Die globale Expansion der Nato
Die militärischen Ambitionen der Nato und ihre Risiken. Eine pazifistische und feministische Sicht
Weit davon entfernt, eine Kraft für Frieden und die Verteidigung der Demokratie zu sein, bleibt die Nato eine nuklearwaffenbesitzende Militärallianz, deren Agieren Krieg, globale Ungerechtigkeit, Ungleichheit, und Brutalität erzeugt. Seit dem Ende des Kalten Kriegs hat die Organisation sowohl ihre Einflusssphäre als auch die Reichweite ihrer Aktivitäten ausgedehnt, und damit die internationalen Beziehungen destabilisiert.
Der Krieg in der Ukraine, welcher durch Russland vom Zaun gebrochen, aber durch die Nato in vieler Hinsicht provoziert wurde, hat wiederum die Aktivitäten der Allianz in Europa bedeutend erhöht, und gleichzeitig auch zu einer gesteigerten Präsenz in der Asien-Pazifik-Region und anderen Teilen der Welt geführt.
Die Expansion der Nato
Die Wahrheit ist, dass der militärische Expansionismus der Allianz die Kriegswahrscheinlichkeit erhöht, und uns alle weniger sicher macht. Am Ende des Kalten Kriegs wurde der Warschauer Parkt aufgelöst, die Nato aber nicht. Anstatt ihre globale militärische Präsenz einzuschränken, waren die USA aktiv, um die von ihrem alten Rivalen aufgegebenen Positionen selbst zu füllen.
Während die Länder Osteuropas die Ökonomie des freien Markts und Mehrparteiensysteme annahmen, zielten die USA sehr schnell darauf ab, diese Länder – darunter auch einige ehemalige Sowjetrepubliken – über die Nato auch in ihre militärische Einflusssphäre zu integrieren. Diese Expansion hat zur Steigerung der internationalen Spannungen beigetragen, da Russland sich immer mehr durch Nato- und US-Militärbasen umringt sieht. In den letzten Jahren hat die Nato diese Situation verschlimmert, indem sie der Ukraine die Nato-Mitgliedschaft in Aussicht stellte, und Militärbasen in Osteuropa errichtete.
Die Nato greift sogar nach den Sternen
Aber die Aktivitäten der Nato beschränkten sich nicht nur auf die Expansion durch neue Mitgliedsländer. 1999 wurde bereits ein strategisches Konzept der Nato angenommen, das die bisherige Rolle der Nordatlantischen Allianz durch die Möglichkeit von offensiven „out of area“-Einsätzen erweiterte, die überall in Eurasien stattfinden können. Danach hat sich die Nato eine immer mehr globale Rolle angemaßt, und sich oft als Kraft für humanitäre Hilfe inszeniert.
Der Krieg der Allianz in Afghanistan hat 20 Jahre gedauert. Nunmehr greift die Nato auch nach Lateinamerika aus, wo Kolumbien jetzt als „Globaler Partner“ auserkoren wurde. Die Nato-Militärmaschinerie hat auch Afrika erreicht, wo Libyen 2011 zerstört wurde – mit schrecklichen Folgen. Die Nato führte im letzten Jahrzehnt schon Operationen am Horn von Afrika aus, und versucht jetzt durch Kooperationen mit der Afrikanischen Union dort weiter Fuß zu fassen. Unlängst wurde sogar der Weltraum zu einer Operationssphäre für die Allianz erklärt – man greift sogar nach den Sternen.
Die Nato ist eine atomare Militärallianz mit drei Nuklearwaffenstaaten als Mitgliedern – den USA, Großbritannien und Frankreich. Zusätzlich sind weiterhin rund 150 Atombomben vom Typ B61 in fünf Ländern Europas stationiert – in Belgien, den Niederlanden, Italien, Deutschland und der Türkei und es scheint so, als ob solche Waffen künftig auch in Großbritannien gelagert werden sollen.
Die B61 sind sogenannte taktische Atomwaffen, die gebraucht werden würden, sollte die Nato in den Krieg in der Ukraine eingreifen. Sie haben die rund 20-fache Sprengkraft der Hiroshima-Atomwaffe. Die Konsequenzen eines Einsatzes von Waffen mit solcher Wirkung werden sich nicht auf die Ukraine begrenzen lassen.
Fokus auf Russland und China
Auf dem Nato-Gipfel in Madrid im Juni 2022 beschloss die Allianz abermals ein erneuertes strategisches Konzept, in dem im Kontext des Ukrainekriegs offen die globalen Ambitionen der Organisation formuliert werden. Es gibt eine Intensivierung des Fokus auf Russland und dessen „Eindämmung“, vor allem mithilfe einer substanziellen Verstärkung der militärischen Präsenz an dessen Grenzen in Osteuropa. Zur gleichen Zeit wird die langfristige Orientierung fortgeführt, die Nord-Atlantische Vertragsorganisation auch am militärischen Aufmarsch gegen China zu beteiligen.
Die Nato betont nunmehr gleichzeitig die politische Dimension der Allianz, mit politischer Einheit und Geschlossenheit in der Frage, wie der Westen seine globale Dominanz in Zeiten des ökonomischen Aufstiegs von China erhalten kann. Die Antwort des Bündnisses ist, dass es die Volksrepublik China nun als Rivalen im kompletten Spektrum aller politischen Sphären behandelt, und eben nicht nur als ökonomischen Wettbewerber.
Expansionismus im Militärischen
Die Gefahr ist, dass ein solcher Expansionismus im Militärischen, der Russland schon in die Enge getrieben hat, nun auch gegen China angewendet werden soll. Eine solche Strategie wird nicht helfen, einen Krieg zu verhindern, sondern wird die Gefahr beinhalten, dass damit ein Krieg ausgelöst wird. Zusammen mit der um sich greifenden Militarisierung in den Gesellschaften der Nato-Staaten deuten die Beschlüsse von Madrid auf sich vertiefende Vorbereitungen für einen großen Krieg hin – in Europa oder sogar darüber hinaus.
Die Nato ist und bleibt ein negativer Faktor – über all das Gesagte hinaus auch, weil sie ein riesiger Werteverschwender in den Gesellschaften ihrer Mitgliedstaaten ist, und ihre Militärmaschinerie ein gigantischer CO2-Emittent. Sie sollte nicht ausgedehnt – sondern aufgelöst werden: In den 1980er-Jahren wurde statt des Prinzips Nato mit entscheidender Mithilfe des großen schwedischen Staatsmanns Olof Palme das Prinzip der gemeinsamen Sicherheit geboren: dass kein Staat sicher sein kann, wenn nicht sein Nachbar denselben Grad an Sicherheit verspürt.
Wann, wenn nicht jetzt ist die Zeit dieses Prinzips. Europa und die Welt brauchen keine Nato und keine fortwährende Militarisierung.
Kate Hudson ist Historikerin und Autorin, Generalsekretärin der Kampagne für Nukleare Abrüstung (UK) und Vorstandsmitglied des Internationalen Friedensbüros (IPB). / Aus dem Englischen von Thomas Kachel.
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"Grande Nation: Frankreich heute"
Dezember 2022, Nr. 194