Memorial: Hüterin der Erinnerung
Die Menschenrechtsorganisation Memorial und ihr Kampf gegen das Vergessen
Die weltweiten Proteste gegen den Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft, die Internationale Menschenrechtsorganisation Memorial aufzulösen, zeigen, welches Ansehen diese Stimme des „anderen“, freiheitlichen Russland sowohl im Osten als auch im Westen genießt. Die Verdienste, die diese Organisation in den letzten Jahrzehnten erworben hatte, um die dunkelsten Kapitel der russischen bzw. der sowjetischen Geschichte aufzuarbeiten, sind nicht hoch genug einzuschätzen.
Als die Menschenrechtsorganisation Memorial im Januar 1989 offiziell gegründet wurde, befanden sich die regimekritischen Teile der sowjetischen Gesellschaft mitten in einer immer schärfer werdenden Auseinandersetzung mit der bolschewistischen Vergangenheit: „72 Jahre auf der Straße nach Nirgendwo“, konnte man auf einem der Plakate lesen, die die Demonstranten auf einer Protestkundgebung anlässlich des Jahrestags der Oktoberrevolution in Moskau mit sich trugen.
In einer Rede des Historikers Juri Afanassjew, die die Regierungszeitung Iswestija im März 1990 gedruckt hat, konnte man Folgendes lesen: „Unsere gesamte Geschichte besteht aus Gewalt und Gewaltanwendung. Wenn unserer Führer und Gründer (also Lenin – L.L.) tatsächlich Grundlagen gelegt hat, dann (war dies) die Einführung der staatlichen Politik der massiven Gewalt und des massiven Terrors als Prinzip.“
Auf derart scharfe Angriffe auf die Grundfesten des sowjetischen Systems reagierten seine Verteidiger mit Panik und Empörung zugleich: „Die antileninistischen Ideen finden in der letzten Zeit eine große Verbreitung in unserer Partei und in unserem Land“, beklagte sich Anfang 1990 der Leiter des ZK-Instituts für Marxismus-Leninismus Georgi Smirnow. „Alle Katastrophen, die das Land erlebt hatte, werden … auf den utopischen Charakter der sozialistischen Bestrebungen von Marx und Lenin zurückgeführt.“
Solch unbeholfene apologetische Auftritte vermochten indes die weitere Demontage des 1917 errichteten Systems nicht aufzuhalten. Presseorgane, die sich mit der Vergangenheitsbewältigung, vor allem mit den stalinistischen Verbrechen, besonders intensiv befassten, erreichten zum damaligen Zeitpunkt atemberaubende Auflagen.
So weist die Freiburger Politologin Elke Fein in „Geschichtspolitik in Russland“ (Hamburg 2000, S.111) darauf hin, dass die Auflage der Zeitschrift Ogonjok von etwa 1,8 Millionen im Jahre 1988 auf 4,5 Millionen Exemplare im Jahre 1990 steig, und die Auflage des Blatts Argumenty i fakty im gleichen Zeitraum von 9 auf 33 Millionen.
Man sollte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass das sowjetische System im Verlauf seiner Geschichte unzählige beinahe ausweglose Krisen überstanden hatte – den Bürgerkrieg, drei verheerende Hungerkatastrophen, die Zwangskollektivierung und das militärische Debakel in der Anfangsphase des deutsch-sowjetischen Kriegs. Was dieses Regime aber nicht zu verkraften vermochte, war die Wahrheit über sich selbst. An dieser Wahrheit ist es letztendlich auch zerbrochen.
Solidarisierung mit den „Opfern grundloser Repressionen“
Dies waren also die Rahmenbedingungen, in denen Memorial entstand. Ursprünglich setzte sich die Gesellschaft für die Verwirklichung der bereits auf dem 20. Parteitag der KPdSU vom Februar 1956 geäußerten Idee ein, den Opfern des stalinistischen Terrors ein Denkmal zu errichten. Allmählich entwickelte sich Memorial aber zum Verteidiger der Belange aller, die seit der Gründung des sowjetischen Staats ins Räderwerk seiner Terrormaschinerie geraten waren, setzte sich, meist postum, für deren vollständige Rehabilitierung und für die Öffnung der Archive der Sicherheitsorgane ein, in denen millionenfache Willkürakte minuziös dokumentiert waren. Abgesehen davon forderte Memorial die Bestrafung der Verantwortlichen für den Terror.
Zu den größten Leistungen von Memorial gehörte die Sensibilisierung der sowjetischen Öffentlichkeit für die Problematik der politischen Repression. Auf der offiziellen Gründungsversammlung der Gesellschaft im Januar 1989 wurden u.a. folgende Resolutionen verabschiedet:
4. Forderung nach der Mitarbeit (von Memorial) in den Rehabilitierungskommissionen der Sowjets. 5. Forderung nach Anerkennung der ungesetzlichen Massenrepressionen als Verbrechen gegen die Menschheit und eines Prozesses gegen Stalin und andere Verantwortliche 6. Unterstützung des Vorschlags, soziale Vergünstigungen für Repressionsopfer zu erwirken 7. (Forderung nach der) Wiederherstellung der Rechte deportierter Völker (Fein, Geschichtspolitik, S.137).
Zu den Gründungsmitgliedern von „Memorial“ gehörte neben dem bereits erwähnten Historiker Juri Afanassjew auch die Symbolfigur der sowjetischen Bürgerrechtsbewegung Andrei Sacharow. Das Gesetz zur Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen, das der Oberste Sowjet der Russischen Föderation im Oktober 1991 verabschiedet hat, trug auch die Handschrift von Memorial.
Die Präambel zum Gesetz enthielt folgende Formulierungen: „Der Oberste Sowjet der RSFSR gibt seinem tiefen Mitgefühl mit den Opfern grundloser Repressionen Ausdruck, ihren Kindern und Angehörigen, indem er den jahrelangen Terror und die massenhafte Verfolgung seines … Volkes für unvereinbar mit der Idee von Recht und Gerechtigkeit erklärt (Fein, Geschichtspolitik, S.207).
Das Verbot der KPdSU
Das Gesetz wurde bereits nach dem gescheiterten kommunistischen Putschversuch vom August 1991 angenommen. Damals wurde in Russland, auch in den Reihen von Memorial, die Idee lanciert, eine Art Nürnberger Prozess gegen die KPdSU zu veranstalten. Dieser Plan scheiterte allerdings, und zwar deshalb, weil sich die Ausgangssituation für einen solchen Prozess in Moskau zu Beginn der 1990er-Jahre grundlegend von derjenigen in Nürnberg unterschied.
Denn die NSDAP hatte bis zu ihrem letzten Atemzug ihren massenmörderischen Charakter beibehalten. Ihr immer radikaler werdender Vernichtungsfeldzug gegen das sogenannte „lebensunwerte Leben“ konnte nur deshalb gestoppt werden, weil das Dritte Reich eine totale militärische Niederlage erlitten hatte.
Die KPdSU hingegen hatte ihren Charakter nach dem Tode Stalins verändert. Auf ihrem 20. Parteitag hat sie sich von manchen Exzessen der Stalin-Zeit distanziert und auf den Massenterror als Herrschaftsinstrument verzichtet. Schließlich stammten auch die Urheber der Perestroika aus den Reihen der Führungsriege der KPdSU.
Auf der anderen Seite verjährt Massenmord nicht, es wäre also durchaus legitim gewesen, die bis August 1991 alleinherrschende Partei für ihre Verbrechen, die sie bis zum Tode Stalins begangen hatte, zur Rechenschaft zu ziehen. Und darum bemühten sich nicht nur Memorial, sondern auch manche Gruppierungen im Regierungslager um Boris Jelzin.
Die Auseinandersetzung mit den dunkelsten Kapiteln in der Geschichte des Sowjetregimes erreichte ihren Höhepunkt während des sogenannten KPdSU-Prozesses vor dem russischen Verfassungsgericht (Mai bis November 1992), als die Verfassungsmäßigkeit des Verbots der ehemals herrschenden Partei diskutiert wurde. Memorial beteiligte sich aktiv an diesem Prozess und verfasste ein Gutachten zum Charakter der KPdSU, das folgende Passagen enthielt:
„Die Kommunistische Partei, die sich von 1917 – 1991 an der Macht befand, war keine Partei im allgemeinen Wortsinn. Nachdem sie sich aller Hebel zur Leitung des Landes bemächtigt hatte, büßte die KPdSU die Merkmale einer politischen Partei ein und verwandelte sich in eine überstaatliche Struktur jenseits des Rechts. …Während sich die KPdSU an der Macht befand, leitete ihr Führungsapparat … mehrmals eine Kampagne der Massenrepressionen ein, für die jedes Mal die von ihr vollständig kontrollierten Strafverfolgungsorgane verantwortlich gemacht wurden. Wir glauben, dass die Organisation und die Durchführung dieser Repressionen Merkmale eines Verbrechens an der Menschheit aufweisen.“ (Fein, Geschichtspolitik, S.180).
Die Argumentation von „Memorial“ war derjenigen der Regierungsvertreter, z. B. derjenigen Sergej Schachrajs, der das Dekret des Staatspräsidenten über das Verbot der KPdSU vor dem Gericht verteidigte, zum Verwechseln ähnlich.
Trotz all dieser Argumente fällte das Verfassungsgericht ein Kompromissurteil. Es bezeichnete zwar das Dekret Jelzins als verfassungskonform, zugleich räumte es aber den kommunistischen Parteizellen an der Basis das Recht ein, sich politisch zu betätigen. Dieses Urteil gab den russischen Kommunisten im Grunde die Möglichkeit, sich als Partei erneut zu konstituieren, was auch im Februar 1993 geschah.
Erosion der demokratischen Ideen
Die Kommunisten profitierten von der Diskreditierung der demokratischen Ideen, die in Russland kurz nach der Entmachtung der KPdSU zu beobachten war. Dieser Vorgang hatte mehrere Ursachen. Dazu zählte die im Januar 1992 begonnene wirtschaftliche Schocktherapie, die nach Ansicht einiger Wirtschaftsexperten in ihrer ersten Phase zur Halbierung des Lebensstandards der Bevölkerung führte.
Darüber hinaus muss man an dieser Stelle auch die Auflösung der Sowjetunion erwähnen, die von vielen Verfechtern des imperialen Gedankens im heutigen Russland als eine Art Apokalypse erlebt wird. Und schließlich trug die gewaltsame Beendigung des langwierigen russischen Verfassungskonflikts – die Erstürmung des Weißen Hauses, des Sitzes des Obersten Sowjets – durch Regierungstruppen (Oktober 1993) zusätzlich zum Prestigeverlust der Reformer bei.
Die Fragen der Vergangenheitsbewältigung spielten von nun an für die Bevölkerungsmehrheit eine immer geringere Rolle. Die Menschen waren viel zu sehr mit dem Kampf ums wirtschaftliche Überleben beschäftigt. Abgesehen davon fand in Russland ein Paradigmenwechsel statt, der recht typisch für Gesellschaften ist, die kurz zuvor eine tiefe Umwälzung erlebt haben.
Zu diesem „postrevolutionären Syndrom“ hatte bereits vor vielen Jahren der britische Sowjetologe Edward Hallett Carr folgendes bemerkt: Jedem revolutionären Bruch mit der Vergangenheit folge nach einer gewissen Zeit die Sehnsucht nach der Wiederherstellung der geschichtlichen Kontinuität.
Diese Beobachtung Carrs scheint auch für das postsowjetische Russland zutreffend zu sein. Wie lässt sich sonst die Tatsache erklären, dass 2003 bei einer Umfrage des „Gesamtrussischen Zentrums zur Erforschung der öffentlichen Meinung“ 53 Prozent der Befragten die Meinung vertraten, Stalin habe in der Geschichte der Sowjetunion eine „unbedingt positive oder eher positive Rolle“ gespielt?
Als im Zuge der Verschärfung des politischen Kurses des im Jahr 2000 errichteten Putin-Systems eine weitgehende Demontage der zivilgesellschaftlichen Strukturen stattfand, die sich im Land während der Perestroika entwickelt hatten, wurde es immer einsamer um Memorial. Die bereits erwähnte Popularität Stalins im Land stieg stetig, ungeachtet der unermüdlichen Aufklärungsarbeit Memorials. Ein erschütterndes Phänomen, wenn man bedenkt, dass die stalinistische Terrormaschinerie sich in erster Linie gegen die eigene Bevölkerung gerichtet hatte, und dass zu den heutigen Apologeten Stalins unzählige Nachkommen seiner damaligen Opfer gehören.
Der wissenschaftliche Leiter des Staatsarchivs der Russischen Föderation, Sergej Mironenko, sagt dazu: „Es hat sich bei uns eine Tradition etabliert, die besagt, dass ein (Politiker), der kein Tyrann ist, sich nicht zum Führer eigne. Deshalb gilt Chruschtschow, der durch seine Rehabilitierungsmaßnahmen Millionen von Menschen rettete, im öffentlichen Bewusstsein als schwacher (Politiker).“
„Das sind Bücher über uns selbst“
Dennoch stellte der Prozess der Vergangenheitsbewältigung in Russland auch nach der Etablierung der „gelenkten Demokratie“ Wladimir Putins keinen geradlinigen Prozess dar. Die Tatsache, dass die Kritiker Stalins ausgerechnet nach der Entmachtung der KPdSU die Initiative im innerrussischen Diskurs verloren haben, bedeutete keineswegs, dass die Auseinandersetzung mit der bolschewistischen Vergangenheit im Land ihr Ende fand. Es erschienen in Russland weiterhin unzählige Monographien und Dokumentensammlungen, die schonungslos sowohl mit dem stalinistischen als auch mit dem leninistischen Terror abrechneten.
Führend war auf diesem Gebiet der renommierte Moskauer Verlag Russische Politische Enzyklopädie (ROSSPEN) mit seiner Serie „Geschichte des Stalinismus“ und die 1997 gegründete Kommission zur Rehabilitierung der Opfer politischer Verfolgungen beim Präsidenten der Russischen Föderation. Der Leiter dieser Kommission, Alexander Jakowlew, charakterisierte im Jahr 2000 die von der Kommission herausgegebene Dokumentensammlungen über die stalinistischen Verbrechen folgendermaßen:
„Das sind Bücher über uns selbst, sie enthalten bittere und unbarmherzige Wahrheiten. Deren Kenntnis stellt aber eine Voraussetzung für die Gesundung unseres Landes dar. Bei diesen Büchern handelt es sich um ein dokumentarisch erhärtetes Urteil über ein unmenschliches System, das jahrzehntelang eine politische und geistige Vernichtungspolitik betrieb. Diese Bücher sind ein Aufruf zur Reue, sie sind von dem Blut der Opfer und der Schamlosigkeit der Täter durchtränkt.“
Auch Memorial setzte seine Arbeit ungeachtet des zunehmend repressiven politischen Kurses der Kremlführung unermüdlich fort. Dazu gehörte auch das ehrgeizige Projekt von Memorial, alle Terroropfer des sowjetischen Regimes namentlich zu erfassen.
Diesem Ziel dienen die Gedenkbücher der Organisation, die in vielen Regionen Russlands herausgegeben werden und die versuchen, die Terroropfer vor dem Vergessen zu bewahren. Von mehreren Millionen Menschen, die bis zum Tode Stalins von der sowjetischen Terrorjustiz verurteilt wurden, werden in der Datenbank von Memorial bereits etwa 3,5 Millionen Opfer namentlich erwähnt.
Angriff auf die Grundfreiheiten aller
All diese Aktivitäten irritieren die Machthaber, die seit Jahren, wenn auch mit einigen Vorbehalten, zur Verklärung der sowjetischen Vergangenheit neigen: „Schulbücher müssen Stolz wecken“, verkündete Putin im Jahre 2003. Für die Verfechter einer solchen Verdrängungspolitik war Memorial mit seinen Mahnungen und Warnungen einen Störenfried. Daher der Versuch der Behörden, die Organisation, die für viele in Ost und West als „das Gewissen Russlands“ gilt, von der politischen Bühne zu entfernen.
Aber Memorial befasst sich nicht nur mit den dunklen Kapiteln der sowjetischen Vergangenheit, sondern auch mit manchen eklatanten Verletzungen der Menschenrechte im heutigen Russland, was die Organisation in den Augen vieler Vertreter des herrschenden Establishments zusätzlich untragbar macht. „Es ging (hier) nie um Geschichte allein“, schreibt in diesem Zusammenhang mit Recht Frank Herold im Tagesspiegel.
Bereits 2013 forderte die russische Generalstaatsanwaltschaft Memorial dazu auf, sich als sogenannter ausländischer Agent registrieren zu lassen, im Oktober 2014 beantragte das russische Justizministerium beim Obersten Gericht die Auflösung der Organisation. Der Antrag wurde indes vom Gericht im Januar 2015 abgelehnt. In der Zwischenzeit, vor allem nach den Verfassungsänderungen vom Jahre 2020, hat sich die Politik des Kremls gegenüber den Regimekritikern zusätzlich verschärft: „Vor der neuen politischen Kulisse ist für uns kein Platz mehr“, sagt in diesem Zusammenhang der Vorsitzende des Moskauer Menschenrechtszentrums Memorial, Alexander Tscherkassow.
Wie eingangs erwähnt, löste der Versuch der russischen Behörden, eine der letzten Bastionen der russischen Zivilgesellschaft zu zerschlagen, unzählige Proteste aus, und zwar weltweit. Stellvertretend für viele Protestschreiben möchte ich Auszüge aus einem offenen Brief der polnischen Wissenschaftler und Kulturschaffenden zitieren, der in der Warschauer Zeitung Gazeta Wyborcza erschienen ist:
„Die Erinnerung an die Millionen von unschuldigen Opfern des Totalitarismus, die Memorial wachhält, stellt eine Warnung für jedes Herrschaftssystem dar, …das sich der Kontrolle seiner Bürger entzieht. Dieses Gedenken ist für das heutige russische Regime erneut ein Störfaktor… Beim Versuch, die Gesellschaft Memorial zu liquidieren, handelt es sich nicht nur um einen Angriff auf die unabhängige russische Nichtregierungsorganisation, sondern auch um einen Angriff auf die Grundfreiheiten von uns allen… Deshalb appellieren wir an alle Menschen guten Willens, sich mit der Gesellschaft Memorial, die zu den bedeutendsten Symbolen des demokratischen Russlands zählt, zu solidarisieren.
Ob all diese Appelle das Vorgehen der Entscheidungsträger im Kreml beeinflussen werden, ist noch offen. Die Gerichtsverhandlung, die am 25. November den Antrag der russischen Generalstaatsanwaltschaft prüfte, Memorial zu verbieten, wurde auf den 14. Dezember vertagt. Aber unabhängig von der Entscheidung des Gerichts kann es keinem Zweifel unterliegen, dass der Kampf gegen die Verdrängung der Erinnerung an die dunkelsten Kapitel der russischen Geschichte im Land weitergehen wird. Denn die Erfahrung lehrt, dass eine Gesellschaft, die sich der Erinnerungen an die eigene Vergangenheit, wie schmerzlich sie auch sein mögen, entzieht, sich den Weg in die eigene Zukunft verbaut.
Dieser Beitrag ist zuerst am 1. Dezember 2021 auf dem Portal Die Kolumnisten erschienen. Wir danken dem Autor für die Erlaubnis, seinen Text auf KARENINA veröffentlichen zu dürfen.
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Außerdem empfehlen wir einen Blick auf die Webseite der Zeitschrift OSTEUROPA. Dort ist ein Beitrag des staatlichen Senders NTV vom 15.11.2021 zu sehen und untertitelt, über den die Redaktion schreibt: „Journalistische Mindeststandards wie das Wahrheitsgebot, Objektivität, Unschuldsvermutung kennen die Autoren nicht. Ihr Grundton ist zynisch, sie arbeiten mit Unterstellungen, Verdrehungen und etwa der Diffamierung, dass Menschenrechtler Terrorismus Vorschub leisteten.“