Russland wird ein Regime wie Iran

Alexander Gabuev trauert Russlands vergebener Chance nach und sieht schwarz für die Zukunft, Foreign Affairs 13 3 2023

von KARENINA
Russlands vergebene Chance: Foreign Affairs

Was wäre möglich gewesen! Aber Putins Krieg hat dafür gesorgt, dass Russland für sehr lange Zeit keinen friedlichen und wohlhabenden Platz in der Weltordnung des 21. Jahrhunderts einnehmen wird, bedauert Alexander Gabuev, Direktor des Carnegie Russia-Eurasia Center in Berlin. „Russland hatte alle Voraussetzungen um eine wohlhabende, selbstbewusste, sichere und vertrauenswürdige Großmacht des 21. Jahrhunderts zu werden – ein Land, das helfen könnte, einige der dringendsten Probleme der Welt anzugehen.“

Russland habe eine historische Chance verschleudert, „eine globale Macht zwischen Ost und West zu werden“ – wegen Putins „wachsender Paranoia über wahrgenommene militärische Bedrohungen aus dem Westen“, seiner „alarmistischen Sichtweise der Nato-Erweiterung“ und seiner „Besessenheit, Russland zu einer Großmacht im Stil des 19. Jahrhunderts umzugestalten“. Das habe „die Nation in die strategische und moralische Katastrophe ihres Kriegs in der Ukraine“ getrieben.

Moskaus Wunsch, Kiew zu dominieren, „war von Anfang an zum Scheitern verurteilt“, so Gabuev. Denn die ukrainischen Eliten wollten die gewonnene Distanz zu Russland erhalten, die ukrainischen Oligarchen wussten – anders als die russischen – zu verhindern, dass jemand auftaucht wie Putin, der sie dominiert. Polens Erfolg nach dem Beitritt zur Nato 1999 und der EU 2004 diente vielen ukrainischen Liberalen als Vorbild. Und – das hält Gabuev für am wichtigsten – nach mehr als 30 Jahren seit der Unabhängigkeit war der Prozess der nationalen Identitätsbildung erheblich fortgeschritten. „Jeder Schritt des Kremls, diese Entwicklung zu unterbrechen, stärkte diese Identität und das anti-russische Gefühl der Ukrainer.“

Russlands Gelegenheit, sich in der Weltordnung neu zu definieren, sei beendet gewesen, als die ersten russischen Bomben und Raketen die Ukraine trafen, schließt Gabuev. „Es ist unmöglich zu sagen, wie dieser hässliche Krieg enden wird, aber eines ist klar: Diese verpassten Chancen werden nie zurückkehren.“

Weil Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen drohen kann, falls das Überleben seines Regimes bedroht ist, hält Gabuev einen vollständigen ukrainischen Sieg für unwahrscheinlich. Der Krieg werde also dauern. „In der Zwischenzeit wird Russland allmählich zu einem wirtschaftlichen und politischen Modell abdriften, das dem des Iran ähnelt – und zunehmend von China abhängig werden.“  PHK

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