Aus der Geschichte lernen

Politik Neunzehnvierzehn 2.0: alternativlos, gedankenlos, planlos, aktionistisch, panisch, erratisch

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Geschichte wiederhole sich nicht, heißt es. Es könnte trotzdem nützlich sein, aus ihr zu lernen, um Fehler zu vermeiden.

Am 1. August 1914 erklärte Österreich-Ungarn und dann auch das deutsche Kaiserreich Russland den Krieg. Generationen von Schülern, inzwischen auch das Publikum von Wikipedia und der DHM-Webseite Lebendiges Museum Online lernten, dieser Krieg sei „ausgebrochen“, „ausgelöst“ durch das Attentat eines bosnisch-serbischen Nationalisten auf den österreichischen Thronfolger.

Aber auch dieser Krieg begann Jahre bevor die Waffen sprachen: Auf den Zusammenbruch der osmanischen Herrschaft auf dem Balkan folgte 1908 die Annexion Bosnien-Herzegowinas durch die Österreichisch-Ungarische Monarchie.

Und es gab nicht nur Attentäter und Schlafwandler, sondern Kriegstreiber, Personen, die den Waffengang anstrebten.

Wer kennt schon Conrad von Hötzendorf? Im Buch des Historikers Jörn Leonhard („Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs“) ist nachzulesen, wie der österreichische Generalstabschef zwischen 1906 und 1914 auf die gewaltsame Expansion Österreich-Ungarns auf dem Balkan drängte. Er befürwortete einen Angriff gegen Serbien, solange dessen Schutzmacht „Russland nach seiner Niederlage 1905 noch nicht bereit für einen neuen Krieg“ sei.

In Berlin traf Wilhelm II. im Dezember 1912 die Spitzen von Militär und Marine – ohne Politiker einzuladen. Leonhard: „Die Aufzeichnung der Besprechung offenbart die Eigenlogik eines Denkens ohne Alternativen in der militärischen Führung Deutschlands und bei Wilhelm II. selbst.“

Unterm Strich stellt Leonhard „fast panikartige, erratische Reaktionen“ fest, „eine Tendenz zum Aktionismus ohne realistische Beurteilung von mittel- und langfristigen Konsequenzen“. Und das sollte sich 1914 wiederholen.

Auch heute scheinen Eskalation und Radikalisierung der Konfrontation mit Russland alternativlos. Die Entwicklung seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und die mitunter unglückliche Einflussnahme „des Westens“ sind angesichts der genannten jüngsten Ereignisse verschüttet, all die nicht verwirklichten Ideen für eine gemeinsame Zukunft vergessen. Perdu auch die europäischen Bemühungen um Verständigung und die Träume von einem gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok. Vergessen, sogar verziehen das amerikanische „Fuck the EU“.

Inzwischen handelt Russland zunehmend panikartig, erratisch, aktionistisch und offenbar gleichgültig gegenüber einer realistischen Beurteilung von mittel- und langfristigen Konsequenzen. Und der Westen schließt die Reihen.

Wie viele „neue Tiefpunkte“ erträgt das Verhältnis zwischen Russland und Deutschland und dem Westen noch? Ist Umkehr in der Sackgasse noch möglich?

Jörn Leonhard schreibt, dass die Krise bis 1914 immerhin auf diplomatischem Weg einigermaßen entschärft werden konnte. Das habe gezeigt, „dass der Ausbruch eines großen Krieges keinesfalls das einzig dankbare Ergebnis sein musste“.

Aber im Lauf der Zeit siegten doch die Bellizisten gegen die Besonnenen, die Lauten gegen die Leisen, Feindschaft und Furor gegen Vernunft.

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