Russland auf dem Weg zum wirtschaftlichen Ruin
Konstantin Sonin: Warum Russlands Wirtschaft abstürzen wird, Foreign Affairs 15.11.2022
Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar schien der russischen Wirtschaft ein Sturzflug bevorzustehen. Die internationalen Sanktionen, so war allenthalben erwartet worden, würden die Wirtschaft abzuwürgen, der Rubel würde abstürzen und mit ihm die russischen Finanzmärkte.
Aber dieses Szenario ist nicht eingetreten. Der russischen Wirtschaft geht es gut. Der Rubel hat gegenüber dem Dollar zugelegt, und obwohl das russische BIP geschrumpft ist, könnte der Rückgang im Jahr 2022 durchaus auf weniger als drei Prozent begrenzt sein. Konstantin Sonin versucht in Foreign Affairs zu erklären, weshalb das so ist – und dass der Niedergang doch wie erwartet kommen wird.
Der Schaden sei, so Sonin, bereits schwerwiegend: „Die russische Wirtschaft wird eine lange Phase der Stagnation erleben.“ Grund sei, dass der Staat sich massiv in die Privatwirtschaft einmische – und zwar verstärkt seit Kriegsbeginn. Das drohe Innovation und Markteffizienz weiter zu unterdrücken.
Dass der Rubel sich halte, liege daran, dass die russischen Importe im Frühjahr um 40 Prozent zurückgegangen seien. Aber die Einschränkung des russischen Zugangs zu Mikroelektronik, Chips und Halbleitern hätten die Produktion von Autos und Flugzeugen fast unmöglich gemacht. Die Autoproduktion sei um 90 Prozent geschrumpft, ähnlich die Produktion von Flugzeugen und Waffen. Die Hoffnung auf mehr Handel mit China, der Türkei und anderen Ländern, die nicht Teil des Sanktionsregimes sind und den Wegfall westlicher Importe kompensieren würden, hätte sich nicht erfüllt.
Das größte und ein nachhaltiges Problem sei jedoch, dass die Regierung von den Unternehmen erwarte, einen Überschuss an Beschäftigten zu behalten. Selbst privaten Firmen sei verboten worden, Mitarbeiter zu entlassen. Dies habe dem russischen Volk – zumindest vorerst – wirtschaftliche Sicherheit verschafft, so Sonin, „und diese Stabilität ist ein entscheidender Bestandteil von Putins Pakt mit seinen Wählern. Aber eine Wirtschaft, in der Unternehmen nicht modernisieren, umstrukturieren und Mitarbeiter entlassen können, um ihre Gewinne zu steigern, wird stagnieren.“
Durch die Massenmobilisierung müssten russische Unternehmer nun mit Regierungsbeamten verhandeln, um sicherzustellen, dass ihre Mitarbeiter von der Einberufung befreit werden. Sonin erkennt deshalb ein Wachsen der Korruption. Unabhängig vom Ausgang des Kriegs werde Russland eine Situation erleben, in der die Regierung „eine Autorität über den Privatsektor in einem Ausmaß ausübt, das es außer in Kuba und Nordkorea auf der ganzen Welt noch nie gegeben hat“. Und deshalb prophezeit er: „Selbst wenn Putin die Macht verliert und ein Nachfolger bedeutende Reformen einleitet, wird es mindestens ein Jahrzehnt dauern, bis Russland zu dem Niveau der Privatwirtschaft und Lebensqualität zurückkehrt, das das Land noch vor einem Jahr erlebte. Das sind die Folgen eines katastrophalen, fehlgeleiteten Kriegs.“ PHK