Ein Atomschlag ist nicht auszuschließen

Atommächte kapitulieren nicht, meint Friedensforscherin Nicole Deitelhoff, Frankfurter Allgemeine 24.10.2022

von KARENINA
FAZ: Friedensforscherin über atomare Eskalation

Das Ende des Kriegs in der Ukraine scheint ferner denn je. Und für Verhandlungen sehe es momentan nicht gut aus, sagt die Friedensforscherin Nicole Deitelhoff im Interview mit der Frankfurter Allgemeine. Der Grund: „Beide Seiten rechnen sich Chancen aus, den Konflikt militärisch für sich zu entscheiden. Viele setzen sogar darauf, dass es der Ukraine gelingen könnte, Russland zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen.“

Für Deitelhoff ist das „nicht das wahrscheinlichste Szenario. Nukleare Großmächte kapitulieren nicht“, sagt sie, „sie ziehen sich zurück, wenn sie auf asymmetrische Gegner treffen wie die USA in Afghanistan oder in Vietnam.“ Bei ebenbürtigen Gegnern stünde „im schlimmsten Fall auch eine nukleare Eskalation im Raum. Deshalb geht es jetzt darum, überhaupt Gespräche anzustoßen, wenn auch keine Verhandlungen.“

Nötig sei auch, „dass die nuklearen Großmächte Russland und die USA miteinander sprechen“. Deitelhoff stellt fest, „dass wir uns in einer Eskalationsdynamik befinden – nicht nur zwischen Russland und der Ukraine, sondern auch zwischen Russland und den USA. Nukleare Drohungen und Überlegungen zu möglichen Vergeltungsschlägen werden über die Öffentlichkeit ausgetauscht.“ Das sei „ausgesprochen gefährlich“.

Ein Nuklearschlag in der Ukraine sei zwar militärisch sinnlos, aber Putin könne taktische Nuklearwaffen gegen Kiew und andere Großstädte einsetzen, „um nicht ohne einen ‚Sieg‘ vom Platz zu gehen. Er könnte etwa behaupten, von der Ukraine werde in den nächsten 50 bis 100 Jahren keine Gefahr für die Russische Föderation mehr ausgehen.“

Dass die Nato in diesem Fall nicht nuklear reagieren würde, nennt sie „vernünftig“. Putin würde sich „für die nächsten Jahrzehnte international komplett isolieren. Selbst China würde ihn nicht mehr mit der Kneifzange anfassen. Die Frage ist, was ihm wichtiger ist: irgendwie wieder Anschluss an die internationale Gemeinschaft zu finden oder nicht als kompletter Verlierer vom Platz zu gehen. Ich halte das nicht für das wahrscheinlichste Szenario, aber es ist eines, das man nicht komplett ausschließen sollte.“  PHK

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