AI: Auch Ukraine verstößt gegen Völkerrecht
Amnesty International klagt die ukrainische Armee an, Selensky beklagt Opfer-Täter-Umkehr
Schwere Vorwürfe von Amnesty International (AI): Die Menschenrechtsorganisation warf der ukrainischen Armee am 4. August vor, sie errichte Stützpunkte in Wohngebieten und setze dort Waffensysteme gegen den russischen Aggressor ein. Diese Kampftaktik gefährde Zivilpersonen und verstoße gegen das humanitäre Völkerrecht.
AI hat zwischen April und Juli russische Angriffe in den Regionen Charkiw und Mykolajiw von ausländischen Forschern und Wissenschaftlern der Crisis Response Department des globalen Büros von AI untersuchen lassen. In 19 Städten und Dörfern fanden sich laut AI Belege dafür, „dass ukrainische Truppen aus dicht besiedelten Wohngebieten heraus Angriffe durchführten und Stützpunkte in zivilen Gebäuden einrichteten“.
Laut AI hatte die ukrainische Armee in Schulen und Krankenhäusern Position bezogen. Die russische Armee habe bei ihren Angriffen auf diese Stützpunkte verschiedenen Waffen einschließlich international geächteter Streumunition oder anderen explosiven Waffen mit großflächiger Wirkung eingesetzt habe. Dabei seien Zivilpersonen getötet und zivile Infrastruktur zerstört worden.
Die Ergebnisse der Untersuchung beruhen auf Angaben von Zeugen und Angehörigen von Opfern sowie der Auswertung von Satellitenaufnahmen. „Dass sich die Ukraine in einer Verteidigungsposition befindet, entbindet das ukrainische Militär nicht von der Pflicht, sich an humanitäres Völkerrecht zu halten“, sagte Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International.
Auch Janine Uhlmannsiek, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland, rügt auf der deutschen Webseite von AI das Vorgehen der Ukraine. Sie betont aber: „Gleichzeitig rechtfertigen die ukrainischen Verstöße in keiner Weise die vielen wahllosen Schläge des russischen Militärs mit zivilen Opfern, die wir in den vergangenen Monaten dokumentiert haben. Wahllose Angriffe, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet werden, sind Kriegsverbrechen.“
AI erklärte, sie habe dem ukrainischen Verteidigungsministerium am 29. Juli die Ergebnisse der Untersuchung vorgelegt, aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Reaktion erhalten. Die kam dafür sofort danach: In seiner täglichen Ansprache sagte Ukraines Präsident Wolodymyr Selensky, AI wolle „eine Amnestie für den terroristischen Staat erlassen und die Verantwortung vom Aggressor dem Opfer zuschieben“. Es könne nicht toleriert werden, dass „jemand einen Bericht anfertigt, in dem Opfer und Angreifer gewissermaßen auf eine Stufe gestellt werden, wenn gewisse Dinge über das Opfer analysiert und die Taten des Angreifers ignoriert werden“.
Oksana Pokalchuk, Leiterin des ukrainischen Büros von Amnesty International, trat zurück. Sie hatte AI vergeblich gebeten, den „unseriösen Bericht“ zurückzuhalten. Die Argumente ihres Teams „über die Unzulässigkeit und Unvollständigkeit solchen Materials“ seien nicht berücksichtigt worden, schrieb sie via Facebook. PHK
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