Sinnloses Standpunkte-Pingpong
Russland und die EU können nicht mehr miteinander reden, sie brauchen eine Mediation
Wenn zwei, die sich einmal zugeneigt waren, zu zanken beginnen und sich in ihren Schützengräben und hinter ihren unverrückbaren Meinungen verschanzen, kann im Privatleben ein Mediator helfen. Die Friedensgespräche, die beide Seiten wollen müssen, beginnen damit, dass die Streitenden ihre Sicht der Dinge vortragen. Die andere Seite schweigt. Keine reflexhafte Widerrede, keine Schuldzuweisungen, keine (weiteren) Vorwürfe, keine Verletzungen, keine Beleidigungen. Die Sache einmal von der anderen Seite aus betrachten. Perspektivwechsel. Daraus kann Verständnis entstehen. Und dann die Suche nach Konfliktlösungen.
Ein Mediator kann auch in der internationalen Politik helfen. Auf diesem Parkett heißt das Diplomatie. Alvise Contarini vermittelte als venezianischer Gesandter fünf Jahre, bis 1648 der Westfälische Frieden stand. Jimmy Carter erhielt für seine Bemühungen um Frieden zwischen Ägypten und Israel und das Camp-David-Abkommen den Friedensnobelpreis.
Im Fall Russland gegen EU bezüglich der Ukraine hat die OSZE 2015 einen Mediationsversuch unternommen. Eine Gruppe von Experten involvierter Staaten unternahm den Versuch „zu verstehen, wie die derzeitige Krise sich entwickelte und welche Irrtümer und Fehltritte auf dem Weg dahin geschehen sein mögen“.
Drei Teilberichte fassen zusammen, wie Russland, der Westen und „die Staaten dazwischen“ die Entwicklung seit dem Fall des Eisernen Vorhangs bis zur Annexion der Krim und der Unterstützung von separatistischen Kräften in der Ostukraine durch Russland sahen. Es war – und ist – wie beim Rosenkrieg zuhause: Keine Partei akzeptierte die Sicht der anderen.
Zentrale These West: Viele nach 1990 unabhängige Staaten „wollten zurückkehren in die demokratische Familie“. Aber Europa wünschte auch eine Partnerschaft mit Russland.
Zentrale These Russland: Der Westen nutzte die russische Schwäche aus. Die Idee der EU für Partnerschaft sei: „Russland sollte dessen Regeln übernehmen.“
Und dazwischen: Krim war eine Annexion, Krim war ein Übergang nach Referendum; et cetera.
Mit dieser Bestandsaufnahme waren zwar Phase 2 der Mediation (Konfliktdarstellung) und mit dem Bericht Phase 3 (Konflikterhellung) abgeschlossen, allerdings verbunden mit der Feststellung: We agree to disagree. Schon gar nicht kam es zu einem Gipfeltreffen für die Suche nach Lösungsvorschlägen (Phase 4) und deren Realisierung (Phase 5).
Im Gegenteil: Moskau und Brüssel haben ihren Dissens verschärft.
Wir leben in einem gemeinsamen Raum
Aber bis heute gilt, was die OSZE-Experten schrieben: „Wir leben noch immer in einem gemeinsamen Raum, und müssen Wege finden, darin gemeinsam zu leben.“
Wie soll das gehen? Es beginnt mit der Einsicht, dass dem Ende immer eine Entwicklung vorangegangen ist. Eine Eskalation der Fehler womöglich. Hilfreich für den Fortgang einer Mediation ist die Erkenntnis, dass zu einem Streit immer zwei gehören.
Davon ist die Debatte derzeit weit entfernt. Das zeigt auch die von Johann Wadephul ausgelöste Debatte auf KARENINA. Alle Beteiligten sind für Dialog, aber bevor sie sich gemeinsam um den Tisch setzen, ertönt die Gebetsmühle.
Nur wenn Russen und Deutsche den Willen haben, darauf zu verzichten, ist mehr möglich als Standpunkte-Pingpong. Nötig sind Wille und Mut zum Perspektivwechsel. Mit dem anderen Auge sieht man klarer. Und nur so, und mit Willen und Glück, kann Verständnis entsteht für Denken und Handeln des anderen. Erst das ermöglicht die Suche nach Lösungen.
Politik ist natürlich keine Romanze, auch kein Rosenkrieg.
Aber bei einer privaten wie einer politischen Mediation soll auf Anstrengung bei einer geglückten Mediation die Belohnung folgen: Der Erfolg nützt allen.