Russlands Wende nach Asien
Moskaus Angebot für Indien und Südostasien: Waffen und Impfstoffe gegen gute Beziehungen
Wenn kaum noch jemand auf der Welt sie empfängt, haben die Junta-Generäle in Myanmar doch eine Tür, an die sie klopfen können: Moskau. „Dank Russland ist unsere Armee eine der stärksten der Region geworden“, bedankte sich Putsch-General Min Aung Hlaing im Juni artig bei Verteidigungsminister Sergei Shoigu. „Die Freundschaft zwischen Russland und Myanmar wird stärker und stärker.“ Zuvor hatte der General, dessen Armee die Menschenrechte laufend verletzt, Russlands Waffenexporteur Rosoboronexport besucht.
Geschickt nutzt Russland Krisen wie den Militärputsch in Myanmar, um mit geringem Einsatz Einfluss zu gewinnen. Im März hatte der stellvertretende russische Verteidigungsminister unter dem Staunen der internationalen Gemeinschaft an der jährlichen Militärparade in Myanmar teilgenommen. „Für uns ist Myanmar ein verlässlicher strategischer Partner über alle Zeiten hinweg“, erklärte Shoigu nun.
Moskau ist bemüht, mit Ländern, die ihm unkritisch gegenüberstehen, Geschäfte zu machen und gute Beziehungen zu haben. Dabei geht es um Wirtschaftsinteressen, aber auch darum, dem heimischem Publikum vorzuführen, wie viele „Freunde“ Russland in der Welt noch habe, und dass es mit solchen Allianzen ein Gegengewicht zur amerikanisch-westlichen Dominanz bilde.
In diesen Wochen rückt Indien in den Fokus: Neu-Delhi und Moskau feiern 50 Jahre ihres Vertrags für Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit. „Keine der anderen Freundschaften Indiens hat so eine Widerstandskraft bewiesen wie diejenige zu Russland“, erklärte der Strategieanalyst KP Nayar aus Anlass des Besuchs des indischen Außenministers Subrahmanyam Jaishankar in Moskau.
Der sagte: „Es besteht kein Zweifel, dass die Beziehungen zwischen Indien und Russland zu den stabilsten der bedeutendsten Beziehungen der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg gehören.“ Jaishankar betonte, „die Verbindungen beider Länder reichen über Militär und Medizin bis zu Raumfahrt und Atomenergie“.
Das Serum Institute of India, der weltgrößte Hersteller von Vakzinen, wird von September an den russischen Impfstoff Sputnik V produzieren. Geplant ist eine Fertigung von 300 Millionen Dosen jährlich. Der Technologietransfer habe inzwischen begonnen, heißt es in Pune.
Tief verankert im prosperierenden Südostasien
Moskau blickt aber nicht nur nach Südasien. Seit 2014, als sich nach der Annexion der ukrainischen Krim und wegen des Kriegs in der Ostukraine Russlands Beziehungen zum Westen drastisch verschlechterten, propagiert der Kreml die „Wende nach Osten“. Gemeint ist damit eine Hinwendung nach Asien, um die Verluste durch westliche Sanktionen auszugleichen, mit China als Wunschpartner. Allerdings bleibt trotz der großen Worte die EU Russlands wichtigster Handelspartner, aus ihren Mitgliedstaaten kommen auch die meisten Direktinvestitionen.
In der Wachstumsregion Südostasien ist Russland aber heute tiefer verankert als je zuvor seit dem Kalten Krieg. Nach dem Zerfall der Sowjetunion hatte Moskau seine Marinebasis in Vietnams Cam Ranh Bucht geschlossen – während Jaishankar nun in Moskau gerade auf eine künftige Zusammenarbeit der Marine im Indischen Ozean hinwies. 1990 hatte Russland auch die Rüstungs- und Wirtschaftshilfe für Vietnam, Kambodscha und Laos über zuletzt rund drei Milliarden Dollar jährlich gestrichen.
Die Rückkehr nach Asien ist allerdings in keiner Handelsbilanz ersichtlich – denn die Schwerpunkte liegen ganz eindeutig auf Waffen und Impfstoffen. Dmitri Mosjakow, Südostasien-Experte an der Russischen Akademie der Wissenschaften, bringt es auf den Punkt: „Man muss kein Handelsvolumen von 500 Milliarden Dollar ausweisen, um in Südostasien einen entscheidenden Trumpf in der Hand zu haben – es reicht, wenn man jemandem die modernsten russischen Waffen anbietet.“
Sputnik V und Waffen als Chance
Die verzweifelte Suche nach Vakzinen bietet eine unerwartete Zusatzchance: Schon im vergangenen Jahr, als es seinen ersten Impfstoff weit vor Ende der Testphase zugelassen hatte, hatte Moskau insbesondere den Schwellenländern Lieferungen versprochen und behauptet, anders als die westlichen Mächte ärmere Regionen mit günstigem Impfstoff versorgen zu wollen. Neben Indien will auch Indonesien Sputnik fertigen. Vietnam, Laos, Myanmar und die Philippinen haben den Stoff zugelassen, den Putin als „so verlässlich wie eine Kalaschnikow” bezeichnete. Die Lieferungen aus Moskau aber verzögern sich.
Panzer, Hubschrauber und Gewehre gibt es schneller. Vietnam bestückt mehr als 80 Prozent seines Arsenals mit Waffen aus Russland. An Chinas Kontrahenten gehen Unterseeboote, Fregatten, Kampfflugzeuge, Flugabwehrraketen und Panzer. In Myanmar und Laos stehen die Lieferungen aus Moskau für gut 40 Prozent ihrer Depots. Und selbst Malaysia kommt noch auf einen Anteil von 30 Prozent russischer Waffen.
Unter dem Strich hat Moskau in den zwei Jahrzehnten nach der Jahrtausendwende Waffen im Wert von 11 Milliarden Dollar nach Südostasien verkauft. Amerika folgt mit 8 Milliarden Dollar, China mit 2,6 Milliarden Dollar.
Die US-geprägte Weltordnung in Frage stellen
Putin verfolgt in der – aus seiner Sicht – entfernten Region mehrere strategische Ziele: Er sieht Chancen, die amerikanisch geprägte Weltordnung in Frage zu stellen und dessen Allianzen zu stören, ohne sich mit Peking verbünden zu müssen. Auch kann Russland über Abhängigkeiten seine Rolle als Weltmacht auf dem internationalen Parkett stützen.
Natürlich hat das Engagement Grenzen: Ein Bericht der Denkfabrik Carnegie kam zu dem Schluss, dass Moskau Südostasien als „Einflusssphäre Pekings“ anerkannt habe und sich selbst mit der Rolle des Juniorpartners begnüge. Aus Sicht der Südostasiaten aber ergeben sich Partnerschaften, die dem üblichen Trio der Großmächte in der Region, China, Amerika und Japan, in einigen Bereichen Alternativen bieten.
Russische Waffen sind billiger, und es gibt keine Systemfragen wie von Amerikanern oder Europäern. Allein 6000 Offiziere aus Myanmar wurden an russischen Akademien geschult – sie kennen die Waffen, die sie gegen ihr eigenes Volk richten.
Dieser Beitrag ist ursprünglich am 21.7.2021 in der Frankfurter Allgemeine Zeitung erschienen / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.