Schmerzhafter Abschied vom Russlandgeschäft
Wer weiter Geschäfte mit Russland macht, gerät zunehmend in die Bredouille. Was geht noch?
Darf ein Unternehmen auf zehn Prozent Umsatz verzichten? Kann man machen. In der Regel allerdings nur, falls das Geschäft ein Nebenerwerbsbetrieb ist oder das Management partout beweisen will, dass es bei der Unterrichtseinheit „unternehmerisches Handeln“ komplett geschlafen hat. Manchmal aber kann es durchaus sinnvoll sein, auf zehn Prozent zu verzichten – um noch größere Umsatzeinbrüche zu vermeiden.
Vor solchen Fragen stehen seit dem 24. Februar, seit Wladimir Putins offiziellem Einmarsch in die Ukraine, alle Unternehmen, die Geschäftsinteressen in Russland haben. Nachdem demokratisch geprägte Regierungen weltweit das bislang wohl umfassendste Sanktionspaket gegen einen Aggressor geschnürt hatten, zogen in einer beispiellosen Aktion internationale Konzerne nach, teilweise aus eigenem Antrieb, teilweise gedrängt von ihren nationalen Regierungen. Und jedes Unternehmen, das diesem Beispiel nicht sofort gefolgt ist, steht unter Rechtfertigungsdruck, sieht sich teilweise mit Boykottaufrufen in Sozialen Medien konfrontiert.
Das gilt insbesondere für deutsche Unternehmen, die traditionell ein starkes Russlandgeschäft haben. Für sie stellt sich die Frage, was geht und was nicht. Was können wir noch in Putins Reich verkaufen, ohne signifikante Umsatzeinbrüche durch Boykottaufrufe zu riskieren? Denn NGOs und eine wache Community in den sozialen Medien beobachten sehr genau, wer noch nach Russland verkauft, und reagieren prompt mit entsprechenden Kampagnen.
Eine kleine Handreichung für zweifelnde Unternehmer und Manager:
Medizinprodukte: Frage von Leben und Tod
Niemand kann ernsthaft erwarten, dass das Überleben von Russen durch die Sanktionen gefährdet wird. Humanitäre Lieferungen erlaubten sogar die schweren Sanktionen, die der Westen gegen das Regime des damaligen irakischen Diktators Saddam Hussein verhängt hatte. Wer also in Russland beispielsweise Dialysezentren betreibt, kann sich auf humanitäre Grundsätze berufen und hat eine Chance, von Boykottaufrufen verschont zu bleiben. Wer aber lediglich Heftpflaster exportiert, wird sich vorhalten lassen müssen, einfach nur Geld machen zu wollen. Heftpflaster werden auch von russischen Unternehmen produziert.
Lebensmittel: Frage der Versorgungssicherheit
In diesem Segment gibt es eine ausgesprochene Hartleibigkeit deutscher Unternehmen, sich vom Russlandgeschäft zu verabschieden. Inzwischen legendär ist der schwäbische Süßwarenhersteller, der auf seine sieben bis zehn Prozent Umsatz in Russland nicht verzichten mag und nun aufgrund der Boykottaufrufe noch größere Absatzeinbrüche zu befürchten hat. Oder auch bekannte deutsche Ketten, die ihre Supermärkte nicht schließen wollen.
Versorgungssicherheit ist ihr Rettungswort. Sicherlich, die russische Wirtschaft ist latent schwächlich, aber die eigenen Leute zu ernähren, das schafft sie durchaus. Zum Überleben braucht kein Russe deutsche Supermärkte.
Andere Waren und Dienstleistungen
Es ist schwierig, überhaupt noch etwas nach Russland zu verkaufen. Zum einen ist die öffentliche Empörung über Putins Krieg in der Ukraine zu groß, zum anderen ist selten ganz auszuschließen, dass deutsche Produkte nicht in irgendeiner Form vom russischen Militär genutzt werden. Diese Erfahrung musste dieser Tage ein deutscher Automobilzulieferer machen.
Und selbst wenn man für sein eigenes Produkt glaubt, dies absolut ausschließen zu können – das Argument wird bei Sanktionsverfechtern nicht verfangen. Denn auch Putin-Gefolgsleute, Oligarchen oder einfache Soldaten sind Konsumenten. Die könnte man mit dem eigenen Produkt unterstützen.
Importe aus Russland
Deutschland ist schwer abhängig von russischen Lieferungen. Nicht nur bei Gas, Erdöl und Kohle, sondern sogar bei Ruß (benötigt für die Reifenfertigung) oder Gips (für Wände beim Innenausbau). Über Gas hält die Bundesregierung aus volkswirtschaftlichen Gründen derzeit noch die Hand.
Doch je länger der Ukraine-Krieg dauert, je mehr sich die Nachrichten über Morde, Vergewaltigungen und Verschleppungen durch die russische Soldateska häufen, desto schwieriger wird es, russische Importe zu rechtfertigen. Denn die Sanktionsbefürworter haben ein Argument, das auch die beste PR nicht entkräften kann: „Ihr finanziert Putins Krieg.“
Auf Zeit spielen
Es ist ein gängiger Satz im Corporate-Sprech: „Wir beobachten die Situation sehr genau.“ Er ist ein Synonym für „wir tun nichts“, den die im Russland-Geschäft Verbliebenen derzeit gerne gebrauchen. Nur: Besonders nach dem Massaker von Butscha müssen sie sich die Frage gefallen lassen: Worauf wartet Ihr? Was muss denn noch passieren? Aussitzen wird bei dieser wachen Social-Media-Community nicht mehr funktionieren.
Sich vom Russland-Geschäft zu verabschieden, ist schmerzhaft. Man muss sich als Unternehmer von verdienten Mitarbeitern vor Ort trennen, Investitionen abschreiben. Je prominenter die eigene Marke, desto schneller sollte dies geschehen, um Boykottaufrufe zu vermeiden.
Denn der Krieg in der Ukraine, der bereits 2014 mit der Annexion der Krim begonnen hat, wird noch lange dauern. Wer in dieser Zeit der Öffentlichkeit als Geschäftemacher mit Russland auffällt, der droht einen nachhaltigen Reputationsschaden zu erleiden. Und so etwas geht in der Regel mit Umsatzverlusten einher.
Der langjährige Journalist Andreas Theyssen ist Director bei der internationalen strategischen Kommunikationsberatung Brunswick in Berlin. Sein Beitrag ist ursprünglich erschienen auf der Webseite Opinion Club. Wir danken dem Auto für die Erlaubnis, seinen Text auf KARENINA zu veröffentlichen.