Der Preis der Energie

Fossile Brennstoffe kommen Mensch und Umwelt teuer zu stehen

von Michael Wilhelmi

Alexander Müller vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen legte den Finger in die Wunde: „Die fossilen Energieträger sind nur wettbewerbsfähig, weil ihre vollen Kosten für das Natur- und Humankapital ausgeblendet werden.“ Die Arbeitsgruppe Ökologische Modernisierung betrachtete mit ihren Koordinatoren Ralf Fücks und Sergej Zypljonkow diese Kosten genauer. Der Workshop am 19. Februar analysierte die ökonomischen, ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der fossilen Energiewirtschaft in Russland. Das Fazit war eindeutig: Die Schäden durch Förderung und Nutzung von Kohle, Erdöl und Erdgas sind immens.

Bedroht: Klima, Umwelt, Gesundheit

Georgij Safonow von der Higher School of Economics in Moskau und Wladimir Tschuprow von Greenpeace Russland lieferten mit einem ausführlichen Factsheet die Daten und Fakten für die Diskussion: Der fossile Brennstoffsektor in Russland sei für etwa 80 Prozent des CO2-Gesamtausstoßes, für fast 70 Prozent des Abfalls und für mehr als 60 Prozent der Luftverschmutzung im Land verantwortlich. Die belastete Luft verursache pro Jahr mindestens 40 000 Todesfälle und bis zu 370 000 Erkrankungen. Dramatisch sei auch die Wasserverschmutzung: 2019 wurden mehr als 17 000 Ölunfälle gezählt.

Der Anteil der russischen Treibhausemissionen an der weltweiten menschengemachten Erderwärmung werde auf 6,2 Prozent geschätzt; der deutsche Anteil liege bei 3,9 Prozent.

Die Folgen des Klimawandels seien in Russland deutlich spürbar: Hitze- und Kältewellen erhöhen die Sterblichkeit; Permafrostböden tauen und Gletscher schmelzen; die Landwirtschaft leidet unter Ernteschäden und -ausfällen; Hochwasser und Waldbrände verursachen hohe wirtschaftliche Verluste.

Den volkswirtschaftlichen Schaden der Umweltzerstörung bezifferte der Leiter des Lehrstuhls für Umweltwirtschaft an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität Sergej Bobyljow auf bis zu 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und bis zu 15 Prozent, wenn die gesundheitlichen Folgen eingerechnet werden.

Dass es in der russischen Gesellschaft durchaus ein Bewusstsein für die Missstände gibt, legte Sergej Zypljonkow dar. Einer Umfrage aus dem Jahr 2020 zufolge bereite der Klimawandel 83 Prozent der Befragten Sorge, 69 Prozent seien der Ansicht, dass der Klimawandel vom Menschen verursacht ist und 47 Prozent meinten, dass Staat und Gesellschaft mehr für den Schutz des Klimas tun müssen. Zypljonkow verwies auch auf die teilweise großen Umweltproteste wie 2019 gegen den Bau einer Mülldeponie im Gebiet Archangelsk oder 2020 gegen den Kalksteinabbau am Berg Kutau in der Teilrepublik Baschkortostan. Müll, belastete Luft und Wasserverschmutzung seien für die Menschen drängende Themen.

Methanausstoß und CO2-Bindung

Ralf Fücks fragte in der weiteren Diskussion nach dem Anteil der Energieindustrie an den besonders klimaschädlichen Methanemissionen und nach der Rolle der russischen Wälder als CO2-Senken.

Andrej Tronin, Direktor des Petersburger Forschungszentrums für Umweltsicherheit, erläuterte, dass das bei der Kohle-, Öl- und Gasförderung entweichende Methan eine untergeordnete Rolle spiele. Hauptemittenten seien die tauenden Permafrostböden und die Sümpfe im Norden Russlands, wo mit steigenden Temperaturen der Methanausstoß wachse. Grundsätzlich sei es schwierig, natürliche und anthropogene Methanemissionen zu unterscheiden. Wenn es wie in Westsibirien in einer Förderregion auch Sümpfe gebe, sei es kaum möglich, die Quellenanteile aufzuschlüsseln.

Georgij Safonow ergänzte, dass die Methanentweichungen in der Kohle-, Öl- und Gasindustrie 2018 nach offiziellen Angaben bei 279 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten lagen. Neben Lecks in Pipelines sei das Abfackeln von Begleitgas, bei dem unverbranntes Methan in die Atmosphäre gelangt, eine wesentliche Emissionsquelle.

Tronin führte weiter aus, dass die Rolle der russischen Wälder für das Klima von Jahr zu Jahr betrachtet werden müsse: In Jahren mit einem „normalen“ Ausmaß von Waldbränden binde Russland mit seinen Wäldern CO2, in Jahren mit großen Waldbränden sei Russland hingegen Emittent.

Gesucht: neue ökonomische Modelle

Felix Jaitner, Projektleiter beim Deutsch-Russischen Austausch, plädierte dafür, nicht nur die ökologischen Kosten des russischen Wirtschaftsmodells in den Blick zu nehmen, sondern die Diskussion stärker auf die Frage auszurichten, welche ökonomischen Sektoren in Russland künftig entwickelt werden könnten. Mit den aus dem Rohstoffsektor generierten Einnahmen würden schließlich auch Bildungswesen und Sozialprogramme finanziert. Die Frage sei, ob die ökologische Modernisierung auch mit einer technologischen einhergehen und Russland sich von einem „braunen“ Rohstoffexporteur zu einem „grünen“ ‒ etwa für Wasserstoff ‒ wandeln könnte? Der Fokus müsse darauf liegen, eine solche Entwicklung anzustoßen und zu überlegen, wie diese voranzutreiben sei.

Ralf Fücks unterstrich, dass es natürlich um Alternativen gehe. Keine Volkswirtschaft könne sich auf einen Weg nach unten begeben. Das Ziel der gemeinsamen Diskussion sei es, eine genauere Vorstellung von Möglichkeiten für eine ökologische Transformation in Russland zu entwickeln, die nicht zu einem dramatischen Einbruch führt. Dabei gehe es nicht darum, Lehren aus Deutschland zu erteilen, sondern um einen produktiven Dialog, in dem Erfahrungen und Wissen geteilt werden: „Klimawandel ist nicht national, und wir haben alle ein großes Interesse daran, Sie auf dem Weg in eine klimafreundliche, nachhaltige und gleichzeitig zukunftsfähige Ökonomie zu unterstützen.“

Nichts verpassen!

Tragen Sie sich hier ein für unseren wöchentlichen Newsletter: