Schröder: ‚Putin will den Krieg beenden‘
Wie Gerhard Schröder die Gas- und die Kriegsfrage bewertet, New York Times, 23.4.2022
Der Kanzler will sich nicht entschuldigen. „Das ist nicht mein Ding“, sagte Gerhard Schröder gegenüber der New York Times (NYT). Gemeint ist sein Engagement rund um die Nord-Stream-Pipelines. Dass ihm „von Russland kontrollierte Energieunternehmen jährlich mindestens eine Million Dollar bezahlt wurden“, so schätzt die Zeitung, habe ihn zu einem „Paria“ gemacht, sogar im eigenen Land. Damit sei er „auch ein Symbol für Deutschlands Russlandpolitik“.
Denn nicht nur er, ganz Deutschland steht für die NYT am Pranger. „Aggressiv beeinflusst“ von der deutschen Exportindustrie und angefeuert von den Gewerkschaften“ hätten mehrere Bundeskanzler „Deutschlands Abhängigkeit von russischer Energie geschaffen“.
Schröder sagt dazu: „Sie bekamen das Geld, und sie lieferten Gas. Sogar in den schlimmsten Zeiten des Kalten Kriegs gab es nie Probleme.“
Die NYT spricht von einer „langen Ära der Fehlkalkulation“. Und zwar: „Für ein Land, das nach dem Zweiten Weltkrieg eine militärische Dimension zu ihrer Außenpolitik aufgegeben hat, waren ökonomische Interessen seine Sicherheitsinteressen.“
Die Folge sei die Abhängigkeit von Russland bezüglich Gas. Bis heute kaufe Deutschland Energieträger aus Russland und fülle damit Putins Kriegskasse. Darin steckt der Vorwurf: Deutschland habe Putin „ermöglicht und ermutigt, seine Aggression in der Ukraine fortzusetzen“.
Für Schröder hat die jahrzehntelange Energiepartnerschaft dazu beigetragen, dass die Sowjetunion sagen konnte: „Mit diesen Deutschen können wir die Wiedervereinigung riskieren.“
Schröder: deutschen Interessen gedient
30 Jahre lang seien alle dabei gewesen, klagt Schröder, aber nun wüssten alle es besser. Sich von Putin zu distanzieren, würde bedeuten, das Vertrauen des einzigen Manns zu verspielen, der den Krieg beenden könne: eben Putin.
„Dieser Krieg war ein Fehler, das sagte ich immer“, ergänzt Schröder. „Wir müssen Frieden schaffen, so schnell wie möglich.“ Er habe immer deutschen Interessen gedient, und: „Ich tue, was ich kann. Zumindest eine Seite vertraut mir.“
Mit Putin hat Schröder, so sagt er, über viele Jahre „eine gewisse Nähe“ entwickelt. Die NYT erzählt all die bekannten Geschichten: gemeinsames Bier in der Sauna, Machogehabe. Schröder sagt: Das Bild der Menschen von Putin sei „nur die halbe Wahrheit“. Er erinnert an Putins Rede im Bundestag vor mehr als 20 Jahren, nach der eine neue Ära möglich schien. Das Europäische Haus von Wladiwostok bis Lissabon. Nach der Niederlage 2005, so Schröder, habe er ein Projekt gebraucht, „etwas, das ich konnte und womit ich Deutschlands Interessen dienen konnte“.
Dann, am 9. Dezember 2005, rief Putin an. Das Pipelineprojekt Nord Stream sei unumstritten geblieben. Niemand in Merkels erster Regierungszeit habe etwas dagegen gesagt. Die Debatte begann erst mit Nord Stream 2, mit Merkels Atomausstieg und der Annexion der Krim.
Die NYT unterdrückt nicht Schröders Hinweis auf Probleme mit der Ukraine, welche die Gaslieferungen gefährdeten: Streit über Transitgebühren und Abschöpfen von Gas aus den Leitungen und daraus resultierende Sorgen um Lieferunterbrechungen.
Auch Schröders Vermittlungsversuch in Moskau ist Thema des Beitrags. „Putin ist daran interessiert, den Krieg zu beenden“, sagt Schröder. „Aber das ist nicht so einfach. Ein paar Punkte müssen geklärt werden.“ Schröder sagt, er stehe für weitere Treffen mit beiden Seiten zur Verfügung.
Von einem Energieembargo rät Schröder ab. Auf der anderen Seite werde Russland den Gashahn nicht zudrehen. Falls doch, werde er zurücktreten. PHK