EU: Frauen for Future

Eine „Gruppe der weisen Frauen“ soll für zukunftsgerechte Reformen in der EU sorgen

von Herman Van Rompuy und Brigid Laffan
EU Frauen for Future
Glänzende Ideen gibt es immer wieder: Frauen for Future stellten sich 2017 Berliner Pro-EU-Demonstratinnen so vor.

Auf die russische Invasion in der Ukraine hat die Europäische Union (EU) schneller, entschiedener und geschlossener reagiert als auf jede andere Krise. Gemeinsam mit ihren Verbündeten haben die EU und ihre Mitgliedstaaten wichtige militärische, wirtschaftliche und humanitäre Unterstützung für die ukrainische Regierung geleistet und enormen wirtschaftlichen Druck auf den Kreml aufgebaut, damit er seine Grausamkeiten beendet. Aber die Schwierigkeiten, vor denen die Union bei der Einführung eines gemeinsamen Ölembargos gegen Russland steht, enthüllen die Differenzen zwischen den Nationalregierungen – die wiederum unterschiedliche Sichtweisen darüber widerspiegeln, wie man mit der Zeitenwende seit dem 24. Februar umgehen sollte.

Dies ist kein Moment für Zwietracht. Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine hat in Europas anscheinend ständiger Krise ein neues Kapitel eröffnet und stellt einen strukturellen Bruch mit der Vergangenheit dar. Er zerstört auf grundlegende Weise die europäische Sicherheitsarchitektur und untergräbt fundamentale Annahmen in den meisten Bereichen der EU-Politik.

Die EU-Staatschefs müssen den politischen Willen und das Durchhaltevermögen haben, um die Union auf eine neue Ära vorzubereiten – ohne Tabus, wenn es darum geht, große politische Innovationen einzuführen und eine effektivere Verwaltungsstruktur aufzubauen. Dazu müssen sie, was einen konkreten Reformplan betrifft, sowohl Einheit als auch Ehrgeiz und Engagement zeigen.

Daher sollte sich der Europäische Rat auf dem EU-Gipfel am 23. und 24. Juni darauf einigen, eine „Gruppe der weisen Frauen“ zu schaffen, die mit der Bestimmung zentraler politischer Prioritäten und Verwaltungsreformen beauftragt ist, die die momentanen Ziele und auch das Ergebnis der Konferenz zur Zukunft Europas widerspiegeln. Grundlegende Maßnahmen erfordern mehr als gut gemeinte Reden und Erklärungen. Das Europäische Parlament hat auf die Konferenz reagiert, indem es zu einer Europäischen Konvention aufgerufen hat. Nun müssen sich die EU-Regierungen auch zu spezifischen Reformen verpflichten.

Eine solche Gruppe der weisen Frauen – mit erfahrenen politischen Schwergewichten und auch Vertreterinnen jüngerer Generationen – würde den EU-Politikern dabei helfen, sich auf eine Liste dringender politischer Innovationen zu einigen, Wege zur Verbesserung der EU-Verwaltungsstruktur zu finden und einen ambitionierten Reformplan zu entwerfen.

Gemeinsam für Verteidigung, Energie, Klima, Demokratie

Mehrere Bereiche erfordern unsere Aufmerksamkeit: Zunächst sind dies der EU-Ansatz gegenüber ihrer Nachbarschaft und Vergrößerung im Hinblick auf die neue Lage nach dem 24. Februar sowie die Rolle der Union bei Verteidigungsinvestitionen und dem Zuständigkeitsbereich ihrer Klausel für gegenseitige Verteidigung. Radikal neu definiert werden müssen außerdem die Energieabhängigkeit der EU und ihre Bemühungen gegen den Klimawandel, die mit der wirtschaftlichen Resilienz und strategischen Autonomie der Union in entscheidenden Bereichen zusammenhängen.

Dann geht es um die institutionellen Reformen, die zur Stärkung des Schutzes grundlegender Werte und Prinzipien wie denen der Rechtsstaatlichkeit nötig sind – und zur Verbesserung der Entscheidungsfähigkeit durch die stärkere Verwendung von Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit. Und schließlich muss die Gruppe ermitteln, wie die EU-Demokratie vertieft werden kann, indem der Nutzen repräsentativer Institutionen mit der Notwendigkeit ins Gleichgewicht gebracht wird, die Bürgerbeteiligung an den politischen Prozessen der Union auszuweiten.

Um ihre Arbeit mit dem Beitrag der Bürger während der Konferenz zur Zukunft Europas zu verbinden, sollte die Gruppe der weisen Frauen ihre Vorschläge mit den „Botschaftern“ diskutieren, die die zufällig ausgewählten Mitglieder des Europäischen Bürgerpanels im Plenum der Konferenz repräsentiert haben. Die Gruppe sollte in der zweiten Hälfte dieses Jahres ihren Abschlussbericht dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament vorstellen, die sich daraufhin für einen detaillierten Folgeprozess einsetzen müssen.

Viele Reformziele können unter den bestehenden EU-Verträgen erreicht werden. Aber die Gruppe der weisen Frauen könnte zu dem Ergebnis kommen, dass einige Innovationen auch Vertragsänderungen erfordern, um zu gewährleisten, dass die EU strukturell in der Lage ist, schnell auf aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu reagieren.

In diesem Fall sollte sie eine Liste spezifischer Änderungen aufstellen. Die Bestimmung solcher vertraglicher Änderungen könnte dazu beitragen, dass zukünftige Bemühungen zur Anpassung der Grundvereinbarungen der Union nicht die Erfahrungen mit der Verfassungskonvention 2002-03 wiederholen, da diese Bemühungen einem klarer definierten Mandat und einem begrenzten Zeitrahmen folgen.

Würde Europa lediglich auf eine gewisse Veränderung des alten Status Quo zusteuern, wäre das nicht nur naiv, sondern auch gefährlich. Wir sollten vermeiden, uns in einer Lage wiederzufinden, in der wir es bereuen, nicht früher und entschiedener gehandelt zu haben – insbesondere wenn Themen von Krieg und Frieden auf dem Spiel stehen.

Die Krise in der Ukraine hat gezeigt, dass die EU nur durch ihre Zusammenarbeit hoffen kann, ein effektiver Akteur zu bleiben. Aber eine solche Zusammenarbeit ist keinesfalls sicher. Die EU27 muss auf den momentanen Wandel der Zeit antworten, indem sie den Weg für eine engagierte gemeinsame Zukunft bereitet. Dies bedeutet, die politische Bereitschaft und Bestimmtheit zu zeigen, die für substantielle Reformen europäischer Politik und Verwaltung erforderlich sind.

Herman Van Rompuy, emeritierter Präsident des Europäischen Rats, ist Präsident des European Policy Center und Mitvorsitzender der Hochrangigen Beratungsgruppe des Conference Observatory. Brigid Laffan, emeritierte Professorin beim Robert Schuman Center des Instituts der Europäischen Universität, ist Mitvorsitzende der Hochrangigen Beratungsgruppe des Conference Observatory.

Dieser Kommentar wurde auch von den Mitgliedern der Hochrangigen Beratungsgruppe des Conference Observatory unterzeichnet.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff. Copyright: Project Syndicate 2022.

Nichts verpassen!

Tragen Sie sich hier ein für unseren wöchentlichen Newsletter: