USA: Russland wundert sich
Großes Unverständnis über Sozialisten, Zuckerberg und die Frage, weshalb bei Gewalt zweierlei Maßstäbe angesetzt werden
Für das russische Fernsehpublikum ist es schwierig, im amerikanischen politischen Spiel die Logik zu verstehen.
Wahrscheinlich ist es nicht verwunderlich, dass Menschen, die die „Herrlichkeiten“ in der UdSSR erlebt haben, den Sieg des „Sozialisten“ Biden mit Skepsis sehen.
Nicht so leicht ist zu verstehen, warum die Erstürmer des Kapitols Staatsverbrecher sind, dagegen jene, die drei Monate zuvor Läden demolierten und plünderten, arme Unterdrückte sein sollen, die unser Mitleid verdienen.
Übrigens scheinen in Russland die Taten von Trumps Anhängern und die Reaktion des übrigen Amerika weniger bedeutend zu sein als die Reaktionen der internationalen IT-Giganten. Kritisiert werden weniger die Krawalle und Trumps Aufrufe an seine Anhänger als die Reaktion von Zuckerberg und Co. ihnen gegenüber. Die globalen Internetkonzerne, so sehen es viele Russen, haben sich über die Welt erhoben, sie diktieren souveränen Staaten und deren Präsidenten ihre Spielregeln und entziehen ihnen, wie im Fall von Donald Trump, das Recht auf freie Rede.
Die permanenten Anfeindungen westlicher Internetkonzerne halten viele Russen für die Ursache einer möglichen Nationalisierung des Internet-Raums.
Komisch erscheint ihnen allerdings auch, dass Trump nach all den antirussischen Sanktionen und dem zynischen Versuch der scheidenden Administration, Russland aus dem Projekt Nord Stream 2 zu drängen, plötzlich Moskaus offizielle Sympathie genießt.
Schwer zu verstehen ist schließlich, warum man einem scheidenden Präsidenten nachtrauern soll, wenn man es in einer Woche mit einem neuen zu tun hat.
Aus dem Russischen von Olga Kouvchinnikova und Ingolf Hoppmann.