Russland Außenpolitik

Russlands Wende nach Asien

Moskaus Angebot für Indien und Südostasien: Waffen und Impfstoffe gegen gute Beziehungen

von Christoph Hein und Katharina Wagner
Russlands Verteidigungsminister Sergei Shoigu zu Besuch bei Myanmars General Min Aung Hlaing: „Die Freundschaft zwischen Russland und Myanmar wird stärker und stärker.“

Wenn kaum noch jemand auf der Welt sie empfängt, haben die Junta-Gene­rä­le in Myan­mar doch eine Tür, an die sie klop­fen können: Moskau. „Dank Russ­land ist unsere Armee eine der stärks­ten der Region gewor­den“, bedank­te sich Putsch-Gene­ral Min Aung Hlaing im Juni artig bei Vertei­di­gungs­mi­nis­ter Sergei Shoigu. „Die Freund­schaft zwischen Russ­land und Myan­mar wird stär­ker und stär­ker.“ Zuvor hatte der Gene­ral, dessen Armee die Menschen­rech­te laufend verletzt, Russ­lands Waffen­ex­por­teur Rosobo­ron­ex­port besucht.

Geschickt nutzt Russ­land Krisen wie den Mili­tär­putsch in Myan­mar, um mit gerin­gem Einsatz Einfluss zu gewin­nen. Im März hatte der stell­ver­tre­ten­de russi­sche Vertei­di­gungs­mi­nis­ter unter dem Stau­nen der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft an der jähr­li­chen Mili­tär­pa­ra­de in Myan­mar teil­ge­nom­men. „Für uns ist Myan­mar ein verläss­li­cher stra­te­gi­scher Part­ner über alle Zeiten hinweg“, erklär­te Shoigu nun.

Moskau ist bemüht, mit Ländern, die ihm unkri­tisch gegen­über­ste­hen, Geschäf­te zu machen und gute Bezie­hun­gen zu haben. Dabei geht es um Wirt­schafts­in­ter­es­sen, aber auch darum, dem heimi­schem Publi­kum vorzu­füh­ren, wie viele „Freun­de“ Russ­land in der Welt noch habe, und dass es mit solchen Alli­an­zen ein Gegen­ge­wicht zur ameri­ka­nisch-west­li­chen Domi­nanz bilde.

In diesen Wochen rückt Indien in den Fokus: Neu-Delhi und Moskau feiern 50 Jahre ihres Vertra­gs für Frie­den, Freund­schaft und Zusam­men­ar­beit. „Keine der ande­ren Freund­schaf­ten Indi­ens hat so eine Wider­stands­kraft bewie­sen wie dieje­ni­ge zu Russ­land“, erklär­te der Stra­te­gie­ana­lyst KP Nayar aus Anlass des Besu­chs des indi­schen Außen­mi­nis­ters Subrah­manyam Jais­han­kar in Moskau.

Der sagte: „Es besteht kein Zwei­fel, dass die Bezie­hun­gen zwischen Indien und Russ­land zu den stabils­ten der bedeu­tends­ten Bezie­hun­gen der Welt nach dem Zwei­ten Welt­krieg gehö­ren.“ Jais­han­kar beton­te, „die Verbin­dun­gen beider Länder reichen über Mili­tär und Medi­zin bis zu Raum­fahrt und Atom­ener­gie“.

Das Serum Insti­tu­te of India, der welt­grö­ß­te Herstel­ler von Vakzi­nen, wird von Septem­ber an den russi­schen Impf­stoff Sput­nik V produ­zie­ren. Geplant ist eine Ferti­gung von 300 Millio­nen Dosen jähr­lich. Der Tech­no­lo­gie­trans­fer habe inzwi­schen begon­nen, heißt es in Pune.

Tief veran­kert im prosperierenden Südost­asi­en

Moskau blickt aber nicht nur nach Südasi­en. Seit 2014, als sich nach der Anne­xi­on der ukrai­ni­schen Krim und wegen des Kriegs in der Ostukrai­ne Russ­lands Bezie­hun­gen zum Westen dras­tisch verschlech­ter­ten, propa­giert der Kreml die „Wende nach Osten“. Gemeint ist damit eine Hinwen­dung nach Asien, um die Verlus­te durch west­li­che Sank­tio­nen auszu­glei­chen, mit China als Wunsch­part­ner. Aller­dings bleibt trotz der großen Worte die EU Russ­lands wich­tigs­ter Handels­part­ner, aus ihren Mitglied­staa­ten kommen auch die meis­ten Direktinves­ti­tio­nen.

In der Wachs­tums­re­gi­on Südost­asi­en ist Russ­land aber heute tiefer veran­kert als je zuvor seit dem Kalten Krieg. Nach dem Zerfall der Sowjet­uni­on hatte Moskau seine Mari­ne­ba­sis in Viet­nams Cam Ranh Bucht geschlos­sen – während Jais­han­kar nun in Moskau gerade auf eine künf­ti­ge Zusam­men­ar­beit der Marine im Indi­schen Ozean hinwies. 1990 hatte Russ­land auch die Rüstungs- und Wirt­schafts­hil­fe für Viet­nam, Kambo­dscha und Laos über zuletzt rund drei Milli­ar­den Dollar jähr­lich gestri­chen.

Die Rück­kehr nach Asien ist aller­dings in keiner Handels­bi­lanz ersicht­lich – denn die Schwer­punk­te liegen ganz eindeu­tig auf Waffen und Impf­stof­fen. Dmi­t­ri Mosja­kow, Südost­asi­en-Exper­te an der Russi­schen Akade­mie der Wissen­schaf­ten, bringt es auf den Punkt: „Man muss kein Handels­vo­lu­men von 500 Milli­ar­den Dollar auswei­sen, um in Südost­asi­en einen entschei­den­den Trumpf in der Hand zu haben – es reicht, wenn man jeman­dem die moderns­ten russi­schen Waffen anbie­tet.“

Sputnik V und Waffen als Chance

Die verzwei­fel­te Suche nach Vakzi­nen bietet eine uner­war­te­te Zusatz­chan­ce: Schon im vergan­ge­nen Jahr, als es seinen ersten Impf­stoff weit vor Ende der Test­pha­se zuge­las­sen hatte, hatte Moskau insbe­son­de­re den Schwel­len­län­dern Liefe­run­gen verspro­chen und behaup­tet, anders als die west­li­chen Mächte ärmere Regio­nen mit güns­ti­gem Impf­stoff versor­gen zu wollen. Neben Indien will auch Indo­ne­si­en Sput­nik ferti­gen. Viet­nam, Laos, Myan­mar und die Philippi­nen haben den Stoff zuge­las­sen, den Putin als „so verläss­lich wie eine Kalasch­ni­kow” bezeich­ne­te. Die Liefe­run­gen aus Moskau aber verzö­gern sich.

Panzer, Hubschrau­ber und Geweh­re gibt es schnel­ler. Viet­nam bestückt mehr als 80 Prozent seines Arse­nals mit Waffen aus Russ­land. An Chinas Kontra­hen­ten gehen Unter­see­boo­te, Fregat­ten, Kampf­flug­zeu­ge, Flug­ab­wehr­ra­ke­ten und Panzer. In Myan­mar und Laos stehen die Liefe­run­gen aus Moskau für gut 40 Prozent ihrer Depots. Und selbst Malay­sia kommt noch auf einen Anteil von 30 Prozent russi­scher Waffen.

Unter dem Strich hat Moskau in den zwei Jahr­zehn­ten nach der Jahr­tau­send­wen­de Waffen im Wert von 11 Milli­ar­den Dollar nach Südost­asi­en verkauft. Ameri­ka folgt mit 8 Milli­ar­den Dollar, China mit 2,6 Milli­ar­den Dollar.

Die US-gepräg­te Welt­ord­nung in Frage stel­len

Putin verfolgt in der – aus seiner Sicht – entfern­ten Region mehre­re stra­te­gi­sche Ziele: Er sieht Chan­cen, die ameri­ka­nisch gepräg­te Welt­ord­nung in Frage zu stel­len und dessen Alli­an­zen zu stören, ohne sich mit Peking verbün­den zu müssen. Auch kann Russ­land über Abhän­gig­kei­ten seine Rolle als Welt­macht auf dem inter­na­tio­na­len Parkett stüt­zen.

Natür­lich hat das Enga­ge­ment Gren­zen: Ein Bericht der Denk­fa­brik Carne­gie kam zu dem Schluss, dass Moskau Südost­asi­en als „Einfluss­sphä­re Pekings“ aner­kannt habe und sich selbst mit der Rolle des Juni­or­part­ners begnü­ge. Aus Sicht der Südost­asia­ten aber erge­ben sich Part­ner­schaf­ten, die dem übli­chen Trio der Groß­mäch­te in der Region, China, Ameri­ka und Japan, in eini­gen Berei­chen Alter­na­ti­ven bieten.

Russi­sche Waffen sind billi­ger, und es gibt keine System­fra­gen wie von Ameri­ka­nern oder Euro­pä­ern. Allein 6000 Offi­zie­re aus Myan­mar wurden an russi­schen Akade­mi­en geschult – sie kennen die Waffen, die sie gegen ihr eige­nes Volk rich­ten.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 21.7.2021 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung erschienen / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, während andere uns helfen, diese Website und Ihre Erfahrung zu verbessern.

Alle akzeptieren

Speichern

Individuelle Datenschutzeinstellungen