Iran: Eine Hand wäscht die andere
Trotz abweichender Interessen: Russland und Israel setzen der iranischen Expansionspolitik in Syrien Grenzen
Der israelische Außenminister kam schnell auf den Punkt. „Israel wird nicht tatenlos zusehen, wie der Iran Terrorstützpunkte an unserer Nordgrenze errichtet oder modernste Waffen an Terrororganisationen liefert“, sagte Jair Lapid am vergangenen Donnerstag in Moskau – und präzisierte: „Waffen, die gegen uns eingesetzt werden sollen.“ Sein russischer Amtskollege Sergei Lawrow pflichtete ihm bei: „Wir sind dagegen, dass Syrien zu einem Schauplatz der Konfrontation zwischen dritten Parteien wird. Deshalb wollen wir nicht, dass das syrische Gebiet für Angriffe gegen Israel oder eine andere Partei genutzt wird.“
Knapp hundert Tage nach Amtsantritt der neuen israelischen Regierung war Lapid vergangene Woche nach Moskau gereist, um sich mit Lawrow über die Lage im Nahen Osten auszutauschen – und ein Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Israels Ministerpräsident Naftali Bennett im Oktober vorzubereiten. Die Botschaft, die beide Seiten aussenden wollen, ist klar: Auch nach dem Ende der Amtszeit von Benjamin Netanjahu bleibt das Bündnis zwischen den beiden Staaten eng, selbst im Falle bisweilen divergierender Interessen.
Diese kamen bei der Pressekonferenz im russischen Außenministerium offen zur Sprache, festgemacht an der unterschiedlichen Syrien-Politik. „Israel und Russland haben nicht immer die gleichen Interessen“, sagte Lapid, „aber die Freundschaft zwischen unseren Völkern ist stärker denn je.“
Der militärische Entflechtungsmechanismus funktioniert
Um sicherzustellen, dass man sich in Syrien nicht in die Quere kommt, ist seit längerem ein so genannter „militärischer Entflechtungsmechanismus“ in Kraft. Dieser sieht regelmäßige Treffen zwischen Militärs beider Seiten vor und einen direkten Draht zwischen den Kommandozentralen der israelischen Luftwaffe und der russischen Armee. Sowohl Lawrow als auch Lapid bekräftigten: Der Mechanismus funktioniert gut.
Damit sind die bilateralen Spannungen offenbar fürs Erste bereinigt, die durch Äußerungen des russischen Konteradmirals Vadim Kulit, dem stellvertretenden Leiter des Russischen Zentrums für Versöhnung der gegnerischen Parteien in Syrien, befördert wurden. Kulit hatte im Juli behauptet, dass die syrische Armee mit Hilfe russischer Luftabwehrraketen mehr als zehn israelische Geschosse nahe Aleppo und Homs abgeschossen hätte. Das nährte Spekulationen, dass Russland Israels Stellvertreterkrieg gegen den Iran in Syrien nicht länger zu dulden bereit sei.
Seit Beginn des Kriegs in Syrien vor zehn Jahren hat Israel Hunderte Angriffe auf Stellungen proiranischer Milizen geflogen. Auch Waffentransporte an die vom Iran finanziell und politisch abhängige libanesische Hisbollah sind immer wieder Ziel der israelischen Luftwaffe.
Nur selten gelingt es der syrischen Armee, diese mithilfe der aus Russland bezogenen, veralteten SA17- und SA22-Luftabwehrsysteme zu treffen. Anfang September etwa landete eine Rakete unweit von Tel Aviv; die israelischen F16-Kampfflieger, die zuvor Dutzende Raketen rund um Damaskus abgefeuert hatten, kehrten jedoch unbeschadet an ihre Stützpunkte zurück.
Kulits Hinweis, dass im Juli russische Mittelstrecken-Verteidigungsraketen vom Typ BUK 2ME eingesetzt wurden, wird inzwischen so interpretiert, dass Moskau die Machtwechsel in Washington und Jerusalem nutzen wollte, um das Verhältnis zwischen Bennett und US-Präsident Joe Biden zu testen. Nach dem Treffen Lawrows und Lapids ist klar: Weder Moskau noch Jerusalem sind daran interessiert, die bisherigen Spielregeln in Syrien zu ändern. Das heißt, dass Russland wie seit Beginn seiner Militärintervention 2015 Machthaber Baschar al-Assad darin unterstützt, die vollständige Souveränität über sein Territorium zurückzugewinnen – Seite an Seite mit dem Iran, der durch die Entsendung seiner Revolutionsgarden und der Hisbollah die Niederschlagung oppositioneller Milizen sicherte. Und Israel kann weiter unbehelligt von russischer Kritik Angriffe auf Waffenkonvois an die Hisbollah und Stellungen proiranischer Milizen fliegen.
Völlig frei von Konflikten freilich ist das Verhältnis zwischen den beiden Assad-Verbündeten Iran und Russland nicht. Insbesondere in der Grenzregion zu Jordanien und Israel, wo der Aufstand gegen die Diktatur des alawitischen Machthabers 2011 begann: Zwar sieht ein von Moskau vermitteltes Waffenstillstandsabkommen von Anfang September die Rückkehr syrischer Regierungstruppen in die Stadt Daraa al-Balad sowie die Eingliederung von Oppositionsmilizen in die regulären Streitkräfte vor. Doch anders als vom Regime in Damaskus angestrebt, wird dem Einzug proiranischer Gruppen ein Riegel vorgeschoben.
Weiter präsent in der bis zu den schweren Kämpfen im Sommer von Anti-Assad-Einheiten gehaltene Gegend bleibt außerdem die 8. Brigade des 5. Sturmtrupps, eine von Russland gebildete Einheit aus Oppositionsmilizionären, die dem Waffenstillstand mit dem Regime zustimmten. Anhänger Assads haben diese immer wieder als „Räuberbande“ bezeichnet.
Moskau will guten Draht zu Israel erhalten
Dass Lawrow nach seinem Treffen mit Lapid ausdrücklich zwischen „illegitimen“ und „legitimen Interessen, wie Israels Interesse nach Sicherheit“ unterschied, macht deutlich, dass Putins Regierung auch nach dem Ausscheiden Netanjahus aus dem Amt an guten Beziehungen zu Jerusalem interessiert ist. Dafür spricht auch der Besuch von Königs Abdullah II. in Moskau Ende August, wo die Lage im an Jordanien angrenzenden Daraa al-Balad breiten Raum einnahm. Israels Ministerpräsident Bennett hatte Abdullah II. unmittelbar nach seinem Amtsantritt in Amman getroffen, ein Zeichen der Annäherung, nachdem Netanjahu die Beziehungen zu dem eigentlich mit Israel verbündeten Nachbarstaat zuletzt deutlich vernachlässigt hatte.
Die bevorstehende Begegnung Bennetts mit Putin in Moskau im Oktober könnte deshalb eine weitere Stärkung des russischen Einflusses in Nahost nach sich ziehen. In den vergangenen Jahren hat Putin die Verbindungen zu Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Ägypten ausgebaut, traditionellen Verbündeten der USA. Die drei Staaten stehen an der Spitze der konterrevolutionären arabischen Allianz, der auch Israel sich zugehörig fühlt, seitdem es vor einem Jahr diplomatische Beziehungen mit den Emiraten und Bahrein aufnahm. Dieses Bündnis könnte die Basis einer regionalen Sicherheitsarchitektur bilden, die angesichts des schleichenden Rückzugs der USA aus der Region eines Tages ohne amerikanische Militärmacht auskommen muss.