Panzer-Ringtausch ist ‚eine richtig gute Idee‘
Hauptmann Marcus Grotian: Ein Panzergrenadier spricht Klartext über Waffenlieferungen an die Ukraine
Nach den Virologen sind es nun Generäle, meistens solche a. D., die täglich in deutschen Medien sprechen: über den Krieg Putin-Russlands, den Einsatz und die Pflicht Deutschlands, die Lieferung von sogenannten schweren Waffen für die Verteidiger. Und so wie jeder Deutsche ein Fußball-Bundestrainer ist, hält sich inzwischen alle Welt in Bezug auf das Militärische für genügend belesen, um bei diesen Fragen mitreden zu können.
Marcus Grotian (44) ist Hauptmann der Bundeswehr, seit kurzem beurlaubt. Er sagt von sich, bei der Bundeswehr „auf dem Marder großgeworden“ zu sein.
Bekannt geworden ist Grotian, weil er versuchte, nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan und dem fluchtartigen Abzug der USA und ihrer Verbündeten sogenannte Ortskräfte aus dem Land zu holen; Menschen, die geholfen hatten, Deutschland am Hindukusch zu verteidigen (Peter Struck), nun aber von Deutschland allein zurückgelassen worden seien, so Grotian. Derzeit versucht er, mit dem von ihm gegründeten Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte nachzuholen, was damals versäumt wurde.
KARENINA hat mit Grotian über Waffen gesprochen: über schwere und leichte und Defensiv- und Offensivwaffen, über den Streit um Waffenlieferungen an die Ukraine und den Zustand der Bundeswehr.
KARENINA: Es gibt inzwischen ein ganzes Heer von Militär- und Waffenexperten. Vielleicht können Sie denen, die das nicht behaupten, erklären, was schwere Waffen sind. Panzer? Und was noch?
Marcus Grotian: Schwere Waffen ist nach meiner Kenntnis kein klar definierter Begriff. Ich verstehe schon, dass Zivilisten das Bedürfnis haben zu kategorisieren. Aber eine Panzerhaubitze 2000 wirkt auch schon ziemlich schwer.
Das gilt auch für den Begriff „Verteidigungswaffen“. Mit einer Panzerabwehrwaffe gehen wir in den Panzervernichtungstrupp. Das ist alles Kriegsgerät, um den Feind zu vernichten. Aber man kann mit sogenannten Defensivwaffen auch offensiv arbeiten. Zu sehen, wie ein Luftabwehrpanzer Gepard Erdziele bekämpft mit seiner 35 Millimeter Zwillingsflak, ist mehr als beeindruckend.
Der Gepard soll ja nun auch geliefert werden – aus alten Beständen der Bundeswehr.
Der Gepard und die gesamte Flugabwehrfähigkeit im Heer wurden abgeschafft. Insofern sind diese Fahrzeuge sicherlich irgendwo in der Rüstungsindustrie vorhanden.
Das Handelsblatt will erfahren haben, Rheinmetall stehe bereit, 88 Leopard 1 und 20 Leopard 2 zu liefern. Bisher hat Deutschland, das hat der Bundeskanzler kürzlich im Interview erklärt, Lieferungen der deutschen Rüstungsindustrie an die Ukraine finanziert. Die Rede war von Panzer- und Flugabwehrwaffen, Munition oder Material, das in Artilleriegefechten genutzt werden kann. Panzer wie der Leopard gebe es nicht genügend, hieß es, und die vorhandenen bedürften erst eines Pitstops. Nun scheint’s doch zu gehen. Wie das?
Es ist schwer nachzuvollziehen, warum sich die Haltung dazu binnen zwei oder vier Wochen geändert hat. Ich weiß nicht, ob dafür Umfragewerte den Ausschlag geben. Kommunikativ ist das nicht sonderlich elegant gelöst worden, wie mir scheint.
Es ist doch so: Deutschland hat seinen Bestand von Kampfpanzern von einst rund 4000 auf weniger als 400 reduziert. Deshalb stehen nicht so viele Panzer herum, die wir nicht brauchen würden. Und nicht alle vorhandenen sind einsatzbereit. Instandzusetzen wären Schützenpanzer wie der Marder, die in Depots stehen und die Industrie zu reparieren angeboten hat.
Die sind seit zehn, fünfzehn Jahren nicht bewegt worden. Die zu reparieren – vom Befüllen von Schmiermitteln bis zu Testläufen – dauert. Die Industrie sprach von Wochen.
Und die slowenischen T-72, von denen gerade die Rede ist, sind schon funktionstüchtig?
Den Zustand der slowenischen Armee kenne ich nicht. Aber grundsätzlich ist die Idee des Ringtauschs eine richtig gute. Weil die Ukrainer damit Waffen bekommen, mit denen sie vertraut sind, die in ihrem eigenen System genutzt werden können, und zwar sofort. Das ist weitaus schlauer als ihnen neue Waffensysteme zu geben, auf denen sie erst eingewiesen werden müssen.
Die Ausbildungszeit im deutschen Heer beträgt beim Marder Monate. Wenn sie jetzt sagen: Ich habe nur eine Woche oder zwei, dann sinkt natürlich die Überlebenswahrscheinlichkeit der Besatzung und des Fahrzeugs im Gefecht. Aber in einer Situation wie der in der Ukraine, wo ein Land ums Überleben kämpft, ist eine schlecht ausgebildete Crew im Schützenpanzer die bessere Alternative als wenn die Soldaten mit einem anderen Fahrzeug vorfahren oder gar mit blanken Händen oder nur einem Gewehr kämpfen müssen. Die Hoffnung, damit auf dem Gefechtsfeld zu überleben, ist im Panzer größer, die Wirkung auch.
Wie lange dauert also eine ausreichende Einweisung?
Das Fahren eines Panzers ist ungefähr so anspruchsvoll wie eine Fahrt auf einem Trecker. Das bringe ich meinem zwölfjährigen Neffen in einer halben Stunde bei. Ihn dauerhaft zu bedienen und zu warten – das ist bei fehlender Versorgungslage mit Ersatzteilen wahrscheinlich sowieso nicht möglich. Die Bordmaschinenkanone ist nicht ganz so einfach zu bedienen. Da braucht man vielleicht ein bisschen länger.
Aber man hat hinterher ein Waffensystem, das man einsetzen kann. Und wenn es ausfällt, lässt man es stehen, was im Übrigen der russischen Militärdoktrin entspricht, weshalb die Russen ihre defekten Gefechtsfahrzeuge stehen lassen. Wenn die von Traktoren abgeschleppt werden, sorgt das für Häme und Spott, ist aber folgerichtig.
Wie viele der 400 Panzer der Bundesehr sind also jetzt einsatzfähig?
Im aktuellen Bericht des Verteidigungsministeriums zur materiellen Einsatzbereitschaft der Bundeswehr, veröffentlicht im Januar war die Rede von einer 77-prozentigen Einsatzbereitschaft der Großwaffensysteme. Das wird allerdings nicht aufgeschlüsselt – aus Geheimhaltungsgründen. Welches Waffensystem bei 65, welches bei 80 Prozent liegt, lässt sich daraus nicht sehen. Auch nicht, in welchem Zustand Altgeräte sind, ob ein Schützenpanzer einsatzbereit ist. Meine letzten Informationen dazu lagen bei um die 60 Prozent, heute vielleicht bei fünfzig Prozent? Ich weiß es nicht.
Dem Bundeskanzler wird vorgeworfen, bei den Waffenlieferungen gebremst zu haben, insbesondere bei den Panzern. Hätte es schneller gehen können?
Ich glaube, es war eine toxische Mischung aus politischem nicht wollen und bürokratischem nicht umsetzen können. Die Bürokratie funktioniert ja auch ganz allein – oder eben nicht.
Ich habe die Erfahrung gemacht in Afghanistan. Alles, was mit mehreren Ministerien zusammenhängt, funktioniert nicht mit einem Fingerschnippen. Bezüglich der afghanischen Ortskräfte lagen einen Monat nach den Beschlüssen in der Innenministerkonferenz in den Ministerien noch keine Weisungen vor. Und in Ministerien funktioniert alles mit Weisungen – und ohne Weisungen gar nichts.
Ein Grund dafür, dass Helme dann erst nach Wochen in der Ukraine ankommen. Der ressortübergreifende Ansatz ist meist recht dysfunktional.
In den USA geht es offenbar schneller. Wieso?
Zumindest haben die Amerikaner die Chance ergriffen, kommunikativ den Eindruck zu erwecken, dass schnell entschieden wurde. Und wenn das erste Flugzeug gerade startet, dann hört sich das natürlich spannend an.
Wieviel Material wo und wann ankommt, das müssen sie die Ukrainer fragen. Die diplomatischen Reaktionen aus der Ukraine deuten aber auf Dankbarkeit für geliefertes Material hin.
Wenn viele Staaten ihr Material liefern, etwa unterschiedliche Panzersysteme, schafft das nicht noch mehr Ausbildungsaufwand? Oder kommt ein Panzergrenadier, der einen Panzer fahren kann, mit allen zurecht?
Das Fahren ist recht einfach. Die meisten Fahrzeuge haben Gaspedal und Bremse. Aber das Fahrzeug einsatzbereit zu bekommen oder wenn irgendein Problem auftritt zu reparieren, ist schwieriger. Man will ja nicht, dass die Besatzung wegen eines verstopften Staubfilters stehenbleibt und den Schlüssel direkt wegschmeißt. Insofern ist eine tiefere Einweisung immer sinnvoll.
Aber die T-Familie des ehemaligen Warschauer Pakts unterscheiden sich nicht groß. Das ist nicht wie bei Marder und Leopard. Der T-72 und T-80 unterscheiden sich quasi nur durch den anderen Kraftstoff, die fahren relativ vergleichbar, sind von den gleichen Ingenieuren designt. Das sind kleine Evolutionssprünge.
Aber die Kanadier haben andere Panzertypen, mit erhöhter Komplexität auf dem Gefechtsfeld. Die Dauer der Ausbildung erhöht sich, je höher die Komplexität der Panzer, und je mehr verschiedene Modelle, umso schwieriger die Ausbildung. Aber die Ukrainer dürften trotzdem froh sein über jeden Panzer, den sie bekommen.
Es gibt Stimmen, die sagen: Wenn wir schwere Waffen liefern, erhöht das die Gefahr eines größeren Kriegs; vielleicht eskaliert das sogar in Richtung Atomkrieg. Wie sehen Sie das?
Grundsätzlich habe ich das Problem, dass die Einsatz- und Verteidigungsbereitschaft in Deutschland ja Auswirkungen auf Europa und die ganze Welt hat, und dass wir nicht so gut aussehen, wie man sich das vielleicht wünschen würde.
Natürlich ist das zu bedenken. Aber ich sehe nicht, welche Linien gezogen werden und welche man wann warum aufgibt. Also: Warum und wann ein Bundeskanzler oder eine deutsche Regierung die Meinung zu Waffenlieferungen wann ändert. Das habe ich noch nicht verstanden.
Dass Deutschland der Ukraine helfen will, das ist völlig klar. Zum Ringtausch mit den slowenischen Panzern der T-Familie – wenn’s davon genug gibt, die man dann auffüllen kann: Wenn wir so verhindern, direkt Waffen in die Ukraine zu liefern und damit direkt Kriegspartei zu werden, dann ist das eine Win-win-win-Situation. Dann ist das die schlauste und beste Möglichkeit, die Ukraine zu unterstützen.
Das wäre möglicherweise auch noch ein Kollateralgewinn für die deutsche Rüstungsindustrie.
Es ist ja in Deutschland verpönt, die Rüstungsindustrie zu unterstützen. Trotzdem müssen wir sehen, warum so viele unserer Fahrzeuge nicht einsatzbereit sind: Weil wir keine Verträge mit der Rüstungsindustrie abgeschlossen haben, damit ausreichend Ersatzteile verfügbar gehalten werden.
Dass wir unser Großgerät teilweise nicht einsetzen können, liegt schon lange an der furchtbaren Ersatzteillage, an teilweise langen Wartezeiten auf Ersatzteile. Weil sie nicht mehr vorrätig sind und so schnell nicht wieder hergestellt werden können. Deshalb sind die Schützenpanzer Marder zum Teil dafür da, ausgeschlachtet zu werden. Das konnte ich mindestens seit 1995 beobachten – ein Kannibalismus, der notwendig war, um überhaupt genug einsatzbereite Fahrzeuge zu haben.
Wie viele der 400 Panzer sind denn dann überhaupt einsatzfähig?
Das ist ja Verschlusssache. In den öffentlichen Zahlen war eine Einsatzquote von 50 Prozent für mehrere Waffensysteme, die aus der Nutzung gehen; dann wären es noch 200 einsatzbereite Schützenpanzer.
Offenbar ist die Zahl von 200 dienstfähigen Panzern zu hoch gegriffen?
Davon würde ich ausgehen. Aber die vorhandenen Schützenpanzer dienen ja auch Ausbildungszwecken und für Übungen und auch für einsatzgleiche Verpflichtungen, etwa in Litauen. Die erfüllen Nato-Verpflichtungen. Bis der Puma in Masse einsatzbereit und verfügbar ist und die Nato-Verpflichtungen komplett übernimmt, das dauert noch Jahre. Bis dahin brauchen wir immer noch die im aktiven Dienst befindlichen Schützenpanzer selbst.
Es gibt immer noch Menschen, die Waffeneinsatz insgesamt ablehnen. Wenn man sieht, was im Krieg in Europas Osten passiert: Können Sie verstehen, dass jemand trotzdem Pazifist bleibt?
Wenn man sich das Preisschild dazu anschaut: Auch Krieg hat einen Preis. Jeden Monat, an dem die Ukrainer dazu ermächtigt werden zu kämpfen, leiden auch länger Zivilisten, sterben länger Leute. Das hat alles zwei Seiten.
Grundsätzlich halte ich es mit General Christian Trull, der etwas sehr Schlaues gesagt hat: „Uns verbindet das schwere Wissen, dass die Menschheit und die Menschlichkeit geschändet werden können und das Geschehen oder Nichtgeschehen dieser Schändung von der Gewalt abhängen kann. Von der Gewalt des Guten zwar, aber doch von der Gewalt, mit der es verhindert werden kann – nicht allein von der Menschlichkeit an und für sich.“
Das zeigt gut, dass Menschlichkeit, die in jedem Fall in jedem Pazifisten zu vermuten ist, allein nicht reicht. Sie ist aber auch in jedem Soldaten, der bereit ist, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, um Menschen, die abgeschlachtet werden, zu helfen. Sie sind bereit, für ihr Land ihr Leben zu lassen.
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