„Es soll bloß keinen Krieg geben!“

Dokumentation: Erklärung der Friedensanhänger gegen die Partei des Kriegs innerhalb der russischen Führung

Mehr als zweitausend russische Intellektuelle haben einen Appel des „Kongresses der Intelligenzija Russlands“ gegen die Politik des Kreml unterzeichnet: „Russland braucht keinen Krieg gegen die Ukraine und gegen den Westen“, heißt es darin. KARENINA dokumentiert den Text und die Liste derer, die unterschrieben haben, darunter liberale Politiker und Wissenschaftler, Menschenrechtlerinnen und Schriftstellerinnen.

Der Strom von beunruhigenden Nachrichten über den möglichen Einmarsch Russlands in die Ukraine wird immer größer. Es wird über intensive Anwerbung von Söldnern und Verschiebung von Truppen, Treibstoff und Kriegsgerät in die ukrainischen Gebiete Donezk und Lugansk berichtet. In Antwort darauf bewaffnet sich die Ukraine verstärkt, und die NATO schickt zusätzliche Truppen nach Osteuropa. Die Spannung nimmt nicht ab, im Gegenteil – sie wächst.

Die russischen Bürger werden de facto zu Geiseln des kriminellen Abenteurertums, in das sich die außenpolitische Linie Russlands verwandelt. Sie leben nicht nur in Ungewissheit, ob ein großer Krieg ausbricht oder nicht, sie erleben den kräftigen Preisanstieg und den Sinkflug der nationalen Währung. Brauchen die Russen eine solche Politik? Wollen sie den Krieg und sind sie bereit, dessen Last aufzubürden? Haben sie der Staatsmacht erlaubt, mit ihrem Schicksal so zu spielen?

Die russischen Bürger fragt aber niemand. Der öffentliche Diskurs findet nicht statt. Das staatliche Fernsehen vertritt nur einen Standpunkt – den der Kriegsbefürworter. Aus ihrem Lager ertönen unmissverständliche Kriegsdrohungen, strömen Aggression und Hass in Bezug auf die Ukraine, die USA und westliche Länder aus. Dass der Krieg dabei als ein zulässiger und unvermeidlicher Ablauf der Ereignisse dargestellt wird, ist am gefährlichsten. Es wird versucht, die Leute zu betrügen und zu pervertieren, ihnen die Idee eines Heiligen Krieges gegen den Westen aufzuzwingen, anstelle der Entwicklung des Landes und Erhöhung des Lebensstandards seiner Bevölkerung. Die Höhe des Preises steht nicht zur Debatte, aber diesen gewaltigen und blutigen Preis werden gerade die einfachen Menschen zahlen.

Wir, verantwortungsvolle russische Bürger und Patrioten unseres Landes, appellieren an die politische Führung Russlands und fordern die Partei des Krieges, die sich innerhalb der Staatsmacht formiert hat, öffentlich heraus.

Wir äußern die Meinung des Teils der russischen Gesellschaft, der den Krieg hasst und allein schon die Anwendung von Kriegsdrohungen und vom kriminellen Stil in der außenpolitischen Rhetorik für ein Verbrechen hält.

Wir hassen den Krieg, ihr aber haltet ihn für zulässig. Wir setzen uns für den Frieden und Wohlstand für alle russischen Bürger ein, für euch aber sind deren Leben und Schicksale nur ein Einsatz in eurem politischen Spiel. Ihr betrügt und benutzt die Leute – wir sagen ihnen die Wahrheit. Wir sprechen das im Namen Russlands aus, nicht ihr, denn die Völker Russlands, die Millionen von Menschenleben in vergangenen Kriegen verloren hatten, leben seit Jahrzehnten nach dem Spruch „Es soll bloß keinen Krieg geben!“. Habt ihr das vergessen?

Unser Standpunkt ist äußerst einfach: Russland braucht keinen Krieg gegen die Ukraine und gegen den Westen. Wir werden von niemandem bedroht und von niemandem angegriffen. Die Politik, die auf der Förderung der Idee eines solchen Krieges basiert, ist unmoralisch, verantwortungslos und verbrecherisch, sie kann nicht im Namen der Völker Russlands geführt werden. Ein derartiger Krieg kann weder legitime noch moralische Zwecke verfolgen. Eine staatliche Diplomatie darf keinen anderen Standpunkt als eine kategorische Ablehnung eines solchen Kriegs vertreten.

Ein Krieg wäre nicht nur gegen die Interessen Russlands, mehr noch – er könnte die Gefahr für dessen Existenz mit sich bringen. Irrsinnige Handlungen der politischen Führung des Landes, die uns an den Rand dieses Abgrundes stoßen, führen unweigerlich zur Entstehung einer massenhaften Antikriegsbewegung in Russland. Jeder von uns wird auf natürliche Art und Weise zu einem Teil dieser Bewegung.

Wir werden alles Mögliche tun, um den Krieg abzuwenden, und – sollte es nötig werden – diesen zu stoppen.

Der Kongress der Intellektuellen sammelt die Unterschriften hier

Die komplette Liste der Unterzeichnenden ist hier veröffentlicht

Lew Ponomarjow *, Menschenrechtler
Walerij Borschtschew, Menschenrechtler
Swetlana Gannuschkina, Menschenrechtlerin
Leonid Gosman, Politiker
Lija Achedschakowa, Schauspielerin, Volkskünstlerin der RF
Andrej Makarewitsch, Musiker
Garri Bardin, Regisseur
Wiktor Schenderowitsch *, Schriftsteller
Tatjana Lasarewa, TV-Moderatorin
Andrej Subow, Historiker, Politiker
Andrej Netschajew, Politiker
Alina Wituchnowskaja, Schriftstellerin
Alexandr Belawin, Physiker
Nikolaj Rosanow, korrespondierendes Mitglied der Akademie der Wissenschaften der RF (RAN)
Natalija Jewdokimowa, verantwortliche Sekretärin des Menschenrechtsrates von Sankt Petersburg
Jefim Chasanow, Mitglied der RAN
Ilja Ginsburg, Physikprofessor
Soja Swetowa, Journalistin
Grigorij Jawlinskij, Politiker
Lew Schlossberg, Politiker
Boris Wischnewskij, Politiker
Lew Gudkow, Soziologe, Professor, Dr. phil habil.
Igor Tschubajs, Philosopf
Tatjana Woltskaja *, Dichterin, Journalistin
Boris Sokolow, Historiker, Schriftsteller
Michail Kriger, Bürgeraktivist
Weronika Dolina, Dichterin
Wladimir Mirsojew, Regisseur
Xenija Larina, Journalistin
Andrej Piontkowskij, Publizist,
Mark Urnow, Professor der Nationalen Forschungsuniversität Higher Scool for Economics
Michail Lawrjonow, Schriftsteller
Nikolaj Prokudin, Schriftsteller
Jelena Fanajlowa, Dichterin, Journalistin
Grigorij Michnow-Wajtenko, Geistlicher
Lew Lewinson, Menschenrechtler
Sergej Germann, Schriftsteller
Wladimir Alex, Bürgeraktivist
Jurij Gimmelfarb, Journalist
Jurij Samodurow, Menschenrechtler
Jewgenij Tsymbal, Bürgeraktivist
Witalij Dixon, Schriftsteller
Natalja Mawlewitch, Übersetzerin
Aschraf Fattachow, Jurist
Wiktor Junak, Schriftsteller
Walerija Prichodkina, Menschenrechtlerin
Jelena Grigorjewa, Kinderdichterin
Wera Schabelnikowa, Redakteurin
Mair Machajew, Philosoph, Sprachwissenschaftler
Gigorij Amnuel, Produzent, Regisseur, Publizist, Politiker.
Sergej Kriwenko, Menschenrechtler
Jaroslaw Nikitenko, Umwelt- und Bürgeraktivist, Wissenschaftler
Tatjana Jankelewitsch-Bonner, Menschenrechtlerin
Nikita Sokolow, Historiker
Anatolij Golubowskij, Historiker
Nikolaj Rekubratskij, wissenschaftlicher Mitarbeiter
Witold Abankin, Menschenrechtler
Jelena Bukwarjowa, Dr. rer. biol. habil
Igor Toporkow, Menschenrechtler
Jewgenij Kalakin, Regisseur
Ljudmila Alpern, Menschenrechtlerin
Nina Katerli, Schriftstellerin
Wladimir Salischtschak, Kommunalabgeordneter
Olga Masurowa, Ärztin
Oleg Motkow, Regisseur
Natalja Pachsarjan, Professorin der MGU
Jelena Wolkowa, Philologin, Kulturologin
Walerij Otstawnych, Regisseur, Journalist
Georgij Karetnikow, Bürgeraktivist
Marina Borodizkaja, Schriftstellerin
Sergej German, Mitglied des Schriftstellerverbandes der RF
Sergej Luzenko, Animationssupervisor
Alexej Diwejew, Softwareentwickler
Tatjana Woroschejkina, Dozentin der Freien Universität, Moskau
Tatjana Kotljar, Menschenrechtlerin
Anatolij Barmin, Pharmazeut
Walentin Skworzow, Professor der MGU
Lew Ingel, Physiker
Michail Minz, Historiker
Leonid Tschubarow, Professor
Katja-Anna Taguti, Künstlerin
Jelena Efros, Bürgeraktivistin
Anna Schapiro, Regisseurin
Tatjana Dorutina, Mitglied des Menschenrechtsrates von Sankt Petersburg
Arkadij Konikow, Softwareentwickler
Sergej Petschjonkin, Bürgeraktivist
Anatolij Rasumow, Historiker,
Alexandr Sannikow, Oberst der RF-Streitkräfte a. D.
Anatoloj Zirlin, Professor
Karen Akopjan, Professor, Dr. phil. habil.

 

 

* Lew Ponomarjow ist eine natürliche Person, anerkannt als ausländischer Agent

* Wiktor Schenderowitsch ist eine natürliche Person, anerkannt als ausländischer Agent

* Tatjana Woltskaja ist ein Massenmedium, anerkannt als ausländischer Agent

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