Gold, Schweiz, Russland
Mit Kriegsbeginn versiegte der Goldimport der Schweiz aus Russland, im Mai stieg er. Wieso?
„Russland ist ein Rätsel innerhalb eines Geheimnisses, umgeben von einem Mysterium.“ So lautet ein Zitat von Winston Churchill. Offenbar gilt dies nicht nur für das Land, sondern auch für russisches Gold. Nachdem in den Monaten März und April nach der russischen Invasion in der Ukraine kein Edelmetall aus Russland mehr in die Schweiz geliefert worden ist, erstaunt die Handelsstatistik für Mai: In diesem Monat wurden rund drei Tonnen Gold mit Ursprungsland Russland im Wert von gut 194 Millionen Franken aus dem Vereinigten Königreich in die Schweiz importiert. Seitdem wird gerätselt, wer der Importeur ist.
Der erste Verdacht fiel auf die großen Raffinerien. Diese haben sich aber nach der Invasion eine Selbstbeschränkung auferlegt. Die Schweiz ist eine der größten Drehscheiben für den Import und Export von Gold. Hierzulande befinden sich rund 40 Prozent der weltweiten Raffineriekapazitäten. Die Scheideanstalten, die im Tessin und in der Westschweiz angesiedelt sind, schmelzen Goldwaren, bereiten Rohgold auf und zertifizieren das Edelmetall. Zudem wird das Gold auch über die Schweiz angekauft und verkauft.
Die Schweizerische Vereinigung der Edelmetallfabrikanten und Händler sagte, dass keines ihrer 13 Mitglieder für den Import verantwortlich sei. Dies ist gewichtig, weil alle großen Akteure wie MSK Pamp, Argor-Heraeus, Valcambi und Metalor von der Vereinigung vertreten werden. Die Mitglieder des Verbands sind für so gut wie 100 Prozent des in der Schweiz geschmolzenen und raffinierten Edelmetallvolumens zuständig. Es bleiben nur sehr kleine Schmelzereien übrig.
Heiße Spekulationen
Grundsätzlich ist der Import von russischem Gold immer noch gestattet. Jedoch dürfen sämtliche Barren, die von russischen Raffinerien seit dem 7. März gefertigt wurden, nicht mehr in der Schweiz gehandelt werden. Die großen heimischen Raffinerien haben aber, soweit dies ersichtlich ist, aus Reputationsgründen den Import von russischem Gold eingestellt.
Zudem hat die London Bullion Market Association (LBMA) im März entschieden, russische Raffinerien von der Liste der zertifizierten Produktionsbetriebe zu nehmen, was ein Handelsverbot von neu hergestelltem Gold aus Russland in London bedeutete. Die LBMA organisiert den wichtigen außerbörslichen Goldhandel in London und setzt dafür die Standards. In der „Good Delivery List“ der Organisation werden die Raffinerien aufgeführt, die die LBMA-Anforderungen erfüllen. Untersagt ist zudem der Goldhandel mit der russischen Zentralbank, die mit westlichen Sanktionen belegt worden ist.
Wer könnte nun also dahinterstecken? Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit sollte den Importeur kennen. Die Behörde teilte mit, dass die betroffene Einfuhr daraufhin untersucht werde, ob sie legal gewesen sei. Aus rechtlichen Gründen kann sie jedoch nicht den Namen der einführenden Firma nennen. Für Diskussion sorgt auch die Zolldeklarationsnummer, unter der das Gold importiert wurde.
Marc Ummel, Rohstoffexperte beim Hilfswerk Swissaid, meint, die Behörden hätten ihm bestätigt, dass die Deklarierung korrekt sei. Diese besage, dass das Gold zur Raffinierung bestimmt sei. Wenn aber die großen Scheideanstalten nicht infrage kommen, wäre das Gold bei einem kleinen Anbieter angekommen, was aber aufgrund der großen Menge wenig wahrscheinlich ist.
Aus der Branche heißt es, dass die Deklaration nicht zwingend dafür stehe, dass das Gold weiterverarbeitet werden müsse. Theoretisch könnte das Gold zudem bei einem Schmuck- oder Uhrenhersteller gelandet sein.
Es wird heiß spekuliert: Eine Möglichkeit könnte sein, dass ein Großinvestor das Edelmetall, das nicht für die unmittelbare Weiterverarbeitung gedacht ist, in der Schweiz zwischenlagert. Dies könnte auch bedeuten, dass ein reicher Russe seine „goldenen Schäfchen“ ins Trockene gebracht hat, um abzuwarten. Dann müsste dieser Investor aber die Lagerhaltung bezahlen.
Eine Variante ist auch, dass es sich um Gold einer russischen Raffinerie handelt, die ihren LMBA-Status verloren hat. Dies könnte jedoch illegal sein, sollte es sich um Edelmetall einer unter Sanktionen stehenden Raffinerie handeln. Zudem wird spekuliert, dass das Gold zuvor in einem Zollfreilager war und jetzt in die Schweiz eingeführt worden ist.
Eine weitere Frage betrifft die Bezahlung von Transaktionen mit Gold aus Russland. Die meisten russischen Banken stehen unter Sanktionen, westliche Finanzinstitute haben Geschäften mit Russland-Bezug einen Riegel vorgeschoben. Es bleibt noch hinzuzufügen, dass die drei Tonnen Edelmetall aus Russland gerade zwei Prozent der gesamten Goldeinfuhren im Mai ausmachten. Das Rätsel bleibt ein Mysterium.
Dieser Beitrag ist ursprünglich am 24.6.2022 erschienen in: Neue Zürcher Zeitung / © Neue Zürcher Zeitung