Putin über ‚ausländische Agenten‘
Valdai Discussion Club: Nobelpreisträger Muratow stellt dem russischen Präsidenten eine Frage
Es war das erste Mal, dass ein Friedensnobelpreisträger im Valdai Discussion Club auftrat, und Dmitri Muratow ließ den russischen Präsidenten und die Gäste am 21. Oktober gleich wissen: „Das Preisgeld ist verteilt.“ Er nannte einige Hilfsorganisationen und wurde dann etwas pathetisch: Der Preis sei „zu einem gewissen Grad vielleicht auch für unser Land“. Indem er das sage, so Muratow, komme er sich wie ein Hochstapler vor, aber: „Ich werde versuchen, dafür zu sorgen, dass er unseren Menschen hilft.“
Dann wurde es ernst: Er habe, sagte Muratow an Wladimir Putin gerichtet, dessen jüngste Antwort bezüglich „ausländischen Agenten“ aufmerksam gelesen. Darin habe Putin erklärt, Russland sei nicht das erste Land mit solch einer Gesetzgebung. Die USA hätten sie bereits in der 1930ern eingeführt.
Weil Russland nicht jedes Gesetz der USA übernehme, fuhr Muratow fort, bleibe seine Frage: Dieses Gesetz betreffe nicht nur Dutzende Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, die im Register gelistet sind, sondern auch Hunderttausende oder gar Millionen Leser. Deshalb sei es eine erste Sache.
Das Gesetz lasse keine Chance auf Anrufung eines Gerichts zu, keine Erörterung der Parteien, keine Erbringung von Beweisen, kein Urteil. Das sei ein Makel, ein Schmutzfleck. Muratow erinnerte dann an „unser Lieblingsbuch als Kinder“, an „Die drei Musketiere“ und Milady, die zum Tod verurteilt war. „Aber bevor Milady geköpft wurde“, so Muratow, „las ihr der Scharfrichter in der Morgendämmerung das Urteil vor, während es bei uns keinerlei Urteil gibt.“
Außerdem könne man diesem Gesetz nicht entkommen. Es gebe nicht einmal eine Warnung, bevor jemand zum ausländischen Agenten werde. Für viele Menschen bedeute dieser Status: Sie sind ein Feind des Vaterlands. Beim Militär habe er gelernt, dass der Wachtposten einen Warnschuss in die Luft abgebe. „Nur Wachleute in Gefangenenlagern schießen, um zu töten, ohne einen Warnschuss abzugeben.“
Die Kriterien für die Listung nannte Muratow „beklagenswert schwammig“. Was bedeute beispielsweise, organisatorische oder methodologische Hilfe zu erhalten? „Wenn ich ein Mitglied des Valdai Clubs, das aus einem anderen Land kommt, um eine Stellungnahme bitte, werde ich dann zum ausländischen Agenten?“
Putins Antwort: 'Es gibt keine Restriktionen'
Der entscheidende Punkt, antwortet Putin, sei, dass jemand finanzielle Hilfe vom Ausland während innenpolitischen Tätigkeiten erhalte. Niemand verbiete es, die politischen Aktivitäten fortzusetzen. Es gebe keine Restriktionen. Aber die russische Gesellschaft solle wissen, „dass sie Geld aus dem Ausland bekommen. Das ist das Recht der russischen Gesellschaft.“
Tatsächlich gebe es kein Urteil, anders bei Milady. Aber niemand hierzulande schneide jemanden irgendetwas ab, so Putin. „Sie arbeiten weiter wie zuvor.“
In einer Sache wollte Putin Muratow zustimmen: Selbst persönliche Bekannte, die in gemeinnützigen Organisationen arbeiten, hätten sich beklagt, weil sie als ausländische Agenten dargestellt worden seien. Er habe deshalb seine Verwaltung und Abgeordnete der Duma angewiesen, die Kriterien wieder und wieder zu überprüfen, sie zu verbessern und keinesfalls zu missbrauchen.
Margarita Simonjan: 'Geschwafel' von der freien Rede
Im Anschluss sagte Diskussionsleiter Fjodor Lukjanow, im Publikum sitze nicht nur ein Friedensnobelpreisträger, sondern auch eine ausländische Agentin, die er bat, ihre Erfahrungen zu schildern.
Die Angesprochene, Margarita Simonjan, ist Chefredakteurin der staatlichen Medienagentur Rossija Sewodnja und damit auch des Fernsehsenders RT (früher Russia Today). „Wir sind seit vielen Jahren ausländische Agenten“, sagte sie. Sie selbst sei vor einigen Jahren in den USA zu einer Vernehmung vorgeladen worden, obwohl das Gesetz in den USA nicht für die Medien gelte. „Ich reise nicht mehr dorthin, weil ich ins Gefängnis kommen könnte.“ Man könne dort seit sechs Jahren nur noch „halb im Untergrund“ arbeiten.
Dann beklagte sie das „Geschwafel“ von der Freiheit der Rede. Gerade sei der (deutsche) Youtube-Kanal von RT „abgewürgt“ worden, „der sehr populär und bei dem alles wirklich cool war“. Deshalb, so Simonjan, „glauben wir nicht mehr an etwas anderes als reziproke Maßnahmen“.
Um danach darauf hinzuweisen, dass die Deutsche Welle in Russland ohne Probleme senden könne, RT aber nicht in Deutschland. „Wir haben bereits Studios gebaut, Personal angestellt, Shows produziert und ein Publikum gewonnen. Und nun, mit einem Federstrich und ohne Grund, und, Herr Muratow, ohne ein Gerichtsurteil, ist alles draufgegangen in einem einzigen Moment.“
Das Protokoll der Debatte des Valdai Discussion Club findet sich auch in englischer Sprache auf dessen Webseite.