Russlands gefährlicher Niedergang

Andrea Kendall-Taylor, Michael Kofman: Weitere Niederlagen machen Russland unberechenbarer, Foreign Affairs Nov/Dez 2022

von KARENINA
Foreign Affairs über Russlands Krieg

Russlands Invasion in der Ukraine war ein massiver strategischer Fehler, der Russland militärisch, wirtschaftlich und geopolitisch geschwächt hat, schreiben Andrea Kendall-Taylor und Michael Kofman in Foreign Affairs. Europa wolle seine Energieabhängigkeit von Russland zu verringern, was weniger Einfluss auf den Kontinent und weniger Staatseinnahmen bedeute. Wegen der internationalen Sanktionen und Exportkontrollen werde Russland bei der Innovation noch weiter zurückfallen. Russlands BIP schrumpfe und das Land verliere einige seiner besten Talente, darunter Programmierer, Ingenieure und Spezialisten für Informationstechnologie. Das werde seine Wettbewerbsfähigkeit mindern.

Dass Russlands Macht und Einfluss abnehmen, bedeute allerdings nicht, dass Russland weniger gefährlich werde, warnen die Experten des Center for a New American Security. Einige Aspekte der Bedrohung werden sich wahrscheinlich verschärfen. „Je mehr der Kreml an den Rand gedrängt und bedroht wird, desto weniger vorhersehbar und zurückhaltend wird sein Verhalten sein.“

Die atomare Bedrohung

Noch immer führe Russland bei integrierter Luftverteidigung, elektronischer Kriegsführung, Antisatellitenwaffen, U-Booten und anderen fortschrittlichen Systemen. Und es verfüge noch immer über ein beträchtliches Nukleararsenal, was „nach wie vor ein bedeutender Faktor ist, der die Entscheidungsfindung der USA und der Nato beeinflusst“, schreiben Kendall-Taylor und Kofman.

Je verletzlicher sich Putins konventionellen Streitkräfte erweisen, desto wahrscheinlicher sei es, „dass er sich auf unkonventionelle Methoden verlässt, um seine Ziele zu erreichen“. Die Autoren rechnen mit intensiveren Desinformationskampagnen, mit Cyberattacken und bei zunehmenden Niederlagen der Armee mit einer nuklearen Eskalation, einem begrenzten Einsatz von Nuklearwaffen. Dieser Krieg werde nicht der letzte Atemzug des russischen Imperialismus sein, meinen die Autoren. Selbst wenn die Ukraine und ihre westlichen Unterstützer überwältigend erfolgreich wären, werde Russland eine Herausforderung für die europäische Sicherheit bleiben.

Und die zu verteidigen, bleibe „in hohem Maße von den Vereinigten Staaten abhängig“. Es sei „naiv zu glauben, dass jedes europäische Land die Integrations-, Ermöglichungs- und andere wichtige Unterstützungsfunktionen übernehmen kann, die derzeit von den Vereinigten Staaten wahrgenommen werden“. Die sechsmonatige Unterstützung der Ukraine habe „große Lücken in der Fähigkeit des Westens zur Herstellung von Munition und wichtigen Ersatzteilen aufgedeckt“. Bis Europa mehr für seine eigene Verteidigung tun kann, das werde Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte dauern.

Was kommt nach Putin?

Die USA und Europa hätten ein gemeinsames Interesse daran, das Verhältnis zu Russland zu stabilisieren. „Das wird nicht möglich sein, solange Putin an der Macht ist“, glauben Kendall-Taylor und Kofman. Aber es werde „unweigerlich ein Post-Putin-Russland geben, und ein Führungswechsel“. Was jedoch nach Putin kommt, sei schwierig vorherzusagen. Es sei wahrscheinlich, „dass die Eliten, die antagonistische Ansichten über den Westen vertreten, an der Macht bleiben werden“.

Deshalb wünschen die Autoren „eine durchschlagende russische Niederlage in der Ukraine“. Das könnte, so hoffen sie, „künftigen russischen Eliten eine wertvolle Lektion über die Grenzen militärischer Macht erteilen“.  PHK

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