Finnland und Schweden erwägen mehr Nato
Bedrohung Russland: Diskussionen in Europas Norden über Vertiefung der Nato-Partnerschaft
Wenn die russische Regierung mit ihren harten Forderungen im Vorfeld der Gespräche diese Woche den Boden bereiten wollte für mehr Rücksichtnahme auf russische Interessen, dann hat sie zumindest in Finnland und Schweden das Gegenteil erreicht. Anders als ihre nordischen Nachbarn Norwegen und Dänemark sind Finnland und Schweden nicht Mitglied der Nato. Die Staaten kooperierten in den vergangenen Jahren eng mit der Nato, haben aber eine lange Tradition der Bündnisfreiheit, die sie bislang auch stolz verteidigten.
Die zunehmend aggressive russische Haltung gegenüber der Ukraine und der im Dezember bekannt gewordene Forderungskatalog Moskaus sind nun sowohl in Finnland als auch in Schweden als „sicherheitspolitischer Sprengstoff“ (so die Stockholmer Zeitung Svenska Dagbladet) wahrgenommen worden. Sie haben eine Debatte entfacht über eine weitere Annäherung an die Nato, wie sie so leidenschaftlich seit Jahren nicht mehr geführt wurde.
Auch wenn ein Nato-Beitritt der beiden Staaten im Moment noch nicht auf der Agenda steht: Es fühlen sich nun jene ermutigt, die eben diesen fordern. Die finnische Zeitung Lapin Kansa sieht im eigenen Land den Beginn einer „furchtlosen Debatte über all die Themen, über die wir bisher zu schweigen pflegten“.
Es war ein Signal, dass Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Freitag kurz vor der Konferenz der Nato-Außenminister sowohl mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö als auch mit der schwedischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson telefonierte. Beide hatten in den letzten Tagen in klaren Worten verurteilt, was sie als inakzeptable russische Anmaßung empfinden.
Nato-Mitgliedschaft als Option
Zuerst hatten in Finnland sowohl Staatspräsident Niinistö als auch Ministerpräsidentin Sanna Marin ihre Neujahrsansprachen als Plattform gewählt, um klarzumachen, dass Finnland sich sehr wohl die Option auf eine Nato-Mitgliedschaft vorbehalte. „Die Möglichkeit eines militärischen Bündnisanschlusses und eines Antrags auf Nato-Mitgliedschaft“, erklärte Präsident Niinistö, „gehört zu Finnlands Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit, wenn wir uns denn dafür entscheiden.“
Sanna Marin sagte, Finnland habe aus der Vergangenheit gelernt: „Wir lassen uns unseren Handlungsspielraum nicht nehmen.“ Finnland teilt eine 1340 Kilometer lange Grenze mit Russland und hatte während des Kalten Kriegs Moskauer Interessen lange einen Einfluss auf seine Außenpolitik zugestanden, sieht sich aber spätestens seit seinem Beitritt zur Europäischen Union 1995 fest im westlichen Lager verankert.
Schwedens Regierungschefin Magdalena Andersson reagierte ein paar Tage später. Die europäische Sicherheitsarchitektur sei „nicht verhandelbar“, erklärte sie letzte Woche: „In Schweden entscheiden wir selbst, mit wem wir kooperieren.“ Am Freitag ging Andersson noch einen Schritt weiter und kündigte auf Twitter eine „Vertiefung der Partnerschaft zwischen Schweden und der Nato“ an.
Zu Aufregung hatte in Schweden und in Finnland nicht nur die von Russland geforderte Absage an jede Nato-Erweiterung nahe seiner Grenzen geführt, sondern auch die Forderung, wonach die Nato keine Truppen oder Waffen mehr in Ländern stationieren soll, die 1997 noch nicht Teil des Bündnisses waren. Der Oberbefehlshaber der schwedischen Streitkräfte, Micael Bydén, kommentierte den so skizzierten Kooperationsstopp vergangene Woche drastisch: Dieser würde „das sicherheitspolitische Fundament Schwedens zerstören“.
Die oppositionellen bürgerlichen Moderaten kritisierten die Regierung als zu zögerlich. Sich die Nato-Beitrittsoption lediglich offenzuhalten, genüge längst nicht mehr, sagte Moderaten-Sprecher Hans Wallmark: Man müsse den Beitritt nun beantragen. Er sprach von der „vielleicht gefährlichsten Herausforderung seit 50 Jahren“. Russland versuche erneut, ein Europa „von Vasallenstaaten und Pufferzonen“ einzurichten.
Finnland und Schweden nehmen seit Jahren an Übungen der Nato teil, kaufen Kampfflieger und andere Rüstungsgüter von den USA und ihren Nato-Partnern. Tatsächlich ist die Kooperation so eng, dass es schon vor Jahren über das Verhältnis der beiden offiziell neutralen Länder zum Bündnis hieß, es sei wie „rauchen ohne zu inhalieren“.
Pragmatische Grüne in Finnland pro Nato-Beitritt
Finnland ist mit seiner langen Grenze zu Russland so exponiert wie kaum ein zweites Land, dementsprechend vorsichtig hat das Land in der Vergangenheit Moskau gegenüber agiert. Helsinki hat die Kontakte nie abreißen lassen, Präsident Sauli Niinistö wurde bislang nachgesagt, einen vergleichsweise guten Draht zu Wladimir Putin zu haben. Nun hat Niinistö nach der Aufregung der letzten Tage nachgeschoben, er habe nur wiederholt, was er schon immer sage. Zuvor war seine Neujahrsansprache auch in Finnland von manchen als „sicherheitspolitische Wende“ (so die Zeitung Kaleva) verstanden worden.
Klar ist, dass in manchen Lagern etwas ins Rutschen zu kommen scheint. Befürworter eines Nato-Beitritts gab es in Finnland schon immer, etwa in der konservativen Nationalen Sammlungspartei (in der Bevölkerung stellen das Lager der Befürworter und der Gegner Umfragen zufolge im Moment jeweils knapp ein Drittel, ein weiteres Drittel ist unentschieden).
Die jüngsten Konvertiten etwa finden sich in der Grünen Partei, die auch Teil der Regierung ist. Der Abgeordnete und ehemalige Grünen-Vorsitzende Ville Niinistö schrieb in einem Essay, seine Partei solle sich im Verhältnis zur Nato ein Beispiel nehmen an den pragmatischen deutschen Grünen. Finnland könne sich vornehmen, „in den nächsten fünf Jahren“ Nato-Mitglied zu werden.
Sein Parteikollege Atte Harjanne machte es noch dringender: „Wann, wenn nicht jetzt?“, fragte der Grünen-Abgeordnete auf seinem Blog, „wir sollten die berühmte Nato-Option sofort einlösen.“ Angesichts des „bedrohlichen und irritierenden Nachbarn“ Russland reiche es nicht mehr, „nur an der Tür zu stehen“. Die finnischen Grünen wollen sich nun auf einem Parteitag im Mai neu positionieren.
Dieser Beitrag ist ursprünglich erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 9.1.2022 / Alle Rechte vorbehalten: Süddeutsche Zeitung GmbH, München