Kann Putin gestoppt werden?
Judy Dempsey (Carnegie Europe) fragte, hier die Antworten kompakt, Carnegie Europe, 29.9.2022
Für John R. Deni vom U.S. Army War College’s Strategic Studies Institute hängt das wesentlich von Selenskys „Führerschaft und Überleben“ ab. Außerdem von westlicher Hilfe. „Hier gibt es noch mehr zu tun, vor allem, weil der Materialbedarf der Ukraine enorm bleibt, nicht alle größten EU-Staaten ihr Gewicht einsetzen und die Bedürfnisse Kiews sich je nach Kriegsverlauf verändern werden.“
Während Martin Ehl, Chefanalyst der tschechischen Zeitung Hospodářské Noviny, die Antwort daran knüpft, ob eine Mobilisierungsmüdigkeit entsteht, spielt dies für François Heisbourg vom International Institute for Strategic Studies (IISS) keine Rolle. Das Weglaufen von Wehrpflichtigen habe weder in den USA im Fall Vietnams noch in Frankreich im Algerienkrieg eine Rolle gespielt. Auch wenn diese Kriege zunehmend unpopulär gewesen seien, habe es nie an manpower gemangelt, die Kriege setzten sich über Jahre fort.
Linas Kojala, Direktor des Eastern Europe Studies Centre in Vilnius, sieht Putins Risiken wachsen, aber er wagt keine Vorhersage. Der Westen müsse aber „die militärische und wirtschaftliche Unterstützung für die Ukraine und die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten“.
Andrei Kolesnikow (Carnegie Endowment for International Peace) meint, dass ein in die Enge getriebener Putin kaum mehr aufzuhalten sei. Nicht einmal die Vorsicht Chinas, Indiens und der Türkei hielten ihn von irgendetwas ab. Er erkennt allerdings einen Wandel insofern, als Proteste im Land nicht mehr von der Opposition und der Zivilgesellschaft kommen, sondern von den „tiefen Leuten“, der sozialen Basis des Regimes, die den Kreml ein wenig zurückhalten könne. Kolesnikow glaubt oder hofft offenbar, dass Putins taktische Verbündete im Ausland und das russische Volk selbst versuchen könnten, den Diktator aufzuhalten.
Putin werde nicht aufhören, prophezeit Linas Linkevičius, Ex-Außen- und Verteidigungsminister von Litauen. Wie auch Alena Kudzko, Direktor des GLOBSEC Policy Institute in Bratislava beschwört er das Handeln des Westens: bessere und schwerere Waffen „und auch Flugzeuge“, fortgesetzte finanzielle Unterstützung der Ukraine und schärfere Wirtschaftssanktionen gegen Russland.
Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) benennt die möglichen Folgen konsequenter westlicher Politik: „Wenn der Westen seinen Kurs beibehält, könnte Putin sich selbst stoppen.“ Mit der Teilmobilisierung habe er sein politisches Überleben an einen Sieg im Osten und Süden der Ukraine geknüpft.
Gwendolyn Sasse (Zois, Berlin) meint, der Widerstand gegen die Teilmobilisierung habe gezeigt, dass viele Russen den Krieg nicht aktiv unterstützen. Gestoppt werden könne Putin – das sieht auch Paul Stronski (Carnegie Endowment for International Peace) so – nur von innen, der Auslöser für Veränderung müsse von den russischen Eliten kommen, „möglicherweise von Militärs und Sicherheitskräften als Reaktion auf die Kosten des Kriegs“.
Andreas Umland vom Stockholm Centre for Eastern European Studies am Swedish Institute of International Affairs (UI) wundert sich über die Freilassung von „angeblichen Neonazi-Ukrainern“ des Asow-Regiments. Wenn diese Männer ohne Gerichtsverfahren freigelassen werden, worum ging es dann bei der ganzen „militärischen Sonderoperation“?, fragt Umland. „Wenn die Dinge so weitergehen, müssen der Westen und die Ukraine möglicherweise nur wenig mehr tun als zuvor und möglicherweise nur warten, bis sich Putins Regime selbst zerstört.“ PHK