Die Kirchen und der Krieg
Aporien und Verantwortung: Zur neu entfachten friedensethischen Diskussion in den Kirchen
Der russische Überfall auf die Ukraine hat auch neue Debatten über die friedensethischen Positionierungen der Kirchen entfacht. Zum einen wird über die Art und der Weise der Solidarität mit der Ukraine diskutiert, und in welcher Form Unterstützung geleistet werden soll. Zum anderen gilt es darüber nachzudenken, wie sich eine neue europäische Sicherheitsarchitektur gestalten lässt.
Mit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Wahrnehmung der globalen politischen Situation grundlegend verändert. Intensive Bemühungen, einen sich immer stärker abzeichnenden Krieg in Osteuropa zu verhindern, sind letztlich vergebens geblieben. Viele hatten eine solche Entwicklung für abwendbar gehalten, war ihr doch seit dem Ende des Kalten Kriegs eine längere Phase der Annäherung im Ost-West-Verhältnis vorausgegangen, in der sich auch die Beziehungen Russlands zu seinen westlichen Nachbarstaaten in konstruktiver Weise transformieren ließen.
Bereits in der ersten Dekade des neuen Jahrtausends wurde jedoch deutlich, dass die ungelöste Frage, wie hinreichende Sicherheit für alle Staaten im „gemeinsamen Haus Europa“ (Michail Gorbatschow) organisiert werden könnte, die Beziehungen zwischen ihnen zunehmend belastete. Es gelang nicht, die Sicherheitsbedürfnisse der mittel- und ost-europäischen Staaten, die ausschlaggebend für den Prozess der Nato-Osterweiterung waren, mit der Sorge Russlands vor einer für die eigene Sicherheit prekären Veränderung der militärischen Kräfteverhältnisse in einen Ausgleich zu bringen, der für alle beteiligten Parteien annehmbar gewesen wäre.
Der herausragende US-amerikanische Diplomat George F. Kennan, seit Ende des Zweiten Weltkriegs einer der besten Kenner russischer Außenpolitik, hatte 1998 ausdrücklich vor einer solchen Entwicklung gewarnt. Auch der ehemalige US-Außenminister Henry A. Kissinger resümierte unlängst ihre fatale Dynamik mit einer Formulierung, in der sich zugleich die Analyse zahlreicher außen- und sicherheitspolitischer Analytiker im Blick auf die letzten Jahrzehnte spiegelt: „Die Stabilität hing nunmehr davon ab, ob das sich neu herausbildende Ordnungsmuster geeignet wäre, nicht nur die Ängste der Europäer vor einer Vorherrschaft Russlands, sondern auch die historische Besorgnis Russlands im Hinblick auf Offensiven aus dem Westen zu beruhigen [...]. Die Invasion in der Ukraine, dieser ungeheuerliche Verstoß gegen das internationale Recht, ist daher großenteils der Auswuchs eines gescheiterten strategischen oder nur halbherzig geführten Dialogs. Dass wir gegenwärtig die militärische Konfrontation zweier nuklear bewaffneter Einheiten erleben – selbst wenn sie auf ihre wirkungsmächtigsten Waffen nicht zurückgreifen –, unterstreicht die Dringlichkeit des grundlegenden Problems.“
Gewaltanwendung nur als ultima ratio
Vor diesem Hintergrund gilt es die friedensethische Diskussionslage zur Kenntnis zu nehmen. Im Jahr 2000 bzw. 2007 hatten die Deutsche Bischofskonferenz (Wort der DBK „Gerechter Friede“) und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (Denkschrift der EKD „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“) ausführliche Überlegungen zu den friedenspolitischen Konsequenzen angestellt, die sich aus der Überwindung der hochriskanten Ost-West-Konfrontation am Ende des 20. Jahrhunderts ergaben. Sie regten nicht zuletzt an, das Potenzial auszuschöpfen, das sich daraus für eine umfassende Neuorientierung in Bezug auf weltordnungspolitische Kernfragen ergab. Kissingers Analyse gilt mithin zugleich einem zentralen friedensethischen Desiderat, das ausschlaggebend dafür erscheint, ob, wann und unter welchen Umständen es gelingen kann, das Blutvergießen in der Ukraine zu beenden, das auf allen Seiten täglich eine immense Zahl immer neuer Opfer fordert.
Religion & Gesellschaft in Ost und West
"Erschüttert: Kirchliche Friedensethik und Ökumene"
Ausgabe 3, 2023
In manchen Stellungnahmen konnte man dagegen den Eindruck gewinnen, der Krieg in der Ukraine komme einer Widerlegung der gemeinsamen friedensethischen Grundposition der Kirchen gleich und mache eine Rückwendung zum überkommenen Paradigma des „gerechten Kriegs“ notwendig. Zum größten Teil beruht die Kritik an der Leitperspektive des „gerechten Friedens“ auf der These, dass in ihrem Argumentationsrahmen die Frage nach den ethischen Kriterien für die Anwendung jeglicher Gewalt, insbesondere in den internationalen Beziehungen, nicht hinreichend bedacht werde – und wenn doch, sich damit nur das Paradigma „gerechter Krieg“ bestätigt finde.
Die grundlegende Hermeneutik der kirchenamtlichen Dokumente ist jedoch eine andere: Die traditionellen Kriterien werden nicht verworfen, aber daraufhin befragt, was sich positiv an Handlungsverpflichtungen aus ihnen ergibt. So lassen sich aus der Einsicht, dass Gewaltanwendung – auch solche in defensiver Absicht – allenfalls als ultima ratio in Betracht kommen kann, systematische Konsequenzen für die Gestaltung des Prozesses ableiten, der die Entstehung einer solchen Notsituation verhindern kann. Kriegerische Eskalationen von Konflikten sollen dadurch vermieden werden, dass diese politisch überwunden bzw. obsolet, weil in konstruktiver Weise bearbeitbar werden.
Denn organisierte Gewaltanwendung, einmal begonnen, erliegt nur allzu schnell einer Eigendynamik, die die Grenzen sprengt, die ihr sowohl ethisch wie völkerrechtlich gezogen sind. Deswegen wird die Rede von einem „gerechten Krieg“ stets aufs Neue in der Praxis dementiert. Dabei sind sich die Verfasser der beiden Dokumente bewusst, dass solche Prozesse scheitern können, weswegen dort jeweils ausführlich auch dieser Fall mit reflektiert wird. Was die Texte jedoch kennzeichnet, ist eine auf historischer Erfahrung basierende Vorsicht, sich allzu rasch und unbedacht zu einer kirchlichen Billigung kriegerischer Gewalt bereit zu finden, wie sie in etlichen Kriegssituationen, nicht zuletzt im Ersten und Zweiten Weltkrieg, zu verzeichnen war – was auch die Kirchen im Nachhinein selbstkritisch feststellten.
In der Leitperspektive des gerechten Friedens geht es demzufolge darum, selbst in aktuellen Gewaltsituationen nach Möglichkeiten zu suchen, das Töten zu stoppen – wenigstens in Form eines Waffenstillstands, während dessen Verhandlungen stattfinden, die der Wiederaufnahme von Kampfhandlungen entgegenwirken. Auch die vatikanische Diplomatie folgt dieser grundsätzlichen Methodik friedensethischer bzw. -politischer Intervention mit gewaltfreien Mitteln. Offensichtlich bisher ohne Erfolg hat sich Papst Franziskus selbst bereits Mitte März 2022 im Rahmen einer Videokonferenz an den Moskauer Patriarchen Kirill gewandt, um ihn für eine solche Form der deeskalierenden Einflussnahme zu gewinnen. Er wollte ihn davon abhalten, sich die regierungsamtliche russische Perspektive zu eigen zu machen sowie sie kirchenpolitisch und theologisch aufzuwerten.
Folgen des Kriegs für die ganze Welt
Es entspricht der politisch-militärischen Situation in der und um die Ukraine, dass die friedensethische Debatte derzeit vor allem von der Frage bestimmt wird, wie weit praktische Solidarität mit dem angegriffenen Staat und den unter den Kriegseinwirkungen leidenden Menschen gehen dürfe und müsse, und in welchen Formen sie geleistet werden könne. Etwas in den Hintergrund treten dabei die unmittelbaren wie mittelbaren Konsequenzen des Krieges, die auch an anderen Orten spürbar werden, vor allem für die Ernährungssituation in den armen Ländern der Welt. Diese sowie weitere soziale und ökologische Folgewirkungen unterstreichen, wie dringlich es ist, diesen Krieg baldmöglichst zu beenden.
Andererseits werden gerade deswegen Überlegungen umso dringlicher, wie sich friedens- und sicherheitspolitische Strukturen für Europa und für die Welt realisieren lassen, in denen nicht nur eine „regelbasierte“ Ordnung (wieder)ersteht, sondern die darin geltenden Regeln zugleich ethisch annehmbar sind. Denn die Forderung, „Frieden durch Recht“ zu schaffen, ist nur dann nicht unterkomplex, wenn dabei von einem auch ethisch qualifizierten Rechtsbegriff ausgegangen wird, also einem solchen, der nicht positivistisch eng geführt wird.
Risiken unterschiedlicher Folgenabschätzungen
Es ist unstrittig, dass es auch künftig im großen Umfang humanitäre Hilfe zu leisten und geflüchteten Menschen Schutz zu bieten gilt, gerade angesichts der großflächigen Zerstörungen an ziviler Infrastruktur, die einen schweren Verstoß gegen Grundnormen des humanitären Völkerrechts darstellen. Ein breites Spektrum unterschiedlicher Einschätzungen begegnet dagegen bei der Frage, ob die sich verteidigenden ukrainischen Streitkräfte modernes militärisches Gerät westlicher Herkunft erhalten sollen: Es reicht von einer weitgehenden Ablehnung solcher Schritte bis hin zur Zustimmung auch zur Lieferung schwerer Waffen, zu der sich Deutschland zusammen mit zahlreichen anderen Staaten inzwischen entschlossen hat.
Ausschlaggebend ist dabei das Resultat der jeweiligen Folgenabschätzungen, von denen die Vertreter der unterschiedlichen Standpunkte ausgehen. Sie lassen sich nur in begrenztem Umfang objektivieren, was unterstreicht, dass Entscheidungen, die unter bestimmten Annahmen getroffen werden, bleibend unter dem hohen Risiko stehen, dass sich diese Annahmen im Lauf der weiteren Entwicklung als falsch erweisen (in Anlehnung an die Analysen des klassischen Militärtheoretikers Carl von Clausewitz spricht man in diesem Zusammenhang von den gefährlichen Unwägbarkeiten, die durch den „Nebel des Krieges“ bewirkt werden).
Dies gilt insbesondere bezüglich der Frage, ob die Auswirkungen einzelner Maßnahmen politisch begrenzbar sind, und ob dieser Prozess in einer hinreichenden Weise steuerbar bleibt, um eine noch weit größere Katastrophe, womöglich einen Nuklearkrieg, zu verhüten. Es ist nicht nur nicht kritikwürdig, sondern unabweisbar geboten, in einer politisch-ethischen Positionsbestimmung dieses gravierende Problem zu bedenken – wie es in zahlreichen Stellungnahmen von kirchlicher Seite durchaus geschieht. Bereits Ende Juli 2022 warnte der vatikanische Außenbeauftragte, Erzbischof Paul R. Gallagher, vor der Gefahr, in einen großen Krieg „hineinzuschlittern“, weil ein Punkt erreicht werden könne, an dem er in verhängnisvoller Weise für unumgänglich gehalten wird, und zog explizit eine Parallele zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Auch die Position, die sich in dieser Situation gegen (weitere) Waffenlieferungen ausspricht, vertritt damit nicht die Auffassung, dass sich die angegriffene Seite einfach zu ergeben hätte. Sie schätzt die Möglichkeiten eines Erfolg versprechenden Widerstands mit gewaltfreien Mitteln, ergänzt durch weit reichende wirtschaftliche Sanktionen seitens der internationalen Staatengemeinschaft, jedoch sehr optimistisch ein. Daher stößt sie auf schwerwiegende Einwände, die auf die tatsächlichen Erfahrungen im bisherigen Verlauf des brutal geführten Kriegs verweisen, nicht zuletzt die Gräueltaten an schutzlosen Zivilisten. Zudem führen wirtschaftliche Sanktionen, die erst nach einiger Zeit größere Wirkung entfalten, ebenfalls zu Folgen, die nicht intendiert sind und Gefahr laufen, dass die getroffenen Maßnahmen letztlich kontraproduktiv wirken.
Erneut tritt in diesem Krieg, wie in allen bisherigen, die aporetische Grundstruktur des ethischen Problems der Gewalt zu Tage: Sowohl ein Eintreten für ausschließlich gewaltfreies Vorgehen als auch ein Handeln aus einem Ethos der „rechtserhaltenden Gewalt“ (so ein zentraler Begriff in der Denkschrift der EKD von 2007) stoßen auf empirisch begründete Einwände, die kaum zu entkräften sind. Sie behaften diejenigen, die sich zwischen diesen Möglichkeiten zu entscheiden haben, in jedem Fall mit der Verantwortung für Folgen, die zu verursachen niemals Ziel ihres Handelns sein kann, die durch dieses aber auch nicht vermieden bzw. abgewendet werden können. Es sei dieses „Dilemma“, so der Magdeburger katholische Bischof Gerhard Feige, das bewirke, dass es „eine einheitliche christliche Sichtweise“ nicht gebe.
Schon seit einiger Zeit wird daher ein Ansatz favorisiert, der auf eine Verhandlungslösung gerichtet ist – von Stimmen inner- wie außerhalb der Kirchen, die für unterschiedliche Grundpositionen stehen. Auch der US-amerikanische Generalstabschef Mark Milley hat sich im November 2022 mit Sorge hinsichtlich der Konsequenzen einer weiteren Kriegführung für alle Beteiligten dahingehend ausgesprochen und an den Verlauf des Ersten Weltkriegs erinnert, der jahrelang andauerte und Millionen von Toten forderte, weil es nicht zeitgerecht zu Verhandlungen kam.
Weg von den Maximalzielen
Dabei gilt allerdings der Erfahrungssatz, dass das Ergebnis von Verhandlungen mehr oder weniger die Situation im jeweils aktuellen Kriegsverlauf widerspiegelt. Da diese für beide Seiten als gegenwärtig nicht akzeptabel gilt, wird versucht, sie so zu verändern, dass sich die eigenen Ziele am Verhandlungstisch leichter erreichen lassen.
In einer ethischen Betrachtung stellt dies jedoch eine asymmetrische Konstellation dar, denn es liegt auf der Hand, wem die Rolle des Angegriffenen und wem diejenige des Angreifers zufällt. Letzterer steht zwar unzweifelhaft unter der Verpflichtung, die Aggression unverzüglich einzustellen. Gleichwohl ist eine Verständigung realistischerweise nur unter der Voraussetzung vorstellbar, dass beide Seiten grundsätzlich von ihren jeweiligen Maximalzielen abzusehen bereit sind. Das Mindeste, was als Resultat von Verhandlungen – neben der dauerhaften Einstellung der Kampfhandlungen – erreicht werden müsste, ist die Erhaltung der Ukraine als eigenständiges, funktionsfähiges Staatswesen und ihr wirksamer Schutz vor weiterer Gewaltanwendung in der Zukunft.
Die schwierigen Fragen, die sich hier im Einzelnen stellen, werden im internationalen fachwissenschaftlichen Schrifttum mittlerweile ausführlich erörtert. Sie gehen einher mit eindringlichen Warnungen vor den humanitären, politischen und militärischen Auswirkungen eines in die Länge gezogenen Konflikts, die schwerer wögen als das Ziel, das ganze seit 2014 von Russland besetzte Territorium zurückzugewinnen. Zu den Voraussetzungen für eine Kriegsbeendigung wird auch die Suche nach Wegen gerechnet, auf denen es Russland möglich würde, schrittweise „wieder Teil des internationalen Systems zu werden“ (Henry Kissinger Mitte Januar 2023), es „in ein System von Diplomatie und Recht einzubinden.“
Friedensfähige Sicherheitsstrukturen
Damit ist eine Aufgabenstellung markiert, die in der gegenwärtigen Situation eher fern erscheinen mag, ohne die jedoch eine neue Form dauerhafter, friedlicher Außenbeziehungen in der europäischen Staatenwelt und über sie hinaus nicht möglich sein wird. Welche Bedeutung einer „Sicherheitsarchitektur“ zukommt, in der den nachvollziehbaren Besorgnissen und legitimen Interessen aller Beteiligten – die zudem erhebliche Gemeinsamkeiten aufweisen, vor allem in Bezug auf die Verminderung politischer Spannungen und eine Reduzierung der ihnen korrespondierenden militärischen Konfrontation – Rechnung getragen wird, hatte auch Gorbatschow bis kurz vor seinem Tod immer wieder betont. Er war von der direkten Verbindung zwischen einer konstruktiven Lösung des europäischen Sicherheitsproblems und den Chancen auf einen demokratischen Wandel in Russland tief überzeugt, wozu die begründbare Hoffnung der Bevölkerung gehören muss, dass sich ihre oftmals desolaten Lebensverhältnisse durch solche politischen Veränderungen verbessern lassen.
Auch die International Crisis Group, eine renommierte Institution zur Politikberatung mit Hauptsitz in Brüssel, stellte bereits in einer Lageeinschätzung vom Dezember 2022 fest: „Während es verfrüht wäre, den gewünschten Inhalt solcher Vereinbarungen festzulegen, so ist es nicht zu früh zu beobachten, dass Russland und die Nato koexistieren können müssen, um immer mehr Kriege zu verhindern. Ein Weg, um eine solche Koexistenz zu ermöglichen, [...] sind Rüstungskontrollvereinbarungen und andere gegenseitige Verpflichtungen, um die größten Befürchtungen auf allen Seiten beruhigen zu helfen.“ Inzwischen mehren sich die Stimmen, die das Bewusstsein dafür schärfen wollen, dass diese Perspektiven mit bedacht werden müssen, wenn das Töten und Sterben in der Ukraine zu einem Ende kommen soll.
Eine wesentliche Voraussetzung für eine Veränderung der Wahrnehmung des Kriegs durch die Menschen in Russland wäre es, wenn seitens maßgeblicher Vertreter der Russischen Orthodoxen Kirche – denn keineswegs alle ihre Mitglieder denken so – Abstand davon genommen würde, ihn in den Kategorien eines Kampfs unvereinbarer Lebens- und Politikentwürfe zu interpretieren, in dem die eigene traditionelle Ordnung von westlicher Seite zerstört zu werden drohe. In dem Maße, in dem solche unzutreffenden Schwarz-Weiß-Deutungsmuster Resonanz finden, scheidet jegliches Entgegenkommen im Rahmen von Verhandlungen weithin als eine ethisch verantwortbare Handlungsoption aus.
Perzeptionen, nicht zwangsläufig Realitäten, bestimmen jedoch nur allzu oft Entscheidungen von großer Tragweite, die dann tatsächlich zu neuen Realitäten werden und die Spirale der Gewalt immer höher treiben. Diese Mechanik gilt es zu durchschauen, um sie durchbrechen zu können, statt sich in ihren Fallen zu verfangen. Auch dem Sprechen der Kirchen kommt daher in dieser Situation eine größere Verantwortung zu, als es ihre Vertreter vielleicht selbst wahrzunehmen vermögen.
Thomas Hoppe ist Professor für katholische Theologie unter besonderer Berücksichtigung der Sozialwissenschaften und Sozialethik an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg.