Lautlose Stille zwischen Brüssel und Moskau
Ist die Sprachlosigkeit überwindbar, und was kann man ihr entgegenhalten?
Am 19. Januar veröffentlichte die FAZ einen Gastbeitrag des Stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Johann David Wadephul, der auch in KARENINA erschienen ist. Wadephul forderte, die Sprachlosigkeit zwischen Brüssel und Moskau zu überwinden; Deutschland sollte dazu den Anstoß geben. Hier nun die Antwort von Pawel Sawalny, Vorsitzender des Energieausschusses der Staatsduma und Koordinator der Parlamentariergruppe für die Beziehungen zum deutschen Bundestag.
Ich kann das Urteil des geschätzten Kollegen Johann David Wadephul nur bestätigen: In der Tat haben die Beziehungen zwischen Russland und Europa schon bessere Zeiten gekannt. Es herrscht nicht einfach lautlose Stille, es ist schlimmer: Vertrauen und gegenseitige Verständigung scheinen komplett eingebüßt, selbst ein simples Gespräch kommt nicht mehr zustande.
Unsere Einschätzungen der im Artikel erwähnten Gründe für diese Funkstille fallen allerdings diametral entgegengesetzt aus. So sind, unserer Meinung nach, die Anschuldigungen gegen Russland, es handle angeblich rechtswidrig, unbegründet und dementsprechend unberechtigt. Der fehlende Wunsch, mit unseren Rechtsschutzorganen vollwertig zusammenzuarbeiten, scheint demonstrativ und exemplarisch zu sein.
Ich bin zutiefst überzeugt, dass die Schuld an der Verschärfung des ukrainischen Problems zum Teil auch der kollektive Westen trägt, indem er die Ukraine vor die Wahl „entweder wir oder Russland“ stellte. Die Suche nach einer Antwort auf diese Frage führte zur Spaltung der ukrainischen Gesellschaft und Verschärfung der innenpolitischen, später auch der außenpolitischen Situation, und im Endeffekt zur Radikalisierung nationalistischer Tendenzen in der Ukraine. Dies hatte sowohl die militärische Konfrontation im Osten des Landes als auch das Bestreben der Krim, sich Russland anzuschließen, zur Folge.
Ja, das ukrainische Problem muss in Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Verträgen geregelt werden. Aber die Sprache der Ultimaten ohne Berücksichtigung der Interessen der russischsprachigen Bevölkerung im Osten des Landes ist inakzeptabel.
Genauso inakzeptabel ist für uns die Erweiterung der NATO in Richtung unserer Grenzen, die so hartnäckig von unseren amerikanischen Partnern vorangetrieben wird. Ich bin überzeugt, dass diese Hartnäckigkeit Risiken nicht nur für Russland, sondern auf für die Sicherheit von Europa selbst in sich trägt, weil sie die Eskalation von internationalen Spannungen fördert und genau diese finstere, lautlose Stille generiert.
Wir danken Deutschland für seine ausgewogene Position in der Frage der NATO-Erweiterung. Aber es klafft zwischen Moskau und Brüssel im Bereich politischer Einschätzungen tatsächlich ein Abgrund, und ich sehe offen gestanden keine Mittel, diesen kurzfristig überwinden zu können.
Energiewirtschaft als Stütze der Zusammenarbeit
Auf der anderen Seite zeigt unsere gemeinsame historische Erfahrung, dass wirtschaftliche Zusammenarbeit und humanitärer Dialog auch in den Zeiten der Konfrontation von militärpolitischen Bündnissen möglich sind, wenn Realismus, nachhaltige Entwicklung und Interessen der Menschen die zentrale Rolle spielen. Deutschland trat im Dialog zwischen Russland und Europa immer als Wegbereiter und treibende Kraft auf.
Die Geschichte der deutsch-russischen wirtschaftlichen Partnerschaft zählt mehrere Jahrzehnte, sogar ein ganzes Jahrhundert, wenn man die Zeit vor 1917 berücksichtigt. Die Funktion einer Brücke oder einer Stützkonstruktion, auf der Russland und Deutschland ihre gegenseitig vorteilhaften Beziehungen aufbauen konnten, übernahm unter anderem auch die Energiewirtschaft.
Wichtige Rolle bei der Absicherung wirtschaftlicher Erfolge und globaler Wettbewerbsfähigkeit unserer Länder spielen gemeinsame Projekte, Austausch von Aktiva, langjährige und bewährte Lieferverträge für Energieträger, vor allem Erdgas. Deswegen werden die Energieprojekte in letzter Zeit zur Zielscheibe für Drittländer, die an der Schwächung der Positionen Deutschlands und Russlands auf der Weltarena interessiert sind.
Ich bin überzeugt, dass die Energiewirtschaft auch künftig die Stützkonstruktion unserer Zusammenarbeit bilden kann. Die Klimaziele des Pariser Abkommens verleihen ihr eine neue Dimension. Das Erreichen dieser Ziele, gekoppelt mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung, ist ohne eine sichere, wirtschaftlich und ökologisch effiziente Energieversorgung unmöglich.
Politiker dürfen Geschäftskontakte nicht stören
Erneuerbare Energien zusammen mit kohlenstoffarmer Gaserzeugung sind in der mittelfristigen Perspektive ein Schlüssel dafür, hier ist und bleibt Raum für die Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland. Die Entwicklung von Wasserstofftechnologien eröffnet neue Möglichkeiten für wirtschaftliche, technische und wissenschaftliche Zusammenarbeit.
Ebenso überzeugt bin ich, dass Politiker die natürliche Entwicklung von Geschäftskontakten nicht stören dürfen. Hier bin ich mit Herrn Wadephul einverstanden: Unser gemeinsames strategisches Ziel soll die Schaffung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok bleiben. Dafür sind ein für beide Seiten ein komfortables Investitionsklima, der Abbau von bürokratischen Hürden und die Einhaltung von WHO-Normen nötig.
Wie kann man diese Ziele und Aufgaben mit politischen und wirtschaftlichen Sanktionen vereinbaren, welche die EU oftmals unter fadenscheinigen Vorwänden verhängt? Die Antwort ist eindeutig: auf keine.
Sind gewisse Alternativen, von denen der geschätzte Kollege schreibt, ohne Änderung des Ansatzes möglich? Da habe ich meine Bedenken.
Zusammenarbeit auch bei Corona
Was die Zusammenarbeit zwischen Russland und Europa sowie zwischen Russland und Deutschland bei der Bekämpfung der Pandemie anbetrifft, so scheint einerseits die Notwendigkeit einer solchen Zusammenarbeit offenkundig. Die Corona-Krise zeigte definitiv die Schwachstellen in den Gesundheitssystemen sämtlicher Länder, unsere Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit. Es wäre logisch, die Kräfte im Kampf gegen die Pandemie zu bündeln und die Zusammenarbeit in medizinischen, wissenschaftlichen und humanitären Bereichen zu erweitern.
Andererseits zeigte die Praxis, dass auch pandemiebedingte Herausforderungen manche Leute an der Verfolgung von ausschließlich eigenen Interessen nicht hindern können. Der sich vor dem Hintergrund der Erklärungen über den Wert des Menschenlebens entfaltende „Krieg der Impfungen“ ruft bei mir Ratlosigkeit und Bedauern hervor. Russland, das die Impfstoffe gegen das Coronavirus erfolgreich entwickelte, ist zum Zweck der schnellstmöglichen Überwindung der Pandemie nicht nur bei uns, sondern auch in anderen Ländern, darunter auch in der EU, zur Zusammenarbeit bereit und bietet seine Impfstoffe zur Zulassung, zur Produktion und zum Einsatz an.
Der Raum für wirtschaftliche und humanitäre Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern wurde also nicht unter dem Druck des politischen Stillschweigens beseitigt. Mehr noch: Er besitzt ein Potenzial für die Erweiterung. Sollten aber die Politiker weiterhin Intoleranz und Nichtbereitschaft zum Dialog an den Tag legen, ist dieses Potenzial nicht zu aktivieren.
Versuchen, einander zu verstehen
Wir können aufeinander zugehen und versuchen, einander zu verstehen. Fürs Erste braucht es nicht viel: die politischen, später auch die wirtschaftlichen Sanktionen aufheben, zumal diese die erklärten Ziele nicht erreichen, sondern nur zum Abbau unserer Beziehungen führen. Es ist notwendig, zu einer offenen und gegenseitig respektvollen Diskussion zurückzukommen, ohne Arroganz und Belehrung. Genau das – da bin ich mir sicher – wird von den Bürgern unserer Länder, von unseren Wählern erwartet.