Georgischer Alptraum
Michael Thumann: Vom Hoffnungsort zum Westentaschenstaat, Zeit online, 19.2.2021
Premierminister Giorgi Gacharia tritt zurück, dem Oppositionsführer droht Gefängnis: Michael Thumann sieht Georgien auf dem Weg „vom Hoffnungsort zum Westentaschenstaat“. Wie kam es dazu?
Die Regierungspartei Georgischer Traum, so Thumann, sei das politische Werkzeug ihres Gründers, eines Oligarchen, Bidsina Iwanischwili, der Regierung, Parlament, Gerichte und Ermittlungsbehörden kontrolliere und Machtpositionen verteile. Eine Clique von Geschäftsleuten höhle die Institutionen aus und verwandle Georgien allmählich in ihren Westentaschenstaat. Gacharia sei Iwanischwili zu eigenständig geworden.
Dass die Gesetze gegen Korruption und Vetternwirtschaft nicht wirken, hätten auch westliche Berater zu verantworten, vor allem aus der EU, die lange daran mitgearbeitet habe. Das Problem: Die Gesetze werden nicht umgesetzt. „Damit ist Georgien in bester postsowjetischer Gesellschaft, bei den Nachbarn von Aserbaidschan bis Russland sieht es weit schlimmer aus. Aber natürlich hoffte man im Westen einmal, Georgien würde eine Ausnahme machen.“
Das hat laut Thumann auch damit zu tun, dass der westliche Einfluss in der Region schwächer denn je sei. Im Krieg um Bergkarabach seien EU und USA kaum wahrnehmbar gewesen.
Und nun habe die EU „ein echtes Angebotsproblem. Sie setzte bislang auf rechtsstaatliche Gesetze und Ratschläge fürs gute Regieren als Exportprodukte. Je weniger das gefragt ist, desto weniger wichtig werden die EU und ihre Mitgliedsstaaten in ihrer östlichen Nachbarschaft.“