Kalter Krieg ist real
Ergebnis des Genfer Präsidententreffens: Alles bleibt, wie es war – eine Meinung aus Russland
In seinem Interview für den Sender NBC räsonierte Wladimir Putin ziemlich lange darüber, wie wichtig Stabilität und Vorhersagbarkeit in den internationalen Beziehungen seien. Und so viel steht fest: Das Treffen des russischen und des amerikanischen Präsidenten in Genf war schlicht eine Apotheose der Vorhersagbarkeit. Es gab von beiden Seiten so wenig Überraschendes, dass die Begegnung sogar eine halbe Stunde kürzer dauerte als geplant.
Wie von der Mehrheit der Experten vorhergesagt, konzentrierte sich das Positive dieses Treffens ganz auf das Thema der strategischen Stabilität. Das heißt darauf, wie man sich im Eifer des Gefechts nicht umbringt. Die einzige Vereinbarung, die man „zu Papier bringen“ konnte, war die einvernehmliche Erklärung, dass „ein atomarer Krieg niemals entfesselt werden darf, es kann darin keinen Sieger geben“.
Somit war das wichtigste Ergebnis dieses Gipfels letztlich nur die Wiederholung jener Erklärung, die vor fast 36 Jahren Ronald Reagan und Michail Gorbatschow abgaben. Damals hatte diese Erklärung etwas Revolutionäres, sie machte den Weg frei für das, was in der Folge ein „Neues Denken“ in der sowjetischen Außenpolitik genannt wurde.
Heute kann davon nicht die Rede sein. Die beiden Seiten einigten sich lediglich darauf, einen „energischen Dialog“ zu führen, dessen Ziel es sei, „die Grundlage zu schaffen für eine künftige Rüstungskontrolle und für Maßnahmen zur Risikominderung“.
Außerdem vereinbarten die Seiten Konsultationen im Bereich der Cybersicherheit und der Sicherheit der Arktis. Um einen solchen Dialog führen zu können, braucht man zum Mindesten normal funktionierende Botschaften. Deshalb kehren der amerikanische und der russische Botschafter an ihren Platz zurück.
Kein Interesse an neuem Kalten Krieg
Auf seiner Pressekonferenz sprach Joe Biden darüber, dass Wladimir Putin an einem neuen Kalten Krieg absolut nicht interessiert sei; anscheinend war er der Ansicht, dass ein neuer Kalter Krieg nicht schon begonnen habe. Aber der Realität entkommt man nicht.
Das einzig Positive dieses Gipfels ist im Grunde genommen der Versuch, zur friedlichen Koexistenz zurückzukehren, die gerade das unverzichtbare Element des Kalten Kriegs ist. Gebe Gott, dass in einem halben Jahr, wenn, nach den Worten Bidens, beide Seiten versuchen, ein vorläufiges Fazit zu ziehen, Moskau und Washington wenigstens irgendeinen Fortschritt in dieser Richtung erzielt haben werden.
Dabei demonstriert alles, was Biden und Putin sagten, erschöpfend die ganze Differenz ihrer Werte, was ein weiteres Charakteristikum der Konfrontation ist. Biden versicherte, dass Putin, der Russland den Status einer Großmacht erhalten will, objektiv daran interessiert sei, von der Welt als verantwortungsvoller Führer wahrgenommen zu werden.
Putin pfeift auf die Meinung der Welt
Der russische Staatschef wiederum machte auf seiner Pressekonferenz deutlich, wie sehr er auf die Meinung der internationalen Öffentlichkeit pfeift. In vollem Ernst erklärte er, Alexei Nawalny habe gegen die geltenden Bewährungsauflagen verstoßen, als er in bewusstlosem Zustand Russland verließ. Und als der Oppositionelle das Bewusstsein wiedererlangt habe, sei er nicht auf schnellstem Wege nach Russland zurückgekehrt, sondern habe gewisse Videoaufzeichnungen verbreitet (womit offenbar der Film über das Schloss in Gelendschik gemeint war), wofür er dann bei der Ankunft in Russland verhaftet wurde.
Putin erklärte ernsthaft, die Anti-Korruptions-Stiftung sei deshalb zur extremistischen Vereinigung erklärt worden, weil sie ihren Anhängern beibringe, wie man Molotow- Cocktails herstelle. Als Beweis für den Bruch der Menschenrechte in den USA diente ihm die Verhaftung von Personen, die das Kapitol gestürmt hatten. Und die Aktionen von Mitgliedern der Black-Lives-Matter-Bewegung wurden als gewalttätige Ausschreitungen dargestellt.
Zu Recht bezeichnete Biden solche Vergleiche als „lächerlich“. Aber nicht darum geht es hier. Der Kremlchef provoziert gezielt, indem er Ansichten äußert, die nicht nur nicht durch Fakten belegt sind, sondern sofort widerlegt werden können.
Bidens Warnung an Putin
Doch bei aller offensichtlichen Widersprüchlichkeit in den unterschiedlichen Weltanschauungen beharrten beide Präsidenten darauf, dass ihr Dialog positiv gewesen sei, und enthielten sich aller Drohgebärden. Urteilen Sie selbst: Biden erzählte, er habe Putin eine Liste mit 16 Sektoren der staatlichen Infrastruktur und der Wirtschaft vorgelegt, die von jeglichen Cyberattacken ausgeschlossen sein sollten. Biden sagte ganz ungeschminkt, die amerikanische Antwort auf solche Angriffe/Attacken, sollten sie künftig stattfinden, würde sehr spürbar ausfallen. Und er fragte, wie Putin wohl reagieren würde, wenn unbekannte „Cybererpresser“ einen Schlag gegen die russische Erdölförderung führen würden. Der amerikanische Präsident war sich sicher, dass das Signal bei Putin angekommen ist.
Äußerst scharf reagierte Biden auf den Einwand einer Journalistin, die meinte, das Gipfeltreffen habe nicht zu einer Änderung im Verhaltens Putins geführt. Das sei auch nicht das Ziel gewesen. Auch Carter habe seinerzeit nicht vorgehabt, Breschnew umzuerziehen. Das Ziel sei vielmehr gewesen, dem Kreml klarzumachen, welches Verhalten unausweichlich einen Preis haben würde.
Das brutale Vorgehen gegen die russische Opposition gehört offensichtlich nicht zu den Handlungen, die harte Sanktionen nach sich ziehen, auch wenn Bidens Regierung den Kreml in diesem Punkt scharf kritisiert. Genau wie in den Jahren zwischen 1970 und 1980 das Thema der Repressionen gegen Dissidenten ständig präsent, aber nicht bestimmend war. Also bleibt alles wie es war. Herzlich willkommen im Kalten Krieg.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in russischer Sprache am 17.6.2021 im Jeschednjewni Schurnal (Tägliches Magazin) erschienen. Wir danken dem Autor und Chefredakteur des russischen Onlinemediums für die Erlaubnis, den Text auf KARENINA zu veröffentlichen. / Aus dem Russischen von Olga Kouvchinnikova und Ingolf Hoppmann