Krieg in der Ukraine

Russland: Der Osten urteilt anders

Warum die Ostdeutschen Russlands Krieg mehrheitlich anders beurteilen als Westdeutsche

von Stefan Locke
Meinungsunterschiede, Frage der Perspektive

Der russische Überfall auf die Ukraine bringt auch im Osten Deutschlands jahrzehntealte Koordinaten des Verhältnisses zu Russland, zum Westen und der Nato durcheinander. Das Entsetzen über den russischen Angriffskrieg ist im Osten deshalb so groß, weil viele glaubten, „die Russen“, womit ja einst Menschen aus 15 Sowjetrepubliken gemeint waren, darunter auch viele aus der Ukraine, besser zu kennen.

Das zu DDR-Zeiten erzwungene, aber doch reale Zusammenleben mit allen schlechten (Besatzung) und hoffnungsvollen Seiten (Gorbatschow) sowie persönlichen Begegnungen prägen bis heute das Bild. Aus Unkenntnis gespeiste Angst oder gar billiger Russenhass sind in ostdeutschen Ländern selten anzutreffen.

In den gut dreißig Jahren seit dem Mauerfall sind persönliche Erfahrungen mit Russland allerdings oft auf ein Minimum geschrumpft. Kam die Rede auf Moskau, war eher anerkennend von der „harten Hand“ zu hören, mit der Putin regiere. Der Mann schaffe Ordnung, und bisweilen schwang der Wunsch nach einem solchen Politiker „bei uns“ mit.

Putin als Rächer

„Merkel nach Sibirien, Putin nach Berlin“, hieß es auf Plakaten bei Pegida. Das forderte nur eine kleine Minderheit, doch wirkte Putin mit seinem vermeintlich starken Handeln auf deutlich mehr Leute wie ein Bollwerk gegen eine immer komplexer und unübersichtlicher werdende Welt sowie einen schier übermächtig erscheinenden Westen. Und er fungierte als eine Art Rächer für jene, die bis heute das Gefühl haben, Deutsche zweiter Klasse zu sein.

Der Krieg verändert die Lage grundlegend, nicht aber die Sicht vieler Ostdeutscher auf Russland. Der Sicht des Westens hat sie sich nicht zwangsläufig angenähert, wie etwa Carsten Schneider meint, der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Vielmehr bleibt gerade bei der Frage der Reaktion auf den Überfall eine Grundskepsis gegenüber der Nato, vor allem aber gegenüber einem von vielen so empfundenen Kriegsgeschrei und einem gefühlten Bekenntniszwang.

Den kennen viele noch aus der DDR. Sie wollen ihn nicht zurückhaben, genauso wenig wie längst überwunden geglaubte Stereotype vom angeblich bösen Russen. Darauf reagieren sie mit ebensolchen von der angeblich kriegslüsternen Nato.

So kommt es, dass in Umfragen eine Mehrheit von fast zwei Dritteln der Ostdeutschen der Meinung ist, Deutschland solle sich aus diesem Krieg heraushalten. Eine Minderheit im Osten dagegen ist wie eine Mehrheit im Westen der Auffassung, Deutschland müsse die Ukraine jetzt maximal unterstützen.

Hier zeigt sich wie schon früher ein Generationenunterschied. Fürs Heraushalten sind vor allem Menschen, die Krieg entweder noch selbst erlebt haben oder in der traumatisierten Gesellschaft der Nachkriegszeit aufwuchsen. Im Osten fällt diese ältere Generation, das ist bei Umfragen zu berücksichtigen, durch die massenhafte Abwanderung der Jugend deutlich stärker ins Gewicht.

Russland und die AfD

Politisch versucht vor allem die AfD, diese Stimmung zu nutzen. Sie pflegt seit Jahren Verbindungen mit russischen Regierungsvertretern. Neben Bundestagsabgeordneten, die demonstrativ die annektierte Krim und den besetzten Donbass besuchten, traf sich etwa Sachsens AfD-Chef Jörg Urban zum Austausch mit dem russischen Rechtsextremisten Alexander Dugin.

Maximilian Krah, der zurzeit für die AfD als Oberbürgermeister in Dresden kandidiert, verkehrt mit russischen Hardlinern und bezweifelte öffentlich Russlands Verantwortung für Kriegsverbrechen wie in Butscha. Der Bundesvorsitzende Tino Chrupalla lehnt die Lieferung schwerer Waffen ab, und Thüringens Parteichef Björn Höcke verlangt mit Blick auf die Nato, Deutschland müsse „seinen Vasallenstatus überwinden und Vermittler werden“.

Die Ost-Linke ist in dieser Frage zwar an der Basis gespalten, ihre führenden Protagonisten (und dazu zählt nicht Sahra Wagenknecht, die in NRW antritt) haben sich jedoch von Anfang an sehr klar positioniert. Nichts schmälere die Schuld, welche die russische Führung mit ihrem imperialen Angriffskrieg auf sich geladen habe, sagte etwa Rico Gebhardt, Fraktionschef der sächsischen Linken, des größten Ost-Landesverbands. Und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow forderte, dem „Aggressor Russland“ auch mit schwerem Gerät entschieden entgegenzutreten.

Zwischen die Stühle hat sich Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer gesetzt, der sich gegen substanzielle Waffenhilfe und ein Energieembargo ausspricht sowie dafür plädiert, nicht alle Brücken nach Russland abzureißen. Er übersieht dabei, dass es Putin ist, der die Brücken zerstört.

Zugleich zieht sich Kretschmer den Unmut der Polen und Tschechen zu, zu denen er sonst ein gutes Verhältnis pflegt. Doch sind ihm die immer noch fragile Ost-Wirtschaft wichtiger sowie der Abstand zur AfD. Die ist hier längst doppelt so stark wie die Linke und eine Gefahr auch für die CDU.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 14.6.2022 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Zeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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