„Russland ist oft Teil des Problems, nicht der Lösung“

Fragen an Frank Priess

Koordinator der Arbeitsgruppe Politik des Petersburger Dialogs

 

Wo stehen wir im deutsch-russischen Verhältnis?

Das deutsch-russische Verhältnis durchläuft derzeit eine sehr schwierige Phase, viele Beobachter sprechen davon, es sei so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Argumente dafür gibt es viele. Bei vielen gegenwärtigen Konflikten sind die Positionen der beiden Länder kontrovers:

Dies beginnt beim ungelösten Konflikt in der Ostukraine, ganz zu schweigen von der fortgesetzten völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und entsprechend fortbestehenden Sanktionen.

In Belarus baut sich die nächste Konfrontation auf.

Im Nahen Osten und Nordafrika wird Russland als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung, vor allem aber als destruktiv gesehen, wenn es um multilaterale Lösungsversuche geht.

Ähnlich destruktiv erscheinen Versuche, Keile in die Europäische Union zu treiben. Im Schulterschluss mit China zeigt sich Russland im UN-Sicherheitsrat als eine „westlichen“ Positionen entgegenstehende Macht.

Dazu kommen ganz offenbar auf russische Regierungs- und Sicherheitskreise zurückgehende Attentate im Ausland – der Fall Skripal ist ebenso präsent wie der aktuell verhandelte Fall des „Tiergarten-Mordes“ – und eine Verfolgung von Oppositionellen und Zivilgesellschaft im Inland. Auch deutsche Organisationen leiden unter dem russischen NGO-Gesetz und seiner Anwendung, was russischen Verpflichtungen zum Beispiel im Rahmen des Europarats entgegensteht.

 

Nach 30 Jahren Vernunftehe scheint die deutsch-russische Liaison zerrüttet. Lohnt sich eine Mediation?

Vor diesem Hintergrund ist schwer zu sehen, wie und wo Mediationen zu einer Annäherung der Positionen führen könnten; entsprechende Signale aus Russland sind jedenfalls nicht zu empfangen. Das heißt umgekehrt nicht, dass man mit dem Engagement für Annäherung und Ausgleich nachlassen sollte. Ein wichtiges Aktionsfeld sind dabei sicher Bemühungen um Rüstungsbegrenzungen.

Hoffnung lässt sich zudem aus dem nach wie vor intensiven Austausch der Zivilgesellschaften ziehen, etwa bei den Städtepartnerschaften oder einem dringend zu intensivierenden Jugendaustausch. Auch Megathemen wie die Folgen des Klimawandels berühren beide Länder in gleicher Weise und bieten Potential für punktuelle Kooperationen unterhalb des allgemeinen Konfliktradars.

 

Was wird das wichtigste Thema Ihrer Arbeitsgruppe im kommenden Jahr?

Entsprechend liegen auch die Schwerpunkte für den künftigen Dialog in der Arbeitsgruppe Politik auf der Hand, in Kontinuität der bereits begonnenen Beratungen anhand eines von russischer Seite zuerst artikulierten „Zehn-Punkte“-Katalogs, der die zentralen Fragen enthält: Rüstungsbegrenzungen, Befriedung von Konflikten in der gemeinsamen und der südlichen Nachbarschaft, Bekämpfung des internationalen Terrorismus, gemeinsame Anstrengungen zur Bewältigung der großen Menschheitsfragen. Aktuell ist dazu sicher die der fortdauernden Corona-Pandemie und globaler Gesundheitsfragen zu rechnen. Lohnend erscheint auch eine Betrachtung des Verhältnisses beider Länder zu China.

 

Wagen Sie eine Prognose: Wie sieht das deutsch-russische Mit- oder Gegeneinander in zehn Jahren aus?

Persönlich bin ich mit Blick auf die kommenden zehn Jahre – trotz aktueller und vielfältiger Disruptionen eigentlich ja ein vergleichsweise überschaubarer Zeitraum – für die deutsch-russischen Beziehungen nicht sehr optimistisch. Ein verbessertes bilaterales Verhältnis würde voraussetzen, dass sich nicht zuletzt die Beziehungen Russlands zu seinen EU-Nachbarn im Baltikum und in Polen verbessern; russische Hoffnungen und die entsprechenden Arbeit an Tendenzen für einen deutschen Sonderweg halte ich nicht für vielversprechend, auch sind sie nicht im deutschen Interesse.

Ein Machtwechsel in Russland, zu dem es in den kommenden zehn Jahren kommen kann, hieße nicht unbedingt Wende zum Besseren. Aktuelle und vielleicht auch künftige Strukturen lassen befürchten, dass man die liberale Demokratie im Westen weiterhin als Systemkonkurrenz und im Gegensatz zu eigenen Interessen wahrnimmt, was die Juniorpartner-Rolle im Schulterschluss mit China attraktiver erscheinen lässt als die „Modernisierungspartnerschaft“ mit der Europäischen Union.

Auch scheint mir, dass die russische Führung mit den aktuellen „Konfrontationserfolgen“ durchaus zufrieden ist: Die „frozen conflicts“ sichern Einfluss und die heißen Konflikte sind ebenfalls nicht gerade Anlass für den Schwenk zu einem kooperativeren Kurs. Ob wirtschaftliche Probleme – die rohstoffbasierte Wirtschaftsstruktur stößt ja erkennbar an Grenzen – das ändern, ist eine offene Frage.

Ich fürchte, dass die Treiber der entgegensetzten Wünsche in der russischen Gesellschaft, gerade in der jungen Generation, sich als zu schwach erweisen, Veränderungen durchzusetzen. Gemeinsam daran zu arbeiten lohnt sich aber in jedem Fall.

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