Rassismus wird salonfähig

Ultrarechte Populisten lassen die Maske fallen und zeigen ihre rassistische und antisemitische Fratze

Rassismus wird salonfähig

Während seiner langen Amtszeit als Ungarns Ministerpräsident hat Viktor Orbán schon viele dumme und widerwärtige Dinge von sich gegeben. Aber seine jüngste Rede, in der er behauptet, die Europäer wollte nicht in „gemischtrassigen“ Ländern leben und europäische Länder, die zuließen, dass sich ihr einheimischer Stammbaum mit anderen Rassen vermischt, seien „keine Nationen mehr“, stellt definitiv einen neuen Tiefpunkt dar.

In seiner Rede erklärte Orbán auch, die Ungarn wären bereit, sich sozial zu „vermischen“, wollten jedoch „kein gemischtrassiges Volk“ werden. Und Orbán wird für seine rassistischen Manöver nicht etwa geächtet, sondern durfte auf der Conservative Political Action Conference, dem wichtigsten Treffen der amerikanischen Rechten in Dallas, als Hauptredner auftreten.

Orbáns Rede war ein bemerkenswerter Moment der Offenheit für den ungarischen Ministerpräsidenten, der in den letzten Jahren eher versucht hatte, seine hetzerischen und antisemitischen Tendenzen zu verschleiern. Die Bemerkungen, die er bei einem Treffen mit Mitgliedern der ungarischen Minderheit in Rumänien machte, wurden so heftig kritisiert, dass sich seine langjährige Beraterin Zsuzsa Hegedüs gezwungen sah, nach zwanzig Jahren an seiner Seite zurückzutreten.

Hegedüs nahm bei der Beurteilung von Orbáns Tirade kein Blatt vor den Mund. Die Tochter von Holocaustüberlebenden beschrieb seine Rede als „reinen Nazi-Text“, der „Joseph Goebbels würdig ist“. Während er die neuen Pläne der Europäischen Union verurteile, die Erdgaseinfuhr aus Russland zu beschränken, hatte es Orbán noch geschafft, einen Witz über die Gaskammern der Nazis einzuflechten – „darüber wissen die Deutschen gut Bescheid“ – ein Kommentar, der sicher zu Hegedüs‘ Entscheidung, mit Orbán zu brechen, beigetragen hat.

Rassismus wird nicht mehr versteckt

In den letzten zehn Jahren gaben sich die Führungsfiguren der weltweiten Ultrarechten wie Orbán noch damit zufrieden, ihren typischen Rassismus durch Codewörter, Gesten und Zwinkern zu kommunizieren. Donald Trump – der immer bereit ist, seinen rassistischen Instinkten freien Lauf zu lassen – war die Ausnahme, aber diszipliniertere Populisten wie Marine Le Pen in Frankreich gaben sich größte Mühe, sich von der rassistischen und faschistischen Vergangenheit ihrer Bewegungen zu distanzieren.

In Le Pens Fall war diese Vergangenheit von ihrem rassistischen Vater Jean-Marie Le Pen, einem früheren Paramilitär im Algerienkrieg und verurteilten Holocaustleugner geprägt. Auch deshalb benannte Le Pen den Front National, den sie von ihrem Vater übernommen hatte, in Rassemblement National um, einen Namen, der eher an Charles de Gaulle erinnern soll als an Benito Mussolini.

Inzwischen haben populistische Politiker aber anscheinend nicht mehr das Gefühl, sie müssten ihren Rassismus verstecken, um an die Macht zu kommen. Giorgia Meloni, die charismatische Chefin der nach eigenen Angaben „post-faschistischen“ Fratelli d’Italia – und derzeitige Favoritin für den Posten des italienischen Ministerpräsidenten – muss nicht auf Codewörter zurückgreifen, um an rassistische Wähler zu appellieren, weil sich die Wurzeln ihrer Partei bis zu Mussolini zurückverfolgen lassen. Stattdessen präsentiert sie sich als dynamische Revolutionärin und wirbt mit extrem zuwandererfeindlichen Aussagen um Italiener, die des wirtschaftlichen Niedergangs ihres Lands und der Ausreden des politischen Establishments müde sind.

Auch in den USA hat die zerstörerische Kraft von Trumps Präsidentschaft offenen Rassismus und Antisemitismus salonfähig gemacht. Der ehemalige Präsident hatte 2017 nach den Protesten weißer Nationalisten in Charlottesville, Virginia, bei denen Fackeln tragende Neonazis riefen „Wir lassen uns nicht von Juden verdrängen“, in einem berühmt-berüchtigten Tweet behauptet, es habe „auf beiden Seiten sehr gute Menschen“ gegeben. Seine Möchtegern-Nachfolger und Jünger werden noch deutlicher.

Verachtung der Demokratie

Nehmen wir zum Beispiel Doug Mastriano, den republikanischen Kandidaten für den Posten des Gouverneurs von Pennsylvania. Mastriano zeigt sich ganz ungeniert als der weiße christliche Nationalist, der er ist. Der eingefleischte „Make America Great Again“-Trumpanhänger ist nicht nur ein vehementer Verfechter von Trumps großer Lüge, die Präsidentschaft sei Trump 2020 durch Wahlbetrug gestohlen worden, er war tatsächlich Teil des Mobs, der am 6. Januar 2021 das US-Kapitol stürmte.

Mastriano versichert zwar, er sei damals nicht ins Kapitol eingedrungen. Trotzdem ist die Verachtung für die amerikanische Demokratie, die er an diesem Tag gezeigt hat, eine Gefahr, weil die Gouverneure in den USA großen Einfluss auf die Wahlverfahren in ihren Bundesstaaten haben.

Deshalb kommt es nicht überraschend, dass Mastrianos Wahlkampagne noch irrer und spalterischer daherkommt als Trumps. Man sagt, er weigere sich, mit Journalisten und Medien zu sprechen, die sich nicht zum Christentum bekennen. Und er hat Berichten zufolge Gab, einer Plattform in den sozialen Medien, die als Tummelplatz für weiße Nationalisten gilt und deren Gründer und Leiter, Andrew Torba, zu den bekanntesten Antisemiten in den USA gehört, für „Beratungsleistungen“ bezahlt. Mastriano scheint versucht zu haben, über Gab die politische Unterstützung ultrarechter Wähler zu gewinnen und mit ihrer Hilfe seinen demokratischen Gegner Josh Shapiro, der, wie es der Zufall will, Jude ist, zu besiegen.

Das ganze Gerede von der „gestohlenen Wahl“ fußt zu einem großen Teil auf der Vorstellung, alle Übel, unter denen Amerika leidet, gingen auf Minderheiten zurück. Blake Masters, der ehemalige Risikokapitalgeber und Schüler des zur Alt-Right-Bewegung gehörenden Milliardärs Peter Thiel, der sich diesen Monat in Arizona als republikanischer Kandidaten für den US-Senat durchgesetzt hat, macht Minderheiten nicht für Trumps Wahlniederlage, sondern auch für die ausufernde Waffengewalt verantwortlich.

Hat diese Suppe aus Rassismus, Chauvinismus und Antisemitismus schon die ganze Zeit unter der Oberfläche geköchelt und nur darauf gewartet, dass sie jemand wie Trump endlich offen serviert? Oder ist sie das Ergebnis eines tiefgehenden Wandels?

Womöglich haben die Kulturkriege, die schon so lange von Rechten für ihre Wahlkämpfe genutzt und von Leuten wie Rupert Murdoch zur eigenen Gewinnmaximierung angeheizt werden, inzwischen so viele Köpfe vergiftet, dass manche Politiker den offenen Auftritt als Rassist, Sexist und Kämpfer gegen die Rechte von LGBTQ-Personen für den sichersten Weg zum Wahlsieg halten.

In jedem Fall haben ultrarechte Populisten nun die Maske der Respektabilität fallen gelassen. Sie gewähren uns einen Blick in ihre rassistischen Karten und zeigen damit die wahren Kräfte, die hinter ihrer Bewegung stecken.

Copyright: Project Syndicate, 2022.

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