Russland: Fürchtet euch nicht
Vizekanzler und Kanzlerkandidat Olaf Scholz über seine Ideen einer neuen Russlandpolitik
In einem Webinar der Deutschen Gesellschaft für Internationale Politik (DGAP) über seine außen- und sicherheitspolitischen Positionen hat SPD-Kanzlerkandidat und Vizekanzler Olaf Scholz kritisiert, dass kein Treffen auf europäischer Ebene mit Putin zustande kommt. „Wenn sich die Dinge ändern sollen, dann müssen auch noch Brücken und Gesprächskanäle da sein, um wieder zu einem besseren Verhältnis zu kommen.“
Er mache sich keine Illusionen über die derzeitige russische Politik, sagte Scholz. „Man wird sich viele unterschiedliche Dinge zu sagen haben und auch Klartext sprechen müssen. Aber das spricht nicht dagegen, miteinander zu diskutieren.“
Zu einer gemeinsamen europäischen Sicherheitspolitik gehöre die „Bereitschaft, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen“. Es sei „befremdlich, wenn schon das bloße Verstehenwollen in so mancher Debatte über Russland diskreditiert wird“.
Der Kernsatz der Ostpolitik Willy Brandts gelte noch: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“. Es könne aber „keine deutsche, sondern nur noch eine europäische Ostpolitik geben“.
Denn: „Sicherheit haben die Völker und Nationen Europas nur, wenn sie wissen, dass, egal was auch immer geschieht, niemand versucht, die Territorien zu verschieben. Wir nicht, aber andere eben auch nicht. Das muss neu klargestellt werden. Das wäre Bestandteil einer neuen europäischen Ostpolitik und sehr, sehr, sehr erforderlich“. Es gelte das „Prinzip unverletzlicher Grenzen, zu dem auch Russland sich einst verpflichtet hat“.
Kritik und Selbstkritik
Dass es auf Dauer keine Sicherheit in Europa ohne Russland geben könne, sei richtig, „aber es kann auch keine Sicherheit in Europa geben, ohne dass das Prinzip unverletzlicher Grenzen wieder seine uneingeschränkte Gültigkeit hat“.
Natürlich könne man immer fragen, ob in der Vergangenheit im Umgang mit Russland Fehler gemacht worden seien. „Aber nichts rechtfertigt die Verschiebung von Grenzen, die Annexion von ukrainischem Staatsgebiet und die Destabilisierung von Demokratien in Europa und anderswo.“
Scholz bedauerte die „Renaissance eines Großmachtdenkens, eines Denkens in Einflusssphären und Abhängigkeiten“. Autoritäre Systeme nutzten die Schwächen offener Gesellschaften und multilateraler Systeme aus, „um uns zu spalten“.
Auch im neuen Wettbewerb der Systeme müsse die Stärke des Rechts gelten, nicht das Recht des Stärkeren. Europa müsse in der Sicherheitspolitik handlungsfähiger werden. Dazu brauche es Mehrheitsentscheidungen und gemeinsame militärische Fähigkeiten.
Die EU müsse „klare Standards definieren und sagen, welche Regeln zu gelten haben für den, der mit uns Handel treiben will“. Die Nato nannte Scholz „unverzichtbares Verteidigungsbündnis“. Er wolle keinen „Deglobalisierungswettlauf“ und warne vor „Decouplingfantasien“. Gerade im Verhältnis zu Russland sei Multilateralismus erforderlich, ein gemeinsames europäisches Agieren, wie das bezüglich der Ukraine geschehen sei.
Gegenüber Russland seien zwei Botschaften auszusenden: „Wenn ihr euch fürchtet vor den offenen Gesellschaften des Westens und der europäischen Union, weil ihr glaubt, dass das sich wie ein Virus verbreiten kann, dann können wir euch nicht helfen.“ Russland könne sicher sein, dass Europa außer friedlicher Kooperation kein Szenario habe, um mit Macht Einfluss zu nehmen auf die Entwicklung im Osten Europas und vor allem in Russland selber. „Die Demokratie wird auch in Russland von den Bürgerinnen und Bürgern Russlands geschaffen.“
Das ganze Gespräch ist zu sehen und zu hören auf Youtube.