Russland allein zu Haus
Aber Macron nennt auf der MSC Dialog mit Russland ‚unerlässlich, damit wir in Frieden leben können‘
Die transatlantische Welt ist wieder in Ordnung. America is back. Das transatlantische Bündnis is back. Versprochen hat das auf der virtuellen, diesmal wieder transatlantischen Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) am 19. Februar „der Präsident“.
Es ist ja Mode geworden zu sagen und zu schreiben: der Präsident. Ganz so, als wäre der Mann im Weißen Haus auch unser Präsident, wenn nicht der Chef der ganzen Welt. Wer will also nicht aufatmen, wenn „der Präsident“ auch für uns Deutsche, für uns Europäer wieder da ist?
Nun, die Russen atmen nicht auf. Ihr Präsident ist und bleibt Putin. Russen käme nicht in den Sinn, den Leader einer anderen Nation „der Präsident“ zu nennen. Schon gar nicht Biden. Denn für ihn ist Russland „die größte Bedrohung“.
Der auch im Westen anerkannte Analyst Dmitri Trenin schrieb nach Bidens Wahlsieg, mehr Spannung zwischen USA und Russland seien „eine sichere Wette“. Aber auch damit rechnet er: Die EU werde sich sehr den USA annähern – einschließlich Russlands bisherigem europäischem Anwalt Deutschland.
Biden bestätigte das in seiner MSC-Rede: „Der Kreml greift unsere Demokratien und Institutionen an.“ Dagegen müsse sich der Westen gemeinsam wehren.
Bisher waren Sanktionen das Mittel der Wahl, und zwar nicht nur gegen konkrete Personen, denen persönliche Schuld nachgewiesen wurde, sondern auch gegen Unternehmen und deren Verträge mit Russland, sowie militärische Muskelspiele bei Nato-Manövern.
Fast alle Kommentatoren der führenden deutschen Medienhäuser sagen, „der Präsident“ habe recht. Manchen geht schon die „transatlantische Russland-Agenda“ der Bundeskanzlerin zu weit, man müsse „kooperative Angebote“ machen, aber „auch klar die Unterschiede“ benennen.
Unnötig zu sagen, dass Russland sich das mit seiner zerstörerischen Politik selbst zuzuschreiben hat, die lautet: Wir handeln rücksichtslos nach unseren eigenen Interessen.
Russland spielt offenbar vielerorts als potenzieller Partner längst keine Rolle mehr. Aber ist es richtig, die Sanktionsschraube immer weiter zu drehen, das Standpunkte-Pingpong fortzusetzen, das Auge um Auge, Zahn um Zahn?
Ist das noch Politik? Wo doch alle westliche Welt Chinas „Aufstiegsplan“ erkennt, wie es ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung nennt, der „nach der ökonomischen Führung in der Welt auch die militärische Dominanz“ vorsehe, zumindest in der Region. „Die USA, Deutschland, der Westen“, so heißt es, müsse sich der „geopolitischen Expansion Chinas erwehren“.
Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte, Allianzen seien dringend notwendig im Umgang mit China. Merkel will „eine gemeinsame Agenda gegenüber China entwickeln“, das zwar Wettbewerber sei, aber gebraucht werde „für die Lösung globaler Probleme wie das Thema Artenvielfalt und das Thema Klimaschutz“.
Gemeint ist mit Allianz die transatlantische. Russland erscheint längst wieder jenseits einer Mauer, fast schon unsichtbar.
Aber einer, der französische Präsident, verliert das große Ganze nicht aus den Augen. Und damit auch nicht Russland. Macron plädiert für Dialog mit Russland, das sei für eine neue Sicherheitsarchitektur der Nato „unerlässlich, damit wir in Frieden leben können“.
Warum sollte das nicht möglich sein?
Macron erläuterte auf Nachfrage des MSC-Vorsitzenden Wolfgang Ischinger, wie er sich das vorstellt: Dialog mit Russland müsse nicht gegen die USA gerichtet sein. Im Gegenteil erkennt er offenbar eine Win-win-Situation. Da die USA als pazifische Macht sich ohnehin mehr um China kümmere, solle Europa sich der Nachbarschaft zuwenden, natürlich die im Osten. Dass Europa mehr leisten müsse, erkennt Macron an.
Das klingt nach burden sharing, die von den USA schon seit Jahren geforderte Lastenverteilung. Und klingt es nicht vernünftig, das Mögliche anzustreben, statt sehenden Auges in einen neuen Kalten Krieg zu schliddern?