Alina Bergman: Allein mit ihrer Gitarre

Sie ist geflüchtet aus Odessa, nun singt sie in Berlin: am 15. April im Kvartira No. 62

Alina Bergman
Alina Bergman: "Niemand braucht jetzt Unterhaltungskunst, jetzt ist substanzielle Musik gefragt."

„Meine Aufgabe ist es, für die Menschen zu singen“, sagt Alina Bergman. „Wenn ich singe, bin ich glücklich und gesund. Und die Menschen um mich herum sind ebenso glücklich und gesund.“ Aber da, wo sie lebte, konnte sie nicht mehr für sich und andere Menschen singen, dort ist niemand mehr glücklich und aller Gesundheit ist bedroht. Alina lebte bis zum neunten Tag des Kriegs in Odessa.

Alina Bergman ist 25 Jahre alt. Um ihren Kopf winden sich lange, helle Naturlocken, sie trägt eine knallrote Winterjacke, und über ihre Schulter hängt ein Gitarrenkoffer. So habe ich sie kennengelernt.

Ich habe sie am vergangenen Wochenende im Panda-Theater getroffen, einem bekannten Ort für die russischsprachige Community in der Kulturbrauerei. Sie war zur „Pandaukraine Safe Space“ gekommen, eine freundliche Networking-Runde für Menschen aus der Stadt und Geflüchteten, vor allem Künstlerinnen und Künstler. Auf einem spontanen Konzert trat auch Alina und sang ihr Lied „Сокіл“ (deutsch „Falke“). Die Lyrik schrieb sie selbst, ebenso die Musik. Das Lied klang, von Alina gesungen, berührend und frisch.

Alina kommt aus einer russischsprachigen Familie, spricht aber auch Ukrainisch „perfekt“, was sie im Gespräch ausdrücklich betont. In ihrem Repertoire sind auch zwei Lieder auf Ukrainisch. Eins davon ist „Сокіл“.

Unfreiwillige Flucht aus Odessa

Eigentlich wollte Alina gar nicht fliehen, sie wollte in Odessa bleiben. Die Gefahr erschien ihr nicht so groß wie in Charkiw oder Mariupol, sie hat Bilder und Berichte im Internet beobachtet. Aber auch Odessa war angespannt: „Es gaben Explosionen, Kriegsgeräusche. Von 18 Uhr galt eine Sperrstunde. Alles sah sehr kriegsmäßig aus.“

Vor allem männliche Freunde haben sie zur Flucht überredet. Ihre Freunde, ihre Eltern und ihre Großmutter sind in Kropywnyzkyj geblieben. Bleiben, das wollte sie eigentlich auch. Sobald es geht, will sie zurückkehren. „Für mich ist extrem wichtig in meinem Sprachraum und meiner Kultur zu sein, in Odessa werde ich von jeder Straße inspiriert.“

Geflüchtet ist Alina, wie viele anderen, mit dem Zug. Mit Hunderten Menschen, vor allem Frauen und Kinder, wartete sie am Bahnhof auf den nächsten Zug, von dem niemand wusste, wann er kommen würde. Es gab keine Zeitpläne mehr. Der erste war schnell voll, einen weiteren verpasste sie, dann hatte sie Glück.

Drin standen die meisten Frauen mit Kindern in Gängen – zwölf Stunden bis Lwiw. Von dort ging sie wie auch viele andere zur polnischen Grenze – fünf, sechs Stunden zu Fuß. Es war wie eine Prozession. „Viele, viele Menschen gehen hintereinander langsam Schritt für Schritt zur Grenze.“

An der Grenze: Anstehen. Aber dann ging alles schnell. Pass vorzeigen, Stempel, und auf der anderen Seite warteten Züge zu vielen Stationen westwärts. Ihre Fahrt endete in Leipzig.

Alina war überwältigt! Von den vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern auf dem Hauptbahnhof. Und von der Bereitschaft, die Menschen bei sich aufzunehmen. Und von dem Freiwilligen, ein Kameramann, der ihr geholfen hat, ihr erstes Musikvideo zu drehen – in Leipzig.

Und schließlich von der Frau, die das Musikvideo wenig später im Netz gesehen hat und sie einlud – auf einen Tee. Seither lebt sie in Berlin, bei dieser Frau.

Allein mit Gitarre

Alina macht Musik, seit sie sechs Jahre alt ist. Sie absolvierte auf einer Musikschule die Fachrichtungen Klavier und Gesang, nach der Schule lernte sie Gitarre. Trotzdem entschied sie sich für ein Studium an der Universität in Odessa, sie studierte Geschichte. Ihr besonderes Interesse galt der Propaganda zu Zeiten der Sowjetunion, ihre Masterarbeit schrieb sie über die sowjetische Berichterstattung über den Einmarsch in die Tschechoslowakei 1968.

Privat unterrichtete sie Gitarre, Gesang, Ukulele, Musiktheorie, Songwriting für alle – Kinder und Erwachsene. Das würde sie gern fortsetzen, aber nun strebt sie eine Karriere an – wie Joni Mitchell, sagt sie. „Zurzeit sehe ich mich nur allein mit der Gitarre. Ich träume auch weiterhin von einer Band, aber nun ist Krieg. Jetzt ist der Inhalt viel wichtiger als die Form. Ich habe das erst in diesem Monat verstanden“, sagt Alina. Niemand brauche jetzt Unterhaltungskunst, jetzt ist substanzielle Musik gefragt: Eine Sängerin, die komponiert und textet, die allein mit Gitarre auf der Bühne steht und singt.

In ihren Liedern geht es um Menschen und das Leben: „Es gibt viel Geistlichkeit, es ist eine Suche nach mir selbst und nach Gott“, sagt sie. „Und natürlich geht es um Liebe, klassisches Thema. Es gibt viel Trauer und Schmerz. Und auch Freundschaft.“ Am Freitag, den 15. April, gibt sie ihr erstes Konzert in Berlin – in der bekannten russischen Bar Kvartira No. 62.

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