Russische Oppposition

Mit Satire und Mut gegen Putin

Russische Komiker persiflieren Staatswillkür, Korruption und die Autoritätssehnsucht vieler Russen

von Friedrich Schmidt
Mit Mut und Witz gegen Putin: Witali Naliwkin bei BARAKuda

In seinem vorerst letzten Fall verhindert Witali Naliwkin einen Terroranschlag. An einer Bushaltestelle am Rande von Ussurijsk, einer Stadt in Russlands Fernem Osten, steht eine verdächtige schwarze Tasche. Die Bevölkerung ist verängstigt, Polizisten wissen keinen Rat, warten auf das Entschärfungskommando.

Stattdessen kommt Naliwkin, der Vorsitzende des Exekutivkomitees von Ussurijsk, wie stets im Anzug, dynamisch und begleitet von zwei maskierten und bewaffneten Sicherheitsmännern. Er nimmt die Sache selbst in die Hand und schießt aus einer Panzerfaust, die er auf die Schulter gewuchtet hat, auf die Tasche. Daneben.

Der Schuss zerstört ein Schild mit einer Werbung der Machtpartei Einiges Russland für die Duma-Wahl im vergangenen September. Der zweite beschädigt die Bushaltestelle, die Tasche aber bleibt intakt. Naliwkin will die Bombe nun „händisch“ entschärfen und öffnet die Tasche: Mohrrüben fallen heraus, „25 Kilogramm chinesischer Produktion“, berichtet die Sprecherin. „Ich verstehe das nicht. Davor habt ihr Angst gehabt?!“, fährt Naliwkin seine Sicherheitsleute an.

Bilder einer Überwachungskamera offenbaren, dass es der Ortspolizist war, der die Tasche stehen ließ. Er gesteht im Verhör, dass er die Mohrrüben außerhalb von Ussurijsk habe verkaufen wollen, und wird abgeführt. Naliwkin beruhigt die Anwohner, belehrt sie über eine Onlineplattform für Busreisen (so viel Werbung muss sein), lässt den umgeschossenen Werbemast wieder aufrichten, nun mit einem Plakat von ihm selbst: Man sieht den Vorsitzenden des Exekutivkomitees mit der Aufschrift „Ich bin hier die Macht!“ und der Aufforderung, bei der Wahl für ihn zu stimmen.

Naliwkin gibt es natürlich ebenso wenig wie sein angebliches Amt mit Allzuständigkeit. In den Youtube-Clips der Humoristengruppe BARAKuda wird er seit 2019 von einem Laiendarsteller verkörpert, der, wie er Journalisten erzählte, in einem Kinderheim aufwuchs, eine Zeitlang im Gefängnis saß und später mit Umzügen sein Geld verdiente.

Er, und damit auch der fiktive Naliwkin, hat ein vom Alkohol gezeichnetes Gesicht und eine krumme Nase von einem schlecht verheilten Bruch. Um die Zähne des Exekutivvorsitzenden ist es ebenso schlecht bestellt wie um die der Darstellerin von „Marina Wulf“: In den Clips karikiert sie die Sprecherin des realen Moskauer Innenministeriums, Irina Wolk (zu Deutsch: Wolf), die den Russen regelmäßig über Ermittlungsaktivitäten berichtet. Wulfs Darstellerin hat eine ähnliche Vita wie ihr Kollege und ein nicht minder vom Alkohol geprägtes Gesicht.

Lachen über Absurditäten

BARAKuda persifliert den Stil lokaler Staatsfernsehstationen. In deren Programm sind Bürgermeister und Polizisten stets die Helden. In einer sperrigen Behördensprache versprechen ihre Beiträge Fortschritt, wo in Wirklichkeit Misere vorherrscht. Naliwkin löst Alltagsprobleme, wie sie viele Russen kennen, im Alleingang, und das immer auf absurde Weise: Wenn sich die Ussurijsker über volle Müllcontainer beschweren, entfernt er die Container und bestraft die „Organisatoren der spontanen Halden“ – die Bürger selbst also, die aber, während der Müll nun ohne Container herumliegt, ihrem vermeintlichen Erlöser danken.

Wenn eine klägliche Ruine, die tatsächlich seit Jahrzehnten in Ussurijsk steht, abgerissen werden soll und Anwohner gegen den „Verlust des soziokulturellen Erbes“ protestieren, zerstört Naliwkin das Auto der Bauarbeiter mit einem Schaufellader. In einem Rohbau richtet er eine Schule ein, ohne Außenwand und indem er über den nackten Beton Bilder von Büchern und einer Tür hängen lässt. Als der Ortspolizist sich über ein Loch im Boden des neuen Klassenzimmers und ein offenes Feuer als Heizung beschwert, lässt ihn Naliwkin durch seine Männer abführen. Die Kinder klatschen, die Sprecherin resümiert: „Die Sorge um die heranwachsende Generation ist die unbedingte Priorität jedes Staats.“

So komisch und treffend ist die Satire, dass Millionen Russen sich die Clips auf Youtube ansehen. Die aufgespießten Zustände – Millionen Rubel in bar bei Polizisten, goldene Klos bei Funktionären – sind ihnen aus den Nachrichten vertraut; ebenso die Sehnsucht nach einem starken Mann, der Abhilfe schafft. Präsident Wladimir Putin ist so jemand, der selbst Funktionäre zusammenstaucht und dafür eine eigene Staatsfernsehsendung hat, den „Direkten Draht“, mit Anrufen von Bürgern, die ihr Leid klagen.

Putin kommt in den Clips von BARAKuda nicht vor. Der fiktive Vorsitzende des Exekutivkomitees wirkt aber wie ein etwas windschiefer Putin im Lokalformat, und das Naliwkin-Porträt, das unter anderem für das Wahlwerbeplakat im Panzerfaust-Video verwendet wird, ist dem bekanntesten Putin-Porträt nachempfunden. Das Original zeigt den Präsidenten mit kühler Miene, wie er sich in einen Stuhl zurücklehnt. Es wurde 2007 für die amerikanische Zeitschrift Time aufgenommen, die Putin damals als „Zaren des neuen Russlands“ bezeichnete. Die Pose erinnert viele an Mafia-Paten aus Gangsterfilmen. Genauso sitzt Naliwkin.

Der mit mehr als fünf Millionen Aufrufen erfolgreichste Clip von BARAKuda trifft Putin sogar da, wo es ihm am meisten wehtut: Als viele Millionen Russen Anfang dieses Jahres den Youtube-Film des inhaftierten Oppositionsführers Alexei Nawalny über den „Palast für Putin“ schauten, adaptierte man den Stoff und verfremdete Nawalnys Film so, dass der Korruptionsjäger nicht einen Prachtbau an der Schwarzmeerküste Putin zuordnet, sondern die Ussurijsker Bauruine dem Vorsitzenden des Exekutivkomitees, Naliwkin. Es entsteht ein Widerspruch zwischen Nawalnys Beschreibungen von irrwitzig teuren Sofas aus dem „geheimsten Objekt Russlands“ und Bildern abgewetzter Diwane im Ussurijsker Schutt. „Das Objekt hat mir nie gehört und gehört mir nicht“, beteuert Naliwkin dazu, ebenso wie es Putin tat.

„Nichtachtung von Machtvertretern“

Mit dem Erfolg kamen auch die Strafverfolger. Ermittelt wurde wegen „Nichtachtung von Machtvertretern“, einer Ordnungswidrigkeit, derentwegen seit 2019 Dutzende Russen verurteilt worden sind. Naliwkins Darsteller kam im Juni 2020 fünf Tage in Arrest, angeblich wegen Fluchens auf der Straße.

Die Darstellerin der Marina Wulf bekam im vergangenen September zehn Tage Arrest wegen Verletzung von Aufsichtsbestimmungen, denen sie als Verurteilte unterlag. Im Oktober wurde sie zu drei Monaten Straflager verurteilt.

Seit November wird auch gegen die Leute hinter "BARAKuda" ermittelt, und zwar wegen „Hooliganismus“: Es geht um das Video mit den Möhren und der Panzerfaust, vorgeworfen wird dem Team Sachbeschädigung, obwohl es Feuerwerkstechnik und Requisiten verwendete.

Jetzt drohen den Hobbyfilmern fünf bis acht Jahre Haft, ihre Ausrüstung wurde beschlagnahmt, und statt neue Naliwkin-Clips zu drehen, sammeln sie Hilfsgelder, um ihre Anwaltskosten zu decken. „Wir verstehen natürlich, dass der Grund, warum sie uns zu Verbrechern erklären wollen, ein ganz anderer ist“, schrieb das Team auf Instagram. „Und wir verstehen, dass die Entscheidungen über uns bei Weitem nicht in unserer Stadt und Region getroffen werden.“

Damit gehört die Verfolgung der Youtuber in eine Reihe von Fällen, in denen Komiker, Blogger und Sänger zum Schweigen gebracht werden sollen. Es gibt faktische Auftrittsverbote, etwa für den Stand-up-Comedian Ruslan Belyj. Der berichtete, auf eine – inoffizielle – Liste „unerwünschter“ Komiker genommen worden zu sein, ohne zu wissen, warum genau.

Der aserbaidschanische Stand-up-Comedian belarussischer Staatsangehörigkeit Idrak Mirsalisade, der in einer Show über Russen gescherzt hatte, wurde von Unbekannten im Zentrum Moskaus verprügelt, nachdem ihn der Staatsfernsehmann Wladimir Solowjow als „Schmutz auf Beinen“ bezeichnet und Strafermittlungen gefordert hatte. Danach wurde der Komiker zu zehn Tagen Arrest wegen „Schürens von Hass und Feindschaft gegenüber Personen russischer Nationalität“ verurteilt und anschließend des Landes verwiesen, mit „lebenslangem“ Rückkehrverbot.

Gegen zwei russische Fernsehsender wird ermittelt wegen „Propaganda nichttraditioneller sexueller Beziehungen gegenüber Minderjährigen“: In einer Show küssten sich zwei Männer, einer von ihnen in Brautkleid und Perücke, in einer anderen traten Männer in Röcken mit halbnackten Begleitern auf. Auch wegen „Beleidigung der Gefühle von Gläubigen“ ist schon ermittelt worden, ein Komiker verließ deshalb für eine Weile das Land. Ein anderer erhielt eine hohe Geldbuße wegen angeblicher Verleumdung.

Die Welle der Verfahren zeugt von der Lebendigkeit der russischen Komödianten-Szene, die sich nicht nur im Internet, sondern auch auf Bühnen in den großen Städten entwickelt. „Ein Humor der neuen Generation“, wie die Nowaja Gaseta schreibt, „ehrlich, heftig, der davon spricht, was mit uns gerade jetzt passiert“. Doch drohe jeder seiner Vertreter eingesperrt und verprügelt zu werden, „genau dafür, was sie populär gemacht hat“, warnt die unabhängige Zeitung.

Einige Witze wurden schon Realität

Auf der anderen Seite gibt es in Russland eine Vielzahl von Ermittlern, deren Karriere von „Erfolgen“ abhängt. Dazu gehört, junge Leute aburteilen zu lassen. Immer neue Ziele müssen her, und besonders gut eignen sich Scherze über Themen mit Erregungspotential. Putins Sprecher Dmitri Peskow zog jüngst Grenzen: „Man darf nicht über das scherzen, was für das russische Volk heilig ist“, sagte er und nannte den Großen Vaterländischen Krieg (also den Zweiten Weltkrieg ab dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion), Religion sowie „sehr heroische, aber sehr schmerzvolle Kapitel unserer Geschichte“.

Ein junger Blogger sitzt seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft, weil er vor zehn Jahren in einem Lied einen Terroranschlag in Moskau gutgeheißen hatte. Dass er sich dafür entschuldigt hat, hilft ihm nicht.

Wie der Apparat funktioniert, zeigen Verfahren, die das Ermittlungskomitee jüngst gegen zwei Musiker aufgenommen hat. Der Leiter der Behörde, Alexandr Bastrykin, ordnete an, Lieder der (kremlkritischen) Rapper Noize MC und Oxxxymiron auf „Rehabilitierung des Nazismus“, „Extremismus“ und „negative Einstellungen gegenüber Angehörigen der Sicherheitskräfte“ zu prüfen. Dazu verwies Bastrykin auf das „Gesuch“ einer „Gruppe Patrioten“.

Das angebliche Gesuch stellte sich als Blogeintrag eines linken Aktivisten heraus, der die Rapper im Scherz als gefährlicher als eine „Erweiterung der NATO“ bezeichnet hatte. Dass der Autor Bastrykin sofort bat, die Ermittlungen zu stoppen, weil er eine „Satire auf unsere Zeit“ abgeliefert habe, hatte erwartungsgemäß keinen Erfolg.

Stattdessen sind schon mehrere Fälle zu verzeichnen, in denen Meldungen, die zuerst Witze des Satire-Portals „Panorama“ waren, schnell russische Realität wurden. So war es zum Beispiel Anfang des Jahres. „Panorama“ hatte Bauarbeiten in Moskau vorausgesagt, die Proteste für Nawalny behindern sollten. So kam es. In einer anderen Meldung hieß es als Witz, dass christliche Umzüge gegen die immer schlimmer wütenden Waldbrände in Sibirien aufgeboten würden. Prompt hieß es auch in den echten Nachrichten, dass gegen die Brände angebetet werden solle.

Dieser Beitrag ist ursprünglich am 2.1.2022 erschienen in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung / Alle Rechte vorbehalten. Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt. Zur Verfügung gestellt vom Frankfurter Allgemeine Archiv.

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