„Auch eine politische Wiederannäherung ist möglich“

Fünf Fragen an Johannes Oeldemann

Koordinator der Arbeitsgruppe Kirchen in Europa des Petersburger Dialogs

 

 

Wo stehen wir im deutsch-russischen Verhältnis?

Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland stehen zur Zeit sicherlich in der schwierigsten Phase seit der Wiedervereinigung Deutschlands und dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Vordergründig sind der Anschluss der Krim und der Krieg in der Ostukraine ursächlich für die derzeit angespannte Situation. Im Hintergrund steht aber ein bereits länger andauernder Entfremdungsprozess, der bereits vor zwölf Jahren begann, als der Vorschlag des damaligen russischen Präsidenten Dmitri Medwedew (bei seiner Berliner Rede im Juni 2008), ein neues gesamteuropäisches Abkommen in Nachfolge der Helsinki-Schlussakte zu erarbeiten, ungehört verhallte.

Was die deutsche Außenpolitik heute mit ihrer „Allianz für den Multilateralismus“ favorisiert, wurde damals von russischer Seite angeboten, aber nicht aufgegriffen. Die Folge war eine schleichende Entfremdung, vor allem auf politischer Ebene.

Trotzdem gibt es immer noch enge Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, nicht nur im wirtschaftlichen, sondern vor allem auch im kulturellen und zivilgesellschaftlichen Bereich. Damit ist ein Fundament für das deutsch-russische Verhältnis gelegt, auf dem auch eine politische Wiederannäherung gedeihen kann.

 

Nach 30 Jahren Vernunftehe scheint die deutsch-russische Liaison zerrüttet. Lohnt sich eine Mediation?

Ja, eine Mediation lohnt sich auf jeden Fall. Das Verhältnis ist zwar auf politischer Ebene zerrüttet, nicht aber im Blick auf die zwischenmenschlichen Kontakte zwischen Deutschen und Russen.

Dennoch frage ich mich, ob „Mediation“ der richtige Begriff beziehungsweise die richtige Methode ist, um das deutsch-russische Verhältnis wieder zu verbessern. Denn eine Mediation zwischen Konfliktparteien bedeutet, dass ein unabhängiger Dritter die beiden Seiten bei der Lösung ihres Konflikts begleitet. Einen dritten (staatlichen) Akteur einzubeziehen, macht aus meiner Sicht jedoch keinen Sinn.

Daher würde ich den Begriff Mediation eher in einem übertragenen Sinne interpretieren, dahingehend dass die zivilgesellschaftlichen Akteure auf beiden Seiten, wie sie gerade im Petersburger Dialog versammelt sind, treibende Kräfte im Blick auf eine Mediation bzw. Vermittlung auf politischer Ebene sein könnten.

 

Was trennt, was eint Russen und Deutsche heute?

Trennendes sehe ich vor allen Dingen im politischen System der beiden Staaten, das kurz- und mittelfristig nicht in Übereinstimmung zu bringen sein wird. Was Deutsche und Russen eint, ist vor allem die Geschichte, in der sich trotz der beiden Weltkriege eine tiefe Verbundenheit und gegenseitige Wertschätzung im Blick auf die Kultur, die Religion, die Werte und die Philosophie der jeweils anderen Seite zeigen. Diese gemeinsame Geschichte ist der Wurzelgrund, auf dem auch neue Triebe wachsen und gedeihen können.

 

Was wird das wichtigste Thema Ihrer Arbeitsgruppe im kommenden Jahr?

Die Arbeitsgruppe Kirchen wird sich im Jahr 2021 zunächst mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das kirchliche und gesellschaftliche Leben in Deutschland und Russland befassen. Hier stehen beide Seiten vor ähnlichen Herausforderungen. Wir werden uns austauschen, wie wir damit umgegangen sind und welche Lösungswege wir versucht haben.

Außerdem möchten wir zwei Themen aufgreifen, die „coronabedingt“ in diesem Jahr nicht besprochen werden konnten. Das betrifft zum einen die Rolle des christlichen Glaubens in einem säkularen gesellschaftlichen Kontext und zum anderen die schwierige Situation der Christen im Nahen Osten und das Engagement der Kirchen in Deutschland und Russland, sie in dieser Lage zu unterstützen.

 

Wagen Sie eine Prognose: Wie sieht das deutsch-russische Mit- oder Gegeneinander in zehn Jahren aus?

Ich bin guter Hoffnung, dass wir vom derzeitigen Gegeneinander wieder zu einem stärkeren Miteinander finden werden. Diesen Optimismus schöpfe ich aus den vielfältigen Beziehungen auf der zivilgesellschaftlichen Ebene.

Dabei denke ich an die zahlreichen Städtepartnerschaften zwischen Deutschland und Russland sowie den Austausch von Studierenden, für den es hoffentlich in absehbarer Zeit Visaerleichterungen geben wird. Aber ich möchte auch auf die vielfältigen Beziehungen zwischen den Kirchen in Deutschland und Russland verweisen. Es gibt sie nicht nur auf der Ebene offizieller theologischer Gespräche der Russischen Orthodoxen Kirche mit der Evangelischen Kirche in Deutschland und der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, sondern auch über die Stipendienprogramme von evangelischer und katholischer Seite, mit deren Hilfe orthodoxe Studierende in Deutschland studieren können, oder die von der Arbeitsgruppe Kirchen des Petersburger Dialogs organisierten Studienreisen für Doktoranden der Theologie, die jungen Menschen aus Deutschland und Russland einen Einblick in das kirchliche Leben des jeweils anderen Landes ermöglichen.

Gerade die Kontakte unter der jungen Generation, die von ihnen wie selbstverständlich auch auf digitaler Ebene weitergeführt werden, stimmen mich zuversichtlich, dass die historisch gewachsenen engen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland auch in der Zukunft tragfähig sein werden.

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