiedeln. In Tbilissi kann ich freier sprechen als von Russland aus, wo ich nie sicher sein konnte, wer alles mithört.

Als Alternativen hätte man an die Ukraine und vielleicht Kasachstan denken können. Die Situation in der Ukraine ist wegen des Krieges aber zu unsicher, und in Kasachstan gibt es aktuell wenig wissenschaftliches Interesse. Die Entscheidung des Präsidiums war daher gut begründbar und ist allseits meinem Eindruck nach sehr positiv aufgenommen worden – wir bleiben als Freie Universität in der Region vertreten.

Eine ganz praktische Frage: War der Umzug wegen der aktuellen Lage in Russland kompliziert?

Wer schon einmal international umgezogen ist, weiß, dass das immer eine Herausforderung ist. Es fing schon mit der Frage an, welche Katzenimpfstoffe in Georgien anerkannt sind und woher ich sie aufgrund der unterbrochenen Lieferketten nach Russland bekomme. Als ich mit meiner Familie vor der Wahl stand: nach Georgien oder Berlin, stimmten alle für Georgien. Unsere beiden Katzen haben wir nicht gefragt.

Weil wir parallel zum Wohnortwechsel auch den Schulwechsel der Tochter organisieren mussten, haben wir mit dem Umzug bis zu den Sommerferien gewartet. Die Ausreise mit dem Auto war dann eine viertägige Abschiedstournee bei schönstem Sommerwetter mit Abendspaziergängen in Woronesch, Wolgograd und Naltschik. Um die russisch-ukrainische Grenze machten wir vorsichtshalber einen großen Bogen.

Ist Ihnen nach zwölf Jahren der Abschied von Moskau schwergefallen?

Für mich sind Familie und Arbeit wichtiger als der Ort, an dem ich lebe. Aber der Abschied war schon merkwürdig – die Lebensplanung sah eigentlich nicht vor, Russland so schnell zu verlassen.

In Moskau habe ich mich sehr wohl gefühlt. Doch konnte ich dort nicht mehr arbeiten, und auch für meine Frau, die russische Staatsbürgerin ist, wurde die Situation immer schwieriger. Wann immer sie sich politisch äußern wollte, musste sie erst zehnmal überlegen, ob das straflos möglich ist. Der Krieg in der Ukraine entzweit auch ihre Familie – in Putin-Gegner und -Anhänger.

1991 bin ich das erste Mal in Moskau gewesen. Die Vorstellung, dass es womöglich für eine sehr lange Zeit nicht mehr möglich sein wird, dorthin zu reisen, erscheint mir immer noch etwas surreal.

Wie war der Start in Georgien? Wie sahen Ihre ersten Schritte nach dem Umzug aus?

Da ich auch 2010 in Moskau in einer Situation war, wo ich praktisch niemanden kannte, fühle ich mich wieder in diese Zeit zurückversetzt. Man beginnt also ganz einfach bei allen deutschen Organisationen – vom DAAD und dem Goethe-Institut über die Botschaft, die politischen Stiftungen, die Deutsche Wirtschaftsvereinigung, über Kontakte in den International Offices unserer Partneruniversitäten. Von dort aus hangelt man sich weiter. Wenn man das einmal gemacht hat, ist es beim zweiten Mal gar nicht so schwer. Das Schöne ist, auch wenn sich das vor dem Hintergrund des Krieges seltsam anhört, dass es nach den Jahren der Pandemie wieder losgeht und es überall eine Aufbruchstimmung gibt – das möchte ich gern für uns nutzen.

Wie haben sich durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Beziehungen zwischen der Freien Universität und Forschungseinrichtungen in Osteuropa und Zentralasien verändert?

Aus universitärer Sicht können wir auf mehr als 50 Jahre Kooperation mit Russland zurückblicken: 1968, mitten während der Studentenproteste, hat die Freie Universität einen Kooperationsvertrag mit der Leningrader Universität abgeschlossen. Insgesamt ist der Fokus relativ stark auf Russland geblieben, es gab wenig Aufmerksamkeit für die anderen Länder der Region.

Und das ändern wir jetzt. Im Südkaukasus und in Zentralasien sehe ich noch viel Potenzial. Das ist eine Region, die bisher vielleicht etwas zu kurz gekommen ist. Ein Schwerpunkt könnte die Ukraine werden, sobald Reisen in und aus der Ukraine wieder möglich sind.

Wir sollten unsere Aktivitäten aber nicht mehr nur auf ein Land konzentrieren, sondern versuchen, einen möglichst breiten Fokus zu entwickeln: von Belarus bis zur Mongolei, mit Schwerpunkten, die unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen. Je nach den Angeboten der Partner vor Ort könnten auch transnationale Projekte entstehen, z. B. für den Südkaukasus oder Zentralasien. Das Interesse ist riesig, viel größer als das, was wir abdecken können.

Nach wie vor wird es um diese Fragen gehen: Wie können wir wissenschaftlichen Austausch zum gemeinsamen Vorteil ermöglichen, potenzielle Doktoranden und Studierende für die Freie Universität Berlin gewinnen, Rat erteilen und dabei helfen, möglichst viele administrative Hürden aus dem Weg zu räumen? Insofern verändert sich durch den Umzug von Moskau nach Tbilissi nicht so viel – denn das ist das, was das Verbindungsbüro seit jeher macht.

Wie geht es Ihnen persönlich in Tbilissi?

Georgien ist ein tolles Land. Es ist warm, es gibt gutes Essen. Ich fange an, Georgisch zu lernen. Ein paar Buchstaben kann ich schon.

Die Fragen stellte Sören Maahs. Das Interview ist ursprünglich in campus.leben erschienen, dem Online-Magazin der Freien Universität Berlin.

Nichts verpassen!

Tragen Sie sich hier ein für unseren wöchentlichen Newsletter:

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern. Wenn Sie unter 16 Jahre alt sind und Ihre Zustimmung zu freiwilligen Diensten geben möchten, müssen Sie Ihre Erziehungsberechtigten um Erlaubnis bitten. Wir verwenden Cookies und andere Technologien auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern. Personenbezogene Daten können verarbeitet werden (z. B. IP-Adressen), z. B. für personalisierte Anzeigen und Inhalte oder Anzeigen- und Inhaltsmessung. Weitere Informationen über die Verwendung Ihrer Daten finden Sie in unserer Datenschutzerklärung. Sie können Ihre Auswahl jederzeit unter Einstellungen widerrufen oder anpassen.

Datenschutzeinstellungen

Alle akzeptieren

Speichern

Individuelle Datenschutzeinstellungen